Fliegerabenteuer und klassische Tragödien

Von Volkhard App |
Die niedersächsische Landesbibliothek präsentiert in der Ausstellung "Frontlektüre - Lesestoff für und von Soldaten der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg" einen Querschnitt dessen, was in Frontbuchhandlungen auslag und welche Art der Literatur die Wehrmachtsoldaten bevorzugten.
"Dem deutschen Buchhandel ist jetzt eine neue Aufgabe erwachsen. Unsere Soldaten, die am Westwall und an der Nordsee auf Wacht liegen oder nach ihrem Einsatz in Polen Standquartiere im ehemaligen Kampfgebiet bezogen haben, müssen mit Lesestoff versorgt werden."

So stand es bald nach Kriegsbeginn im "Börsenblatt für den deutschen Buchhandel". "Frontbuchhandlungen" sollten diesen Lesestoff verkaufen, aber auch als leichtgewichtige Feldpostausgaben wurden die Erzählungen, Gedichte und Sachbroschüren an die Soldaten verschickt: zur vermeintlichen Ablenkung und ideologischen Ausrichtung. Ein krudes Gemisch aus humoristischen Texten, Liederbüchern, Klassikern und indoktrinierenden Romanen, in denen der Heroismus genährt und der Opfertod propagiert wurde:

"Vor mir lagen die wenigen Wertgegenstände und Papiere meiner gefallenen Kameraden. In meinen Händen hatte ich das blutdurchtränkte Soldbuch von Günter Holms. Es war von zwei feindlichen Kugeln durchschlagen. Ich dachte zurück an jenen Abend im Februar, als mein Kamerad von seinem frühen Tod wusste. Das Wissen um seinen Tod hatte ihn hart und stark gemacht, sein junges Leben tapfer und soldatisch zu vollenden."

Es begann 1939 mit einer martialischen Heftreihe. Henri Nannen verfasste für diese "Kriegsbücherei der deutschen Jugend" den Roman "Störungsfeuer von 'M 17'", zu den Autoren zählten aber auch andere, später in der Bundesrepublik renommierte Persönlichkeiten wie Alfred Weidenmann sowie Publizisten der "Zeit" und der "FAZ".

Zweifelhafte Literatur aus vielen Quellen - Partei- und Wehrmachtsstellen gaben auflagenstarke Sonderreihen heraus, viele Verlage beteiligten sich. Kuratorin Marita Simon:

"Es war der NSDAP- Verlag, der auch den 'Völkischen Beobachter' herausgegeben hat, aber es sind viele andere Verlage aufgesprungen, weil sie sahen, dass sie damit ein großes Geschäft machen konnten: vor allem Bertelsmann, der als einer der wenigen Verlage seine Rolle in jener Zeit aufgearbeitet hat. Dazu kamen die Insel Bücherei, der Kohlhammer Verlag und viele kleine, die extra noch gegründet wurden."

Nie zuvor war derart viel NS-Literatur präsent in den Vitrinen der niedersächsischen Landesbibliothek, deren Patron immerhin Gottfried Wilhelm Leibniz ist, der für internationalen Austausch und kulturelle Öffnung steht. Aber auch diese Bücher zählen zum Stoff der Aufarbeitung in einem Haus, dass sich bereits mit listig getarnter, ins braune Reich geschmuggelter Literatur und immer wieder mit bibliophilem Raubgut beschäftigt hat. Direktor Georg Ruppelt:

"Besonders diese launigen Ausgaben mit Witzen und fröhlichen Soldatenliedern erinnern mich als einen nach dem Krieg Geborenen sehr an die Zusammenkünfte meines Vaters und meines Onkels, Soldaten an der West- beziehungsweise Ostfront, die sich über ihre Kriegserlebnisse unterhalten und dabei heftig gelacht haben. Und als kleiner Junge konnte man schon den Eindruck haben, das sei etwas sehr Abenteuerliches und Fröhliches gewesen. Dass Hunderttausende umgekommen sind und sich die beiden Männer auch in Angst und Schrecken befunden haben, das ging daraus nicht hervor."
Die hannoversche Auswahl stammt aus einer bislang wenig bekannten Sammlung. Jörg Weigand, früher Bonner ZDF-Korrespondent für Kultur und Bildung, hat mit zeitgeschichtlichem Interesse überwiegend auf Flohmärkten rund 1000 Publikationen aus der NS-Zeit zusammengetragen.

Besonders zynisch wirken Broschüren für die deutschen Besatzer: Stadtpläne für Paris und deutsch-russische Soldaten-Wörterbücher. Die Aufwiegelung gegen den "Feind" war ohnehin fester Bestandteil der publizistischen Aktivitäten:

"Die Geschichte erweist es, dass die Londoner Politik zwar von schönen Schlagworten trieft, dass sie aber im Kerne von tiefer Verlogenheit ist. Sie predigt auf der einen Seite die Heiligkeit der Verträge, auf der anderen Seite tritt sie die Verträge mit Füßen. Sie redet von Frieden – aber sie schürt den Krieg. Die Wahrheit nennt sie ihre Ehre – aber der Lüge huldigt sie. Sie kämpft angeblich für das Recht – tatsächlich aber verkörpert sie die Willkür und die Rechtlosigkeit."

"Der Wehrwolf" von Hermann Löns, Fliegerabenteuer und allgemeine Blut- und Bodenliteratur gehörten zur Lektüre, aber auch "Faust I", Erzählungen von Kleist und Gottfried Keller und Verse von Eugen Roth.

Ruppelt: "Menschen, die getötet wurden und die getötet haben, hatten gleichzeitig die ganz Großen im Tornister, den Goethe und den Hölderlin. Und wenn man sich vorstellt, dass dergleichen in den Vernichtungslagern gelesen wurde und dass die Mörderkolonnen der SS deutsches Liedgut, wie es damals hieß, gesungen haben, dann bekommt man vielleicht nachträglich eine Vorstellung von der Grausamkeit und der elenden Situation dieser Zeit."

Wie in wenigen Jahren aufgrund von Materialknappheit die Aufmachung der Bücher und Broschüren immer ärmlicher wurde, lässt sich in der Ausstellung verfolgen - und wie sich der Charakter der Verlagsprogramme ein wenig verschob. Simon:

"Das ist sehr deutlich zu beobachten: Erschienen zu Beginn des Krieges vor allen Dingen Schriften mit indoktrinierendem Charakter, hat sich das in den weiteren Jahren sehr verändert. Man hat offenbar auf Herausgeberseite bemerkt, dass die Soldaten mehr abgelenkt werden wollten vom Kriegsgeschehen und es erschien wesentlich mehr Humorvolles, Geschichten aus der Heimat - es ging mehr in die unterhaltende Richtung."

Aber das propagierte "Heldentum" kam dennoch nicht zu kurz. Eine beklemmende Ausstellung, ein Blick zurück auf eine aus dem Gedächtnis verdrängte Literatur.