Fliehst du noch oder wohnst du schon?
50 Menschen teilen sich in syrischen Flüchtlingscamps eine Toilette. Da stellt sich die Frage: Wie kann das Elend in solchen Lagern gemindert werden? Die UN setzen auf die Zusammenarbeit mit Ikea. Doch die Kooperation mit dem schwedischen Konzern hat einen Beigeschmack, meint der Journalist Martin Tschechne.
Am Ende geht es, wie fast immer, um die Verteilung von Armut und Reichtum. Es geht um die Frage, woher das Palmöl für die Kerzen kommt, die den länger werdenden Abenden in Malmö oder München ein wohliges Licht geben. Oder woher das Holz für die Regale, mit denen die Menschen in Berlin oder Barcelona ihre Bücher, CDs, Klamotten oder ihren Nippes in Ordnung halten.
Das Möbelhaus Ikea, längst viel mehr als nur ein Lieferant für billig hingezimmerte Bretter-Möbel oder Duftkerzen, 36 Stück für zweineunundneunzig, längst Formel und Norm für einen Lebensstil aus haben wollen, kaufen, umbauen, dekorieren und wieder wegwerfen – Ikea verarbeitet rund 40.000 Tonnen Palmöl und Millionen Kubikmeter Holz, sieht sich dabei immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, seine Lieferanten trieben Raubbau an der Natur und schlügen ihr Holz in geschützten Wäldern. Aber nun tritt das Unternehmen als Retter auf: Es produziert praktische, leicht aufzubauende Hütten für die Flüchtlinge der Welt.
Ist das nun zynisch? Oder ist es toll? In Syrien, Palästina oder Afghanistan vegetieren Millionen von Flüchtlingen, 45 Millionen weltweit, in zugigen Zelten ohne Wasser, ohne Energie und unter schlimmsten hygienischen Bedingungen – und hier kommt ein Konzern, der sich mit einfachen, intelligent entworfenen Selbstbaumöbeln auskennt wie niemand sonst, und liefert für Menschen in Not ein Dach über dem Kopf.
Ohne Werkzeug fast ebenso schnell zu montieren wie ein Billy-Regal. Siebzehneinhalb Quadratmeter zum Überleben, groß genug für eine fünfköpfige Familie, mit Wänden aus Plastik und sogar mit Solarzellen auf dem Dach. Sie erzeugen Strom für Licht, denn wer Licht hat, könnte lesen, vielleicht einen recycelten Computer anschließen. Und Bildung ist die beste Chance, dem Elend zu entkommen.
Das Möbelhaus Ikea, längst viel mehr als nur ein Lieferant für billig hingezimmerte Bretter-Möbel oder Duftkerzen, 36 Stück für zweineunundneunzig, längst Formel und Norm für einen Lebensstil aus haben wollen, kaufen, umbauen, dekorieren und wieder wegwerfen – Ikea verarbeitet rund 40.000 Tonnen Palmöl und Millionen Kubikmeter Holz, sieht sich dabei immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, seine Lieferanten trieben Raubbau an der Natur und schlügen ihr Holz in geschützten Wäldern. Aber nun tritt das Unternehmen als Retter auf: Es produziert praktische, leicht aufzubauende Hütten für die Flüchtlinge der Welt.
Ist das nun zynisch? Oder ist es toll? In Syrien, Palästina oder Afghanistan vegetieren Millionen von Flüchtlingen, 45 Millionen weltweit, in zugigen Zelten ohne Wasser, ohne Energie und unter schlimmsten hygienischen Bedingungen – und hier kommt ein Konzern, der sich mit einfachen, intelligent entworfenen Selbstbaumöbeln auskennt wie niemand sonst, und liefert für Menschen in Not ein Dach über dem Kopf.
Ohne Werkzeug fast ebenso schnell zu montieren wie ein Billy-Regal. Siebzehneinhalb Quadratmeter zum Überleben, groß genug für eine fünfköpfige Familie, mit Wänden aus Plastik und sogar mit Solarzellen auf dem Dach. Sie erzeugen Strom für Licht, denn wer Licht hat, könnte lesen, vielleicht einen recycelten Computer anschließen. Und Bildung ist die beste Chance, dem Elend zu entkommen.
Entwicklungsprojekt über rund drei Millionen Euro
So jedenfalls argumentiert Ikea. Das UNHCR, Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlingsfragen, ist begeistert über die Kooperation mit der Stiftung, die das Unternehmen trägt. Und wenn die Testphase in den Lagern von Äthiopien und an der syrischen Grenze erfolgreich beendet wird, dann könnte das Haus - doppelt so teuer wie ein Zelt, aber sechs-, acht- oder zehnmal so haltbar - dann könnte es bald ebenso weit verbreitet sein wie das berühmte Regal für das aussterbende Medium Buch.
Knapp über drei Millionen Euro lässt sich die Stiftung das Entwicklungsprojekt kosten. Bei einem Jahresumsatz von 27 Milliarden ist das ein Klacks. Dafür gäbe es noch nicht mal eine anständige Image-Kampagne - geschweige denn eine gute und friedvolle Nachbarschaft zu den großen Umweltorganisationen, deren Projekte Ikea immer wieder finanziell unterstützt.
Die Taktik nennt sich Greenwashing und ist eine besonders frivole Form, die Kundschaft für dumm zu verkaufen. Ein Quadratmeter Regenwald für jede leer getrunkene Kiste Bier; das Öko-Auto, betankt mit Öko-Benzin, mit dem sich womöglich die Welt retten ließe, wenn nur möglichst viele Menschen möglichst ausdauernd damit über die Autobahn bretterten.
Solcher Unfug ist verbreitet; als Faustregel könnte gelten: Je schmutziger das Geschäft, desto unverschämter die Bemühungen, sich grün zu waschen, sich also ein sauberes Mäntelchen aus Umweltverantwortung und sozialem Gewissen umzuhängen.
Auch Ikea hatte da im Lauf der Zeit eine Menge Vorwürfe abzuarbeiten: Kinderarbeit, Zwangsarbeit in den Gefängnissen der DDR, Lohndumping und das Ausweichen in Billiglohnländer. Schließlich die Struktur des Unternehmens selbst, eines kaum zu überblickenden Netzwerks aus Stiftungen und Holdings in verschiedenen Ländern, die sich gegenseitig Rechnungen für Lizenzen und Dienstleistungen schicken, nur um den Gewinn sicher nach Hause zu bringen. Auch die kostengünstige Lösung von Steuerfragen ist nun mal ein globales und sehr kreatives Geschäft.
Und während sich die Bewohner der Ikea-Hütten in Syrien oder Somalia fragen mögen: Fliehst Du noch oder wohnst Du schon? sollten die Manager des Konzerns mal darüber nachdenken, ob es nicht vielleicht doch einen Zusammenhang gibt zwischen der weltweiten, allein auf Kostendumping gerichteten Ausbeutung von Arbeitskraft und Ressourcen – und der Notwendigkeit, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen und in Hütten leben müssen.
Martin Tschechne ist Journalist und lebt in Hamburg. Als promovierter Psychologe weiß er, wie leicht sich Statistik missbrauchen lässt, um Ursachen vorzutäuschen oder tatsächliche Zusammenhänge zu verwischen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn kürzlich mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus. Zuvor erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern (Verlag Ellert & Richter, 2010).
Knapp über drei Millionen Euro lässt sich die Stiftung das Entwicklungsprojekt kosten. Bei einem Jahresumsatz von 27 Milliarden ist das ein Klacks. Dafür gäbe es noch nicht mal eine anständige Image-Kampagne - geschweige denn eine gute und friedvolle Nachbarschaft zu den großen Umweltorganisationen, deren Projekte Ikea immer wieder finanziell unterstützt.
Die Taktik nennt sich Greenwashing und ist eine besonders frivole Form, die Kundschaft für dumm zu verkaufen. Ein Quadratmeter Regenwald für jede leer getrunkene Kiste Bier; das Öko-Auto, betankt mit Öko-Benzin, mit dem sich womöglich die Welt retten ließe, wenn nur möglichst viele Menschen möglichst ausdauernd damit über die Autobahn bretterten.
Solcher Unfug ist verbreitet; als Faustregel könnte gelten: Je schmutziger das Geschäft, desto unverschämter die Bemühungen, sich grün zu waschen, sich also ein sauberes Mäntelchen aus Umweltverantwortung und sozialem Gewissen umzuhängen.
Auch Ikea hatte da im Lauf der Zeit eine Menge Vorwürfe abzuarbeiten: Kinderarbeit, Zwangsarbeit in den Gefängnissen der DDR, Lohndumping und das Ausweichen in Billiglohnländer. Schließlich die Struktur des Unternehmens selbst, eines kaum zu überblickenden Netzwerks aus Stiftungen und Holdings in verschiedenen Ländern, die sich gegenseitig Rechnungen für Lizenzen und Dienstleistungen schicken, nur um den Gewinn sicher nach Hause zu bringen. Auch die kostengünstige Lösung von Steuerfragen ist nun mal ein globales und sehr kreatives Geschäft.
Und während sich die Bewohner der Ikea-Hütten in Syrien oder Somalia fragen mögen: Fliehst Du noch oder wohnst Du schon? sollten die Manager des Konzerns mal darüber nachdenken, ob es nicht vielleicht doch einen Zusammenhang gibt zwischen der weltweiten, allein auf Kostendumping gerichteten Ausbeutung von Arbeitskraft und Ressourcen – und der Notwendigkeit, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen und in Hütten leben müssen.
Martin Tschechne ist Journalist und lebt in Hamburg. Als promovierter Psychologe weiß er, wie leicht sich Statistik missbrauchen lässt, um Ursachen vorzutäuschen oder tatsächliche Zusammenhänge zu verwischen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn kürzlich mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus. Zuvor erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern (Verlag Ellert & Richter, 2010).