Florian Werner liest Musik

"Beate Zschäpe hört U2" von Antilopen Gang

Die Hip-Hop Gruppe Antilopen Gang (undatiert). Das Plattenlabel der Toten Hosen, JKP, hat die Hip-Hop-Gruppe Antilopen Gang verpflichtet.
Die Hip-Hop Gruppe Antilopen Gang © picture alliance / JKP / Schermer / dpa
Von Florian Werner |
Die Hip-Hop-Gruppe Antilopen Gang legt sich nicht nur mit der rechten Szene, sondern auch mit einem Literatur-Nobelpreisträger an. Florian Werner mit seiner Analyse des Songs "Beate Zschäpe hört U2".
"Beate Zschäpe hört U2" – der Songtitel ist auf den ersten Blick ein Oxymoron. Schließlich haben die mutmaßliche NSU-Terroristin und die Pathosrocker, deren Sänger Bono sich seit Jahrzehnten für Länder der dritten Welt einsetzt, scheinbar nichts miteinander zu tun.
Andererseits fußt er auf Fakten: Als die Polizei den Unterschlupf des rechtsradikalen Trios durchsuchte, fand sie tatsächlich Alben der irischen Band. Und: Er erinnert an eine andere widersprüchliche Wendung − Hannah Arendts berühmte Formulierung von der "Banalität des Bösen".
"In jedem Provinznest gibt es ein paar Kneipen,
Die irgendwas mit 'Deutsch', 'Heimat' oder 'Adler' heißen,
An ihren Theken sitzen überall dieselben Hurensöhne,
Sie fordern so was wie den Volksentscheid auf Bundesebene,
Du musst ein Deutscher sein, wenn du in diese Kneipen gehst
Und immerzu betonen, dass es den Deutschen scheiße geht,
Sie würden überfremdet, weil Flüchtlinge kämen,
Die alle kriminell sind und sich nicht benehmen ..."
Stammtischtäter verkörpern die Banalität
Das nationalsozialistische Böse, so Hannah Arendts These, sei eben nicht bestialisch oder gar dämonisch, sondern könne ganz alltägliche Verkörperungen annehmen − etwa die eines Schreibtischtäters wie Adolf Eichmann. Im Song der Antilopen Gang tritt es als dessen Schwundstufe, als Stammtischtäter auf, der im "Deutschen Adler" sitzt und über die repräsentative Demokratie klagt. Und ein paar Tische weiter sitzt ein Literatur-Nobelpreisträger und schreibt sich öffentlich seine Ressentiments von der Seele:
"Denn heute dreschen sie noch Stammtischparolen,
Doch morgen haben sie Sprengstoff und scharfe Pistolen,
Und Günter Grass schreibt ein neues Gedicht
Und Beate Zschäpe hört U2 ..."
Das Gedicht, auf das die Antilopen Gang hier anspielt, ist das 2012 verfasste "Was gesagt werden muss". Darin beklagt Grass nicht nur die Lieferung deutscher U-Boote an Israel, sondern auch, dass in Deutschland Denk- und Sprechverbote herrschten, die es unmöglich machten, die israelische Politik zu hinterfragen – eine Standardposition rechtskonservativer Diskurskritik. Doch nicht nur Grass, auch gewesene Politiker bekommen von den Rappern ihr Fett weg:
"Und aus dem Jenseits lacht Jürgen Möllemann
Und der Holger Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Und Max Mustermann zündet ein Flüchtlingsheim an,
Deutschland, Deutschland du tüchtiges Land"
Nazis hören den Weltverbesserungsrock von U2
Der FDP-Politiker Möllemann versuchte 2002, mit antisemitischen Faltblättern Stimmen am rechten Rand zu ernten; Apfel war bis Ende 2013 Bundesvorsitzender der NPD. Politiker wie sie haben der Antilopen Gang zufolge jenen Hass gesät, der nun allenthalben aus der braunen Scholle sprießt. Die Eichmänner von heute heißen Mustermann. Die neuen Latenznazis sind ganz normale Menschen von nebenan, mit durchaus mehrheitsfähigen Meinungen.
"Die Nazis von heute sind friedensbewegt
Und sie sind sehr um Palästina bemüht,
Sie sind tierlieb, doch sie wollen Kinderschänder lynchen
Und sie wissen, dass die Chefs der Welt im Hinterzimmer sitzen,
Man kann und darf mit diesen Leuten gar nicht mehr reden,
Es sollte nur darum gehen, ihnen das Handwerk zu legen,
Und Günter Grass schreibt ein neues Gedicht
Und Beate Zschäpe hört U2 ..."
Das ist streckenweise taghellsichtig, auf jeden Fall brandaktuell und literarisch um Längen besser als das fragliche Gedicht von Grass. Allerdings steckt im Titel des Stücks auch eine tragische Ironie: Wenn sogar Nazis den Weltverbesserungsrock von U2 hören − dann bedeutet das umgekehrt, dass die in Poptexten transportierten Botschaften offenbar ungehört verhallen. Gut gemeinte Musik macht aus ihren Hörern noch keine besseren Menschen. Daran wird, bei allen Qualitäten, vermutlich auch das Stück der Antilopen Gang nichts ändern.
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