Thom Yorke besingt einen Kinderwunsch
Seit 20 Jahren gehört "True Love Waits" zum Live-Repertoire der britischen Band "Radiohead". Nun gibt es eine Studio-Version - und die überrascht.
I'll drown my beliefs…
Seit 20 Jahren gehört "True Love Waits" schon zum Live-Repertoire von Radiohead; 20 lange Jahre hofften hungrige Fans auf eine Studio-Version des Songs. Aber: Wahre Liebe wartet, wie der Titel besagt. Auf dem neuen Album "A Moon Shaped Pool" ist das Lied endlich enthalten - und klingt vollkommen anders:
…to have your babies
Das rhythmische Gerüst ist auf ein Minimum reduziert, an die Stelle der drängenden Akustikgitarre ist ein impressionistisch getupftes Piano getreten - doch der Text ist derselbe geblieben: Ich würde alles, woran ich glaube, aufgeben, erklärt das lyrische Ich, um Kinder von Dir zu bekommen.
I'll dress like a niece…
Eine solche Kinderwunscherklärung mag überraschen. Nicht, weil der Sänger ein Mann ist. Sondern weil "True Love Waits" eigentlich der Wahlspruch einer evangelikalen Keuschheitsbewegung ist: "In dem Glauben, dass wahre Liebe wartet", heißt es dort, "verpflichte ich mich vor Gott, gegenüber mir selbst, meiner Familie, meinen Freunden, meinem zukünftigen Ehepartner und meinen künftigen Kindern, von diesem Tag an sexuell enthaltsam zu leben bis zum Tag meiner kirchlichen Heirat."
Just don't leave
Don't leave
Ein solches Gelübde liegt dem Sänger, so darf man vermuten, eher fern - er hat ganz andere Probleme. Das geliebte Du scheint ihm zu entgleiten wie ein Geist. "Geh nicht", ruft er - doch das Echo seiner Worte verhallt nur in einem gewaltigen, kathedralenartigen Klangraum.
I'm not living
I'm just killing time
Vielleicht liegt in diesem immensen Hallraum aber auch ein kleiner Trost: Schließlich handelt es sich bei diesem akustischen Phänomen im Wortsinn um ein "Wieder-Klingen" - um Re-sonanz. Und wenn man dem Soziologen Hartmut Rosa folgen will, liegt hierin die Grundbedingung für ein gelingendes Leben: "Resonanz", schreibt er in seinem gleichnamigen Buch, sei eine "Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren."
Just don't leave
Don't leave
Das Subjekt singt und bringt die Welt damit zum Schwingen. Vielleicht nicht mehr die Seele des geliebten Du - aber doch immerhin ein Kirchenschiff voller Fans. Und die Saiten seines Pianos.