Fleisch, Blut und Schieß-Eisen
Mit Büchern wie "Das Parlament der Dinge" oder "Aktant 'Mensch-Pistole'" möchte der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour die vertrauten Wissenschaftsordnungen bewusst durcheinanderbringen. Für sein Werk wird er mit dem Siegfried Unseld Preis 2008 geehrt, der ihm am Geburtstag des Verlegers, am 28. September, überreicht wird.
"Das Parlament der Dinge" heißt ein Buch Bruno Latours, das im Jahr 2001 in der Edition Zweite Moderne bei Suhrkamp erschienen ist. Tatsächlich räumt der französische Wissenschaftssoziologe den Dingen ein Mitspracherecht ein. Genauer gesagt: In Latours Parlament der Dinge – das er von der altgermanischen Gerichtsversammlung ‚Thing’ ableitet – hat ausnahmslos alles einen festen Sitz, was sich im Ganzen zu unserer Welt zusammenfügt: Menschen und Tiere, Maschinen und Pflanzen, Mülldeponien und Ozonlöcher, Pulsare, Politiker, Laboratorien, lebendige wie getötete Verkehrsteilnehmer.
Dass diese Reihe reichlich schräg klingt, ist ganz im Sinne Latours. Seit seinem ersten großen Werk – "Laboratory Life" von 1979 – ribbelt er die vertrauten wissenschaftlichen Ordnungen und Einteilungen der Wirklichkeit auf, um Gedankengewebe mit neuen Mustern zu erzeugen.
Am liebsten unterminiert der äußerst ambitionierte, rhetorisch oft wagemutige Latour die allergrößten Unterscheidungen und Gegensätze. Natur und Kultur, Natur und Gesellschaft, Technik und Soziales: Latour stellt sie nicht in Opposition wie Generationen von Gelehrten, sondern sieht sie in einem geradezu mythischen Netzwerk durch gegenseitige Einflussnahme verbunden.
Er widerspricht jenen Naturwissenschaftlern, die glauben, die Objekte ihrer Wissenschaft sauber vor sich zu haben, und zeigt, wie sie in der Praxis des Forschens und im Alltag im Labor mit den Dingen verbunden sind.
Wenn Realisten sagen, die Wirklichkeit sei unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung, und Konstruktivisten entgegnen, dass wir im Prozess der Erkenntnis die Gegenstände überhaupt erst herstellen, gibt Latour schlankerhand beiden Unrecht und zeigt, dass das Ganze der Wirklichkeit ein Produkt von Wechselwirkungen ist.
Das wissenschaftliche Konzept, an dem Latour arbeitet, heißt "Akteur-Netzwerk-Theorie" – "ein Name, der so ungeschickt, verwirrend und unsinnig ist, dass er beibehalten zu werden verdient", witzelt der Denker selbst. Wenn Mensch und Pistole eine Wirkungseinheit bilden, spricht Latour zum Beispiel von dem "Aktant ‚Mensch-Pistole’" – das heißt, der oder das Handelnde ist ein gedachtes unzertrennliches Mischwesen aus Fleisch, Blut und Schieß-Eisen.
Auf Verblüffung setzt Latour überhaupt gern – bisweilen allerdings hat er sich allzu weit aus dem Fenster seiner Fakultät gelehnt.
Bruno Latour gehört mit Jean Baudrillard, Julia Kristeva und Jacques Lacan zu jenen Intellektuellen, denen im sogenannten "science war" – im Wissenschaftskrieg der späten 90er Jahre – "eleganter Unsinn" unterstellt wurde. Und zwar von den Physikern Alan Sokal und Jean Bricmont, die der postmodernen Philosophie französischer Herkunft unqualifizierten Gebrauch physikalisch-mathematischer Theoreme nachwiesen. Es ging damals so hoch her, dass die "New York Times" das Thema auf Seite 1 setzte.
Latour hatte in seinem Buch "Science in Action" behauptet, dass der Inhalt jeder Wissenschaft "durch und durch gesellschaftlich" ist und sich dabei auch auf Einsteins Relativitätstheorie bezogen. Sokal und Bricmont zerrissen Latours These in der Luft, wiesen ihm fehlendes Verständnis für Einsteins Theorie nach und sparten nicht mit höhnischen Fußnoten, soweit Latour Gleichungen falsch abgeschrieben hatte.
Nun, wie jeder nachlesen kann, hat sich Bruno Latour von der Breitseite recht bald erholt – auch indem er heftig zurück schoss. Längst liegen weitere Werke vor. Eines der frischen, ins Deutsche übersetzten heißt "Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft". Laut Latour hat sich das Soziale aufgelöst – es war immer schon aufgelöst – und ist als ein Experimentierfeld anzusprechen, in dem verschiedene Elemente – neue politische Bewegungen, neue Impfstoffe, neue Berufsbilder, neue Katastrophen, kurz: menschliche und nicht-menschliche Dinge – Verbindungen eingehen, die bisher nicht existent waren. Das Soziale wäre danach nicht unsere vertraute Substanz von Gesellschaft, sondern eine gigantische Fabrik unerhörter Verbindungen, Verknüpfungen und Wechselwirkungen aller erdenklichen Entitäten.
Nun erhält Bruno Latour den Siegfried Unseld Preis. Man darf auf die Laudatio gespannt sein, die Peter Sloterdijk am 28. September in Frankfurt halten wird. Sloterdijk, tiefer in der Philosophie und Literatur gegründet als Latour, im Zweifel eher Künstler und Prediger als Wissenschaftstheoretiker, hat gleichwohl einen vergleichbar imposanten Drang zum Anders-Denken, zur Rekombination des scheinbar Unzusammengehörigen, zum Ansinnen eines Ganzen in der zunehmend atomaren Quantelung der wissenschaftlichen Einzelteile.
Wenigstens eine Aussage Bruno Latours dürfte Beifall auch beim großen Publikum finden: "Was zählt, ist die Frage, wie man neue Bühnen schafft, auf denen man unser Leben verändert."
Dass diese Reihe reichlich schräg klingt, ist ganz im Sinne Latours. Seit seinem ersten großen Werk – "Laboratory Life" von 1979 – ribbelt er die vertrauten wissenschaftlichen Ordnungen und Einteilungen der Wirklichkeit auf, um Gedankengewebe mit neuen Mustern zu erzeugen.
Am liebsten unterminiert der äußerst ambitionierte, rhetorisch oft wagemutige Latour die allergrößten Unterscheidungen und Gegensätze. Natur und Kultur, Natur und Gesellschaft, Technik und Soziales: Latour stellt sie nicht in Opposition wie Generationen von Gelehrten, sondern sieht sie in einem geradezu mythischen Netzwerk durch gegenseitige Einflussnahme verbunden.
Er widerspricht jenen Naturwissenschaftlern, die glauben, die Objekte ihrer Wissenschaft sauber vor sich zu haben, und zeigt, wie sie in der Praxis des Forschens und im Alltag im Labor mit den Dingen verbunden sind.
Wenn Realisten sagen, die Wirklichkeit sei unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung, und Konstruktivisten entgegnen, dass wir im Prozess der Erkenntnis die Gegenstände überhaupt erst herstellen, gibt Latour schlankerhand beiden Unrecht und zeigt, dass das Ganze der Wirklichkeit ein Produkt von Wechselwirkungen ist.
Das wissenschaftliche Konzept, an dem Latour arbeitet, heißt "Akteur-Netzwerk-Theorie" – "ein Name, der so ungeschickt, verwirrend und unsinnig ist, dass er beibehalten zu werden verdient", witzelt der Denker selbst. Wenn Mensch und Pistole eine Wirkungseinheit bilden, spricht Latour zum Beispiel von dem "Aktant ‚Mensch-Pistole’" – das heißt, der oder das Handelnde ist ein gedachtes unzertrennliches Mischwesen aus Fleisch, Blut und Schieß-Eisen.
Auf Verblüffung setzt Latour überhaupt gern – bisweilen allerdings hat er sich allzu weit aus dem Fenster seiner Fakultät gelehnt.
Bruno Latour gehört mit Jean Baudrillard, Julia Kristeva und Jacques Lacan zu jenen Intellektuellen, denen im sogenannten "science war" – im Wissenschaftskrieg der späten 90er Jahre – "eleganter Unsinn" unterstellt wurde. Und zwar von den Physikern Alan Sokal und Jean Bricmont, die der postmodernen Philosophie französischer Herkunft unqualifizierten Gebrauch physikalisch-mathematischer Theoreme nachwiesen. Es ging damals so hoch her, dass die "New York Times" das Thema auf Seite 1 setzte.
Latour hatte in seinem Buch "Science in Action" behauptet, dass der Inhalt jeder Wissenschaft "durch und durch gesellschaftlich" ist und sich dabei auch auf Einsteins Relativitätstheorie bezogen. Sokal und Bricmont zerrissen Latours These in der Luft, wiesen ihm fehlendes Verständnis für Einsteins Theorie nach und sparten nicht mit höhnischen Fußnoten, soweit Latour Gleichungen falsch abgeschrieben hatte.
Nun, wie jeder nachlesen kann, hat sich Bruno Latour von der Breitseite recht bald erholt – auch indem er heftig zurück schoss. Längst liegen weitere Werke vor. Eines der frischen, ins Deutsche übersetzten heißt "Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft". Laut Latour hat sich das Soziale aufgelöst – es war immer schon aufgelöst – und ist als ein Experimentierfeld anzusprechen, in dem verschiedene Elemente – neue politische Bewegungen, neue Impfstoffe, neue Berufsbilder, neue Katastrophen, kurz: menschliche und nicht-menschliche Dinge – Verbindungen eingehen, die bisher nicht existent waren. Das Soziale wäre danach nicht unsere vertraute Substanz von Gesellschaft, sondern eine gigantische Fabrik unerhörter Verbindungen, Verknüpfungen und Wechselwirkungen aller erdenklichen Entitäten.
Nun erhält Bruno Latour den Siegfried Unseld Preis. Man darf auf die Laudatio gespannt sein, die Peter Sloterdijk am 28. September in Frankfurt halten wird. Sloterdijk, tiefer in der Philosophie und Literatur gegründet als Latour, im Zweifel eher Künstler und Prediger als Wissenschaftstheoretiker, hat gleichwohl einen vergleichbar imposanten Drang zum Anders-Denken, zur Rekombination des scheinbar Unzusammengehörigen, zum Ansinnen eines Ganzen in der zunehmend atomaren Quantelung der wissenschaftlichen Einzelteile.
Wenigstens eine Aussage Bruno Latours dürfte Beifall auch beim großen Publikum finden: "Was zählt, ist die Frage, wie man neue Bühnen schafft, auf denen man unser Leben verändert."