F. Illies: "Was ich unbedingt noch erzählen wollte"

Der Sommer, der nie aufhört

Das Cover des Buches "1913. Was ich noch erzählen wollte" vor einem Foto des Festumzuges anlässlichen des 300-jährigen Thronjubiläums der Romanows.
Wenig historische Erkenntnisse, aber viel Klatsch und Tratsch in "Was ich noch erzählen wollte". © S. Fischer Verlag/Mikhail Filimonov/dpa
Von Arno Orzessek |
In "Was ich noch unbedingt erzählen wollte" schreibt Florian Illies seinen Bestseller "1913. Der Sommer des Jahrhunderts" fort. Darin gibt es aber wenig Hintergründiges, sondern das Ganze lese sich zuweilen wie ein Klatschblatt, so unser Kritiker.
Der Titel des neuen Buches von Florian Illies, das wie ein zweiter Band an "1913. Der Sommer des Jahrhunderts" (2012) anschließt, ist erfreulich ehrlich. "Was ich unbedingt noch erzählen wollte" klingt lässig-selbstbewusst und unterstreicht mit leiser Ironie das Eigeninteresse des Bestseller-Autors. Illies vertraut darauf, dass sich die Leser erneut von seiner kenntnisreichen Anekdoten-Schwelgerei rund um die europäische Kunst- und Kulturprominenz des Jahres 1913 faszinieren lassen.
Die Chancen dafür stehen gut. Denn wieder geht Illies synchronoptisch vor: Er macht durch rigorose Sprunghaftigkeit und atemlose Szenenwechsel die Gleichzeitigkeit diverser Ereignisse sichtbar, die teils die Welt bewegten, teils die Kunstszene, teils nur das Seelenleben der Protagonisten. Mag in der historischen Realität auch das meiste zusammenhanglos geblieben sein – Illies erzeugt die Illusion, dass sich das annus mirabilis 1913 in körperhafter Anschaulichkeit besichtigen lässt.
Marcels Prousts berühmte Druckfahnen-Korrektur-Exzesse; die wegweisende Uraufführung von Igor Strawinskys Ballettmusik "Le sacre du printemps"; Rosa Luxemburgs Leidenschaft fürs Pflanzen-Sammeln; die Verfilmung von Arthur Schnitzlers Liebelei; aber auch Niels Bohrs Atomforschung und Alfred Wegners Kampf mit dem Eis Grönlands: Man könnte alles oder nichts hervorheben in diesem Kompendium der Einzelheiten. Immerhin, es gibt eine spürbare Tendenz zu Liebes- und Bettgeschichten.

Gesellschaftliche Hintergründe werden nur spärlich beleuchtet

Alma Mahler mit Oskar Kokoschka; Proust mit seinem Chauffeur; der russische Impressario Sergei Djagilew mit dem Jahrhunderttänzer Vaslav Nijinsky, dann mit der Muse Misia Sert; Nijinski wiederum mit Romola de Pulszky; Gabriele D'Annunzio mit jeder, die vorbei kam ("Wer es als halbwegs gutaussehende Frau nicht geschafft hatte, mit ihm ins Bett zu gehen, wurde zum Gespött von Montparnasse", Natalie Barney) – auch 1913 regierte die Libido. Passagenweise liest sich das wie aus einem Klatschblatt für kulturell gehobene Stände. Gesellschaftliche Hintergründe und Problemzonen werden nicht nur in puncto Sex allenfalls spärlich beleuchtet.
Für Illies ist 1913 nicht das Vorkriegsjahr, als das es heute überwiegend erinnert wird, sondern – wie es im ersten 1913-Buch heißt – ein "Jahr am Südhang der Geschichte". Er zeigt es in praller Lebendigkeit, ohne Interesse an Politik und Alltag diesseits der Celebrity-Sphäre. Der goldrandige Erzählton ist geblieben. Illies gönnt sich sprachliche Albernheiten ("Rilke schreibt gerade aus Ronda richtig Rührendes an den rüstigen Rodin") und onkelhafte Einwürfe ("Dem Manne kann geholfen werden"), historische Erkenntnisse im engeren Sinne vermittelt er nicht.

Aber klar, wer sich von "Der Sommer des Jahrhunderts" begeistern ließ, wird "Was ich unbedingt noch erzählen wollte" genauso schätzen und darf auf noch mehr Nachschlag hoffen; die synchronoptische Methode ist nahezu unbegrenzt anwendbar. Darum schon mal ein Titelvorschlag für ein drittes Buch: "Was ich leider immer noch nicht erzählt habe".

Florian Illies: "Was ich unbedingt noch erzählen wollte. 1913"
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018
304 Seiten, 20,00 Euro

Mehr zum Thema