Fliegende Kraftwerke

Von Christoph Kersting |
Heutige Windkraftturbinen ragen mit ihren Rotorblättern in Höhen von bis zu 200 Metern. Noch weitaus höher lassen Wissenschaftler nun Drachen steigen, um aus Höhenwinden Energie zu gewinnen.
Energie aus Windkraft – das ist schon seit rund 1000 Jahren gängige Praxis, denn so lange schon baut der Mensch Windmühlen. An Windenergie im großen Stil haben wir uns längst gewöhnt, dabei wird schnell vergessen, dass Windkraftpioniere noch in den 70er-Jahren als weltfremde Tüftler galten. Heutige Windkraftturbinen ragen mit ihren riesigen Rotorblättern in Höhen bis zu 200 Metern. Noch weitaus höher lassen Wissenschaftler riesige Drachen steigen, um aus Höhenwinden Energie zu gewinnen.

Es bläst kräftig an diesem Morgen auf dem Militärflughafen Valckenburg nördlich von Den Haag. Und genau das benötigen die Forscher von der Uni Delft für ihre Tests: Wind, viel Wind. Denn der trägt den 25 Quadratmeter großen, schwarz-weißen Lenkdrachen in Höhen von bis zu 500 Metern.

Der Drachen ist mit einem kräftigen Drahtseil an einer Seilwinde befestigt, die auf einen Anhänger montiert ist. Hinter der Seilwinde steht Ingenieur Aart de Wachter und bringt den Drachen per Joystick in die richtige Flugbahn. Denn noch muss das sogenannte Kite-Power-System manuell gesteuert werden, Mitte 2012 wolle man soweit sein, dass der Drachen per Autopilot fliegt, erklärt der deutsche Projektleiter Roland Schmehl:

"Das Konzept funktioniert so, dass wir in der Bodenstation einen Generator haben. Der ist verbunden mit einer Seiltrommel. Jetzt hat man einen Zweiphasen-Zyklus, um Energie zu erzeugen: Man rollt das Kabel aus, dabei wird Energie produziert. Und man holt das Kabel ein, dafür muss man ein bisschen von der Energie zurück investieren. Die Zugkraft bekommen wir über den Drachen. Um da eine starke Zugkraft zu bekommen, fliegen wir diese Achterfiguren. Jetzt kommt man irgendwann ganz oben an."

Die Winde zieht den Drachen wieder nach unten - ein ständiges Steigenlassen und Einholen: Drachen-Jojo quasi. Unter dem Drachen hängt eine kleine schwarze Metall-Box: Die Steuereinheit, über die der Pilot am Boden die Flugbahn des Drachens bestimmt. Dieses "control unit" erhält aber auch Daten von Sensoren, die am Drachen befestigt sind und die so wichtige Informationen an die Bodenstation weitergeben: etwa welche Kräfte auf das Material einwirken oder wie stark der Wind bläst dort oben.

Rund 20 Kilowatt produzieren die Delfter Forscher zur Zeit mit ihrem Kite-Power-System, soviel wie zwei Durchschnittshaushalte pro Tag an Strom verbrauchen - wobei rund zwei Drittel der gewonnenen Energie verbraucht werden, um den Drachen wieder einzuholen. Bleiben sechs bis sieben Kilowatt übrig – nicht gerade viel, räumt auch Projektleiter Roland Schmehl ein. Dennoch verweist er auf die Vorteile der Strom-Drachen gegenüber Windturbinen:

"Sie müssen sehen, dass der Materialaufwand für ein Lenkdrachen-basiertes System viel kleiner ist als für eine echte große Windturbine. Die hat normalerweise einen Turm aus Stahl, geht über hundert Meter hoch. Die Kosten sind viel geringer als für Windturbinen, das ist eigentlich das Argument, das wir ausspielen wollen."

In rund 40 Projekten weltweit erforschen Wissenschaftler und Tüftler, welche Möglichkeiten Höhenwinde als Energiequelle bieten. Einen ähnlichen Ansatz wie das Forscher-Team aus Delft verfolgt zum Beispiel das Hamburger Unternehmen Sky Sails, das sein Drachen-System bis 2016 zur Marktreife führen will. Aber auch unabhängige Experten tun den Ansatz inzwischen nicht mehr als Spinnerei ab.

Strom erzeugen mittels Drachen – warum nicht? Sagt etwa Michael Strobel vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Ernergiesystemtechnik in Bremerhaven. Der Ingenieur untersucht im Auftrag des Bundesumweltministeriums das Potenzial der neuartigen Technik. Riesige Lenkdrachenparks über dicht besiedelten Gebieten kann sich Michael Strobel eher nicht vorstellen, schon allein wegen der Flugsicherheit. Dafür sei die Technik in Krisengebieten eine interessante Option:

"Dort hat man ja oft das Problem, dass die Energieversorgung zusammenbricht. Die Alternative ist natürlich immer der Dieselgenerator. Da ist dann häufig das Problem, den Diesel ranzubringen. Und da könnte das dann eine Alternative sein. Einen ganz interessanten Ansatz hatte ich kürzlich von einer australischen Regierungsbehörde auf einer Konferenz mitbekommen. Die haben eben das Problem, dass sie oft irgendwo im Outback Grabungen vornehmen, Sondierungsbohrungen, und die haben eben auch ein großes Problem dort Energie hinzukriegen. Die haben dann Einsatzzeiten von wenigen Monaten, und da lohnt es sich nicht irgendwas stationär hinzustellen, und die machen jetzt Studien. Könnte man das nicht mit dieser Technik umsetzen?"

In fünf Jahren, schätzt Michael Strobel, werde man genauer wissen, wo Systeme wie Kite-Power aus Delft Sinn machen und wo nicht.