Florjan Lipuš: "Seelenruhig. Erzählung"
Aus dem Slowenischen von Johann Strutz mit einem Nachwort von Fabjan Hafner
Jung und Jung, Salzburg und Wien 2017, 112 Seiten, 18 Euro
Ein Lebensgedicht in Prosa
Florjan Lipus ist in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden, er stammt aus Österreich, schreibt aber auf Slowenisch. Mit "Seelenruhig" ist nun sein neues Werk erschienen. Erneut thematisiert er darin die Tragik in seiner Familie.
Im Bett stieben die Funken. Kurze, "kleine Blitze jagten mit kaum hörbarem Pfeifen und Zischen" aus den Fingernägeln. Schlagartig ist dem staunenden Erwachenden klar, dass ein seit Jahren unterbrochener Strom in ihm wieder zum Leben erwacht ist. Gutgelaunt blickt er dem Tag entgegen.
Florjan Lipuš hat schon mehrmals angekündigt, nicht mehr schreiben zu wollen. So wie die Blitze aus den Fingernägeln drängt seine neue Erzählung "Seelenruhig" aus dem Erzähler heraus, der dem Autor sehr nahe steht. Mit Blitzen endete in der Jugend seine Einsamkeit und begann das Hingezogensein zur Schönheit, zu den Frauen. Zugleich aber wurde die Abgrenzung gegen die anderen notwendig, gegen die Bösen, die Hasserfüllten und die Rechthaber. Die Blitze lassen diesen Konflikt wieder aufleben. Das ganze Leben mit seinem "Gefühl der Verlorenheit" und allem anderen kehrt wieder. Lipuš ist ein "Schriftsteller, der sein ganzes Leben an ein und demselben Text schreibt".
Schmerzende Lebenswunden
Tatsächlich erkennt der Leser das meiste wieder: Die von der Gestapo abgeholte und im KZ Ravensbrück umgebrachte Mutter, der an Hitlers Ostfront verstummte Vater, die mit der sterbenden Großmutter in der Berghütte zurückgebliebenen, hilflos fast verhungernden Kinder, der als christliche Erziehung getarnte Versuch, im Internat den Willen zu brechen, die gefährliche Feindschaft der dumpfen Dorfbewohner gegenüber der slowenischen Minderheit in Österreich, zu der Lipuš' Erzähler und Protagonisten zählen – diese schmerzenden Lebenswunden sind aus dem furiosen Romandebüt "Der Zögling Tjaž"(1972) bekannt, sie kehren wieder in "Die Beseitigung meines Dorfes", in "Die Verweigerung der Wehmut", in "Boštjans Flug" und finden sich auch in den Erzählungen, den "Tschuschengeschichten".
Allerdings werden sie jeweils anders akzentuiert, beleuchtet und komponiert. Lipuš rechnet noch einmal ab, um seelenruhig zu werden. Die ermordete Mutter, der unerreichbare traumatisierte Vater und die sterbende Großmutter mit ihren Geheimzeichen werden ihm nun zu mythischen Gestalten. Sie laden den Erzähler ein ins Totenreich.
Ein fast liturgisch anmutende Prosa
Lipuš, der 1937 in Kärnten geboren und erst 1981 durch Peter Handkes und Helga Mračnikars Übersetzung des "Zögling Tjaž" aus dem Slowenischen ins Deutsche berühmt wurde, schreibt eine liturgisch anmutende Prosa: rhythmisch und konzentriert, voller Wiederholungen von Wendungen und Begriffen, die in stets anderen Bezügen auftauchen. In Absätzen, die meist eine Seite lang sind, kreist die Erzählung wie ein schon oft geführtes, aber keinesfalls müdes Selbstgespräch um Lust und Leid eines Lebens, dessen Anfang und Ende sich ineinander schieben.
Zur Welt der Toten tritt eine äußerst konkrete ländliche Welt hienieden, in der nicht nur Pferde, sondern auch die Menschen "Trense und Zügel" tragen. Der Erzähler und durch ihn der Autor nimmt sich das Geschirr selbst ab durchs Erinnern, durch das anders Erinnern und durch das Schreiben. Der Weg wird frei. "Seelenruhig", von Johann Strutz übertragen, ist ein mal strenges, mal hymnisches Lebensgedicht in Prosa.