Florian Huber: "Hinter den Türen warten die Gespenster. Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit"
Berlin Verlag, München/Berlin 2017
347 Seiten, 22,00 Euro
Qualvolles Schweigen über die NS-Zeit
Wie steht es um die Traumata von "Kriegskindern" und "Kriegsenkeln"? Der Filmemacher und Historiker Florian Huber stellt anhand von Briefen, Tagebüchern und Erinnerungen die Situation im Nachkriegsdeutschland der 40er und 50er Jahre vor. Sein Hauptaugenmerk liegt auf den Familienverhältnissen.
Das Interesse an den Traumata von "Kriegskindern" und "Kriegsenkeln" steigt trotz vorhandener Literatur stetig, und so birgt das neue Buch von Florian Huber ein großes Versprechen, das es jedoch nicht einlöst. Der Filmemacher und Historiker stellt anhand von Briefen, Tagebüchern und Erinnerungen die Situation im Nachkriegsdeutschland vor allem der 1940er und 50er Jahre vor. Sein Hauptaugenmerk liegt auf den Familienverhältnissen, die er als "historisch einzigartige Versuchsanordnung" bezeichnet.
Er schildert collagenartig, persönliche Dokumente mit historischen Hintergrundinformationen locker mischend, wie es Kriegsheimkehrern und ihren Angehörigen erging. Wie sich das Zusammentreffen von selbstständigen Frauen und gebrochenen Männern gestaltete, wie Kinder ihre Väter nicht erkannten und diese nicht wußten, wie sie mit Söhnen und Töchtern umgehen sollten.
Halt in einem Trümmermeer
"Hinter den Türen warten die Gespenster", so der Titel der knapp 350 Seiten starken Materialsammlung, beschreibt die Perspektive beider Geschlechter: die der Männer, die aus dem Feld oder den Gefangenenlagern kamen, und auf Verhältnisse trafen, die ihnen gespenstisch erscheinen mussten, weil sie mit ihrer Erfahrungswelt nicht kompatibel waren. Soldatische Tugenden galten nicht mehr, ihre Rolle als Mann war komplett fragwürdig geworden. Auch die Frauen, die mit den Kindern daheimgeblieben waren, sahen sich plötzlich mit Gespenstern konfrontiert: Sie hatten Bombennächte überstanden und sich in den Trümmern des Tausendjährigen Reichs behauptet, als ausgemergelte, psychisch labile, von Hunger und Krankheit gezeichnete Zerrbilder jener Helden, an die sie und die NS-Propaganda lange geglaubt hatten, an ihre Tür klopften.
Huber beschreibt die Familie, Kern der deutschen Nachkriegsgesellschaft, als Sehnsuchtsort und Kampfplatz: sie erschien als einziger Halt in einem Trümmermeer und Garant von Normalität, andererseits war sie häufig neurotische Zwangsgemeinschaft und Treibhaus verdrängter Enttäuschung. Die Zahl der Ehescheidungen nach 1945 nahm so rasant zu, dass Psychologen, Ärzte, Medien und Politker 1950 Alarm schlugen.
Auswirkung des Familiendramas verpufft
Selbst in den folgenden, von wachsendem Wohlstand geprägten Jahren gestaltete sich das Zusammenleben häufig als Qual. Huber spricht von einer "Schweigegeneration", die über Erlebtes nicht sprechen wollte, und, emotional unzugänglich sowie moralisch der Vergangenheit verhaftet, Unbehagen bei den Kindern auslöste. Am Ende seines Buches widmet er sich den eher hilflosen Generationskonflikten jener Zeit, um dann rasant in die späten 1980er Jahre zu springen, in denen mittlerweile selbst alt gewordene Kinder die Geschichte ihrer Eltern aufzuarbeiten begannen.
Der Autor behandelt ein zweifellos spannendes, doch längst bekanntes Themenfeld, dem er nichts fundamental Neues hinzufügt.
Und er tut das in einer schmissigen wie laxen Sprache, die weder vor peinlichem Pathos, noch vor grammatikalischen Ungenauigkeiten und dem Hang zur Stilblüte zurückscheut. Hubers These vom Familiendrama, dessen Auswirkungen bis heute – also weit über die engere Nachkriegszeit – spürbar sind, ist nicht konsequent entwickelt und verpufft trotz vielfacher Redundanz.