Flower Power um 1900
Um 1900 herrscht in der europäischen Kunstszene Aufbruchstimmung: Die Jugendstil-Bewegung strebt nach der Einheit von Kunst und Leben. Dass die große Reformbewegung der Moderne auch im Dreiländereck zwischen Karlsruhe, Straßburg und Basel unübersehbare Spuren hinterlassen hat, zeigt eine große Ausstellung im Karlsruher Schloss.
Schönheitstrunken und versonnen steht sie in der Dämmerung, eine junge Frau, ätherisch schlank in einem luftig langen Kleid, den Blick gesenkt auf eine frisch gepflückte Iris in der zarten Hand. Ein Wesen wie aus einer anderen, besseren Welt. Flower Power um 1900 - selbst die Frisur gleicht einer stilisierten Irisblüte.
Davon träumten damals viele, und die Männer malten sich ihre Mädchen zurecht, wie der Elsässer Jean-Jacques Waltz sein tugendhaft gezähmtes Blumenmädchen. Männerphantasien eben. Zumindest im Bild behielt man so die Kontrolle über das weibliche Geschlecht. Andere Künstler verklärten die Frau zur dämonischen Männerfresserin und Ehebrecherin, zur gefährlichen femme fatale.
Die Wirklichkeit sah anders aus. Es gab die Frau, die Fahrrad fuhr und Tennis spielte, die Sport trieb, rauchte und studieren durfte, die einen Beruf ergriff, und sei es den der Künstlerin. Der Jugendstil war weiblich, eine sanfte Revolution mit floralen Dekors und fließenden Formen, der Stil der neuen Zeit; der Jugendstil versprach den Aufbruch und die Reform des Lebens ästhetisch zu organisieren, und es ist kein Zufall, dass die Schau die Rolle der Frau in den Mittelpunkt rückt.
Opposition gegen den Mief der Kaiserzeit, das war die schöne Theorie. Doch in der Praxis, stellt Museumschef Harald Siebenmorgen klar, war der Jugendstil auch ein von der neuen Gestaltungsindustrie propagierter Wirtschaftsfaktor.
"Getragen hat den Jugendstil vor allem das Bürgertum, und da einzelne, weitsichtige Unternehmen. Und man darf übrigens auch eines nicht übersehen: Die Jugendstilkunst ist selber oft bürgerliches Unternehmertum. Es war eine Emanzipation, wo das Bürgertum auch gegenüber dem Adel sozusagen die Führung in Geschmacksfragen an sich gerissen hat."
Gleichwohl kam der Jugendstil auch im Alltag an, zumindest in den bürgerlichen Schichten. Herzstück der Schau ist eine komplett eingerichtete Jugendstilwohnung mit Eingangshalle und Salon, mit Boudoir, Musik- und Herrenzimmer, mit Kinderzimmer und Schlafraum bis hin zur grün bepflanzten Veranda und schließlich einem üppig ausgestatteten Speisezimmer, in dem Kuratorin Flawia Figiel sogar den Tisch gedeckt hat:
"Das ist ein Raum, wo wahrscheinlich dem Besucher ein bisschen schwindlig wird, wenn er da vorne steht. Aber das ist ein typischer Raum wie es ihn damals gab. Es gab sehr selten Räume mit weißen Wänden, das gab es erst in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Vorher waren die Räume meistens tapeziert, eben mit Blumen um 1900, gerade Jugendstil so typisch, und man hatte keine Probleme, noch auf diese blumigen Tapeten Bilder, und zwar viele Bilder zu hängen."
Schöne Möbel, schwelgerischer Luxus - es ist ohnehin ein bisschen viel, was da auf den Besucher einstürmt: Architekturmodelle, Fotos und Entwürfe, Grafiken und Gemälde, Plakate und Skulpturen, Glasfenster und Keramiken, Textilien und Tapeten, Gebrauchsgeräte, Vasen und Geschirr, und das alles auch noch illustriert und erläutert mit Schautafeln, Filmen und Musik. So hat man alle Mühe, die über 800 eng platzierten Ausstellungsstücke zu sortieren und die regionalen Besonderheiten zu goutieren.
Karlsruhe, Straßburg, Basel - in jeder der drei Städte am Oberrhein gab es regionale Besonderheiten. Den Jugendstil der Gegend gibt es nicht. In Karlsruhe taten sich der Universalgestalter Hermann Billing und das ambitionierte Architekturbüro Curjel und Moser hervor; letzteres baute nicht nur schmucke Villen auf eigene Rechnung, um sie dann zu vermarkten, sondern auch den Bahnhof in Basel.
Billing entwarf grandiose Gebäude wie die Mannheimer Kunsthalle, die Karlsruher Majolika-Manufaktur produzierte hochwertige Künstlerkeramik, und auch das benachbarte Pforzheim, die Goldstadt, hat man in die Schau mit einbezogen.
"Um 1900 gab es keine andere Stadt, die in einem solchen Ausmaß Schmuck produziert hat. 24.000 Personen haben in den Bijouterie- und Juwelier- und Goldschmiedefirmen gearbeitet."
Sechzig Schmuckstücke sind hier ausgestellt, die ganze Bandbreite des Geschmacks von hochkarätigen Kreationen bis zur Massenware.
Das von Deutschland annektierte Straßburg hatte einen Sonderstatus. Zwar befand sich im lothringischen Nancy ein französisches Zentrum des Jugendstils, doch auf der Suche nach seiner politischen und kulturellen Identität orientierte sich das Elsass mehr am deutschen Nachbarn.
"Bei dieser Suche haben sich auch die Künstler und Architekten beteiligt. Von der künstlerischen Seite versucht man das Verbindende, von der Politik her hat man sich sehr von Frankreich abgegrenzt. Die Grenze zwischen Elsass und Frankreich war so wirksam und für Firmen so problematisch, vor allem wegen Zoll, dass die Pariser Firma Christofle in Karlsruhe ihre Filiale gegründet hat, um eben den deutschen Markt zu bedienen. Einfach die Produkte aus Paris zu bringen, war wegen des Zolls zu teuer."
Basel schließlich, die Bank- und Geldstadt. Mit der Sinnlichkeit des Jugendstils taten sich die calvinistisch geprägten Schweizer sichtlich schwer. Aber auch hier florierten neben der Textilindustrie formale Experimente wie das organisch gebaute Goetheanum des Anthroposophen Rudolf Steiner. Geld war da, die Gegend am Oberrhein gehörte damals zu den reichsten weit und breit.
"Vielleicht ist es überhaupt damit zu erklären, dass der Jugendstil so einen enormen Erfolg hatte, weil es genug Leute gab, die es sich leisten konnten, ihn zu kaufen."
Etwas benommen kommt man aus der Schau heraus. Sie zeigt die kurze Blüte einer Kulturlandschaft, in der Kunst und Politik, Wirtschaft und Geschichte auf verwirrend komplizierte Weise miteinander verflochten sind. Den ersten Weltkrieg, der das Pflänzchen mit Stiefeltritten wieder zertrampelte, haben die Künstler mit ihrem Traum von der Durchdringung von Kunst und Leben nicht verhindern können. Das Bauhaus hat das Erbe später aufgegriffen. Und auch die Blumenmädchen kamen später wieder und haben den Traum weitergeträumt.
Service:
Die Ausstellung "Jugendstil am Oberrhein - Kunst und Leben ohne Grenzen" zeigt das Badische Landesmuseum Karlsruhe im Karlsruher Schloss bis zum 8. August 2009.
Davon träumten damals viele, und die Männer malten sich ihre Mädchen zurecht, wie der Elsässer Jean-Jacques Waltz sein tugendhaft gezähmtes Blumenmädchen. Männerphantasien eben. Zumindest im Bild behielt man so die Kontrolle über das weibliche Geschlecht. Andere Künstler verklärten die Frau zur dämonischen Männerfresserin und Ehebrecherin, zur gefährlichen femme fatale.
Die Wirklichkeit sah anders aus. Es gab die Frau, die Fahrrad fuhr und Tennis spielte, die Sport trieb, rauchte und studieren durfte, die einen Beruf ergriff, und sei es den der Künstlerin. Der Jugendstil war weiblich, eine sanfte Revolution mit floralen Dekors und fließenden Formen, der Stil der neuen Zeit; der Jugendstil versprach den Aufbruch und die Reform des Lebens ästhetisch zu organisieren, und es ist kein Zufall, dass die Schau die Rolle der Frau in den Mittelpunkt rückt.
Opposition gegen den Mief der Kaiserzeit, das war die schöne Theorie. Doch in der Praxis, stellt Museumschef Harald Siebenmorgen klar, war der Jugendstil auch ein von der neuen Gestaltungsindustrie propagierter Wirtschaftsfaktor.
"Getragen hat den Jugendstil vor allem das Bürgertum, und da einzelne, weitsichtige Unternehmen. Und man darf übrigens auch eines nicht übersehen: Die Jugendstilkunst ist selber oft bürgerliches Unternehmertum. Es war eine Emanzipation, wo das Bürgertum auch gegenüber dem Adel sozusagen die Führung in Geschmacksfragen an sich gerissen hat."
Gleichwohl kam der Jugendstil auch im Alltag an, zumindest in den bürgerlichen Schichten. Herzstück der Schau ist eine komplett eingerichtete Jugendstilwohnung mit Eingangshalle und Salon, mit Boudoir, Musik- und Herrenzimmer, mit Kinderzimmer und Schlafraum bis hin zur grün bepflanzten Veranda und schließlich einem üppig ausgestatteten Speisezimmer, in dem Kuratorin Flawia Figiel sogar den Tisch gedeckt hat:
"Das ist ein Raum, wo wahrscheinlich dem Besucher ein bisschen schwindlig wird, wenn er da vorne steht. Aber das ist ein typischer Raum wie es ihn damals gab. Es gab sehr selten Räume mit weißen Wänden, das gab es erst in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Vorher waren die Räume meistens tapeziert, eben mit Blumen um 1900, gerade Jugendstil so typisch, und man hatte keine Probleme, noch auf diese blumigen Tapeten Bilder, und zwar viele Bilder zu hängen."
Schöne Möbel, schwelgerischer Luxus - es ist ohnehin ein bisschen viel, was da auf den Besucher einstürmt: Architekturmodelle, Fotos und Entwürfe, Grafiken und Gemälde, Plakate und Skulpturen, Glasfenster und Keramiken, Textilien und Tapeten, Gebrauchsgeräte, Vasen und Geschirr, und das alles auch noch illustriert und erläutert mit Schautafeln, Filmen und Musik. So hat man alle Mühe, die über 800 eng platzierten Ausstellungsstücke zu sortieren und die regionalen Besonderheiten zu goutieren.
Karlsruhe, Straßburg, Basel - in jeder der drei Städte am Oberrhein gab es regionale Besonderheiten. Den Jugendstil der Gegend gibt es nicht. In Karlsruhe taten sich der Universalgestalter Hermann Billing und das ambitionierte Architekturbüro Curjel und Moser hervor; letzteres baute nicht nur schmucke Villen auf eigene Rechnung, um sie dann zu vermarkten, sondern auch den Bahnhof in Basel.
Billing entwarf grandiose Gebäude wie die Mannheimer Kunsthalle, die Karlsruher Majolika-Manufaktur produzierte hochwertige Künstlerkeramik, und auch das benachbarte Pforzheim, die Goldstadt, hat man in die Schau mit einbezogen.
"Um 1900 gab es keine andere Stadt, die in einem solchen Ausmaß Schmuck produziert hat. 24.000 Personen haben in den Bijouterie- und Juwelier- und Goldschmiedefirmen gearbeitet."
Sechzig Schmuckstücke sind hier ausgestellt, die ganze Bandbreite des Geschmacks von hochkarätigen Kreationen bis zur Massenware.
Das von Deutschland annektierte Straßburg hatte einen Sonderstatus. Zwar befand sich im lothringischen Nancy ein französisches Zentrum des Jugendstils, doch auf der Suche nach seiner politischen und kulturellen Identität orientierte sich das Elsass mehr am deutschen Nachbarn.
"Bei dieser Suche haben sich auch die Künstler und Architekten beteiligt. Von der künstlerischen Seite versucht man das Verbindende, von der Politik her hat man sich sehr von Frankreich abgegrenzt. Die Grenze zwischen Elsass und Frankreich war so wirksam und für Firmen so problematisch, vor allem wegen Zoll, dass die Pariser Firma Christofle in Karlsruhe ihre Filiale gegründet hat, um eben den deutschen Markt zu bedienen. Einfach die Produkte aus Paris zu bringen, war wegen des Zolls zu teuer."
Basel schließlich, die Bank- und Geldstadt. Mit der Sinnlichkeit des Jugendstils taten sich die calvinistisch geprägten Schweizer sichtlich schwer. Aber auch hier florierten neben der Textilindustrie formale Experimente wie das organisch gebaute Goetheanum des Anthroposophen Rudolf Steiner. Geld war da, die Gegend am Oberrhein gehörte damals zu den reichsten weit und breit.
"Vielleicht ist es überhaupt damit zu erklären, dass der Jugendstil so einen enormen Erfolg hatte, weil es genug Leute gab, die es sich leisten konnten, ihn zu kaufen."
Etwas benommen kommt man aus der Schau heraus. Sie zeigt die kurze Blüte einer Kulturlandschaft, in der Kunst und Politik, Wirtschaft und Geschichte auf verwirrend komplizierte Weise miteinander verflochten sind. Den ersten Weltkrieg, der das Pflänzchen mit Stiefeltritten wieder zertrampelte, haben die Künstler mit ihrem Traum von der Durchdringung von Kunst und Leben nicht verhindern können. Das Bauhaus hat das Erbe später aufgegriffen. Und auch die Blumenmädchen kamen später wieder und haben den Traum weitergeträumt.
Service:
Die Ausstellung "Jugendstil am Oberrhein - Kunst und Leben ohne Grenzen" zeigt das Badische Landesmuseum Karlsruhe im Karlsruher Schloss bis zum 8. August 2009.