Gustave Flauberts "Memoiren eines Irren"

Rote Ohren am Strand von Trouville

Gustave Flaubert

Elisabeth Edl

Memoiren eines IrrenCarl Hanser, München 2021

240 Seiten

28,00 Euro

Von Ursula März |
Ein Teenager verliebt sich – in den Sommerferien, in eine verheiratete Frau. Flauberts frühes Prosastück lässt die Meisterschaft des französischen Schriftstellers bereits erahnen. Jetzt liegt "Memoiren eines Irren" in neuer Übersetzung vor.
Elisabeth Edl, die eine lange Reihe literarischer Klassiker aus dem Französischen ins Deutsche übertragen hat, ist selbst zu einer Klassikerin geworden. Diesen Rang verdankt sie vor allem ihrer Durchdringung der Romane Gustave Flauberts.
Fünf seiner Werke hat sie neu übersetzt, darunter „Madame Bovary“ und „L'Education sentimentale“, dem sie im Deutschen auch gleich einen neuen Titel verlieh: „Lehrjahre der Männlichkeit“. Obendrein beglückt sie die Leserschaft mit stilistisch brillanten Nachworten und Anmerkungsapparaten.

Fingerübung aus der Schublade

Nun hat sie sich ein Jugendwerk Flauberts zu Herzen genommen, „Memoiren eines Irren“, das erst nach seinem Tod erschien. Der Begründer des modernen Romans verwahrte das 90 Seiten umfassende Prosastück, das er 1838 im zarten Alter von siebzehn Jahren verfasst hatte, in der Schublade.
Tatsächlich wirkt es neben seinen späteren Meisterromanen wie eine Fingerübung, an der sich die typischen Schwächen einer literarischen Lehrlingsarbeit erkennen lassen. Warum hat Elisabeth Edl ihre Übersetzungskunst darauf verwendet?
Aus einem einfachen Grund: In nuce enthalten „Die Memoiren eines Irren“ bereits den ganzen Flaubert; seine Verachtung der bürgerlichen Gesellschaft und der bürgerlichen Ehe, seine Sehnsucht nach Grenzüberschreitung, vor allem aber jene Urszene, die für sein Werk entscheidend sein wird.

Verliebt in eine ältere, verheiratete Frau

„Es war wie eine Erscheinung“ heißt es in den „Memoiren eines Irren“ über den Moment, in dem der Blick eines jungen Mannes auf eine zehn Jahre ältere verheiratete Frau fällt. Der coup de foudre ereignet sich während der Sommerferien in Trouville.
Maria, so der Name der Frau im Roman, vergisst eines Tages ihren Bademantel am Strand. Der Ich-Erzähler rettet ihn vor der aufsteigenden Flut und gibt ihn im Hotel ab. Beim Abendessen bedankt sich Maria bei ihm. Die kurze Begegnung genügt, um in dem Jüngling eine Liebe zu entfachen, deren Unerfüllbarkeit eine nie verheilende seelische Wunde hinterlässt.

Der heimliche Traum vom Ehebruch

Kaum anders hat es der fünfzehnjährige Gustave im Sommer 1836 selbst erlebt, als er in Trouville Élisa Foucault kennenlernte und inständig umschwärmte.
Zwei Jahre später verwandelt er die romantische Erinnerung in Literatur, etliche Jahre später wird der heimliche Traum vom Ehebruch zum Kernthema von „Madame Bovary“ und zum Topos der „Lehrjahre der Männlichkeit“. Im Jugendwerk schlummert folglich der Keim, aus dem Flauberts Meisterwerke erwachsen.

Für Flaubert-Experten und -Anfänger

Was die Neuübersetzung der „Memoiren eines Irren“ zum erkenntnisreichen Vergnügen macht, ist nicht zuletzt ihre philologische Einbettung. Das Nachwort hat dieses Mal der exzellente Flaubert-Kenner Wolfgang Matz beigesteuert: ein vierzigseitiger Essay, der den Schriftsteller, sein Werk und seine Zeit wie in einem Brennglas bündelt.
Zudem enthält der Band Briefe Gustave Flauberts aus seinen Jugendjahren und die Anmerkungen der Übersetzerin Elisabeth Edls, die ein ebenso lehrreiches wie vergnügliches Genre eigener Art darstellen.
Für Flaubert-Experten ist dieses Buch unverzichtbar. Flaubert-Anfänger finden in ihm alles Wesentliche, um sich ein Bild von diesem Giganten der französischen Literatur zu machen.

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