Bauen im Aufnahmezustand
Hunderttausende Menschen sind neu in Deutschland angekommen. Die Notunterkünfte für die Flüchtlinge sind in der Regel Provisorien. Jenseits dieser Übergangslösungen hat die langfristige Stadtplanung bisher noch nicht reagiert.
Brandlhuber: "Man muss bauen."
Pätzold: "Bauen, bauen, bauen."
Brandlhuber: "Und das muss nicht heißen, dass das die übliche Containerästhetik mit sich bringt."
Pätzold: "Was kommt nach der Erstaufnahme eigentlich?"
Pronold: "Und es werden Übergangslösungen an vielen Stellen zu Dauerlösungen werden."
Friedrich: "Das politische Interesse war, glaube ich, minus null."
Assam: "Das Aussehen von Containern ist nun mal, dass sie dafür gemacht sind, Waren aufzunehmen, die dann auf einem Lkw in den Hafen kommen."
Jahn: "Das macht was mit den Menschen, das macht es nicht unbedingt besser."
Kreichauf: "Die Unterbringung ist der Ort, an dem diskriminierende und auf Exklusion setzende Gesetzgebungen im Raum deutlich werden."
Rani: "Ein menschenwürdiges Leben, eine Wohnung, oder nur ein Zimmer. Eine Tür, das ist wichtig."
Sommer 2015, Berlins Sozialsenator Mario Czaja in der Abendschau des rbb-Fernsehens:
"Wir reden überall in Deutschland aktuell nicht mehr über die Frage, wie gut ist eine Unterkunft, sondern nur noch über die Frage, haben wir eine Unterkunft."
Die Architektur von Flüchtlingsunterkünften ist in Deutschland geprägt von der Ästhetik des Provisoriums, die meisten Einrichtungen sind nur temporär geschaffene Bauwerke, schnell zusammengezimmert, schnell wieder einzureißen. Das gilt nicht nur für die aktuelle Notlage, das Konzept zur Unterbringung von Geflüchteten ist schon viele Jahre geprägt von Modulbauten, Containern, ehemaligen Kasernen, umzäunten Arealen, weit ab vom Schuss.
Und es wird gestapelt, Kiste auf Kiste gereiht, so viel, dass Wohncontainer in Deutschland bereits Mangelware sind. Das größte Provisorium entsteht aber gerade in Berlin in und am ehemaligen Flughafen Tempelhof.
Kipp: "In diesen Hangar leben um die 620 Menschen, jeweils zwölf Personen in einem Zimmer, 25 Quadratmeter. Zurzeit gibt es in den Kabinen nur Betten, das heißt, die Leute haben im Moment noch nicht die Möglichkeit ihre Sachen einzuschließen, beziehungsweise keinen Tisch, keinen Stuhl, wie es Standard ist für längerfristige Unterkunft."
"Eine Tür, das ist wichtig. Hier gibt es keine Türen."
Maria Kipp vom Betreiber Tamaja führt durch einen der Hangars. Rani al-Samor ist einer der Bewohner. Während er von den Bedingungen im Tempelhof berichtet, kommen andere Bewohner hinzu. Einer gibt auf Arabisch und mit den Händen zu verstehen: Es stinkt im Hangar. Denn die riesigen Flugzeughallen zu beheizen ist schwierig, sie zu belüften noch schwieriger. Samor übersetzt:
Samor: "Das ist Deutschland? Und es gibt keine Lösung?"
Fragt man Samor, wie er gern wohnen würde, hat er ganz einfache Wünsche.
Samor: "Es ist mir ziemlich egal, ein menschenwürdiges Leben, eine Wohnung, oder nur ein Zimmer. Eine Tür, das ist wichtig. Hier gibt es keine Türen."
Ungefähr 2000 Leute sind momentan im Flughafen Tempelhof untergebracht. Bis zu 7000 sollen es werden. Eine Kleinstadt. Der Berliner Senat hat vage Pläne vorgelegt, für das, was dort provisorisch gebaut werden soll.
Wang: "Mein Name ist Wilfried Wang, stellvertretender Direktor der Sektion Baukunst der Akademie der Künste."
Anfang des Jahres wurden die Pläne auf einer Bürgerversammlung diskutiert, mit vielen Wortmeldungen aus dem Publikum:
Wang: "Es ist unglaublich. Ich, als Professor für Architektur, wenn ich einen Entwurf dieser Art im ersten Semester sehen würde … ich würde den Architekten oder den Studenten nach Hause schicken."
Moderator: "Danke für die Anmerkung. Das war klar."
Bauen im Aufnahmezustand – was kann Architektur und Stadtplanung leisten? Kann eine kluge "Willkommensarchitektur" das Ankommen, die Integration in die Gesellschaft fördern? Fest steht: Hunderttausende Menschen sind neu in Deutschland angekommen. Jenseits der Notunterkünfte muss auch jetzt schon mittel- und langfristig geplant werden. Neuer Wohnraum für Hunderttausende Menschen muss entstehen.
Pätzold: "Und das heißt natürlich, bauen, bauen, bauen. Zurzeit ist eigentlich die Frage, wie angesichts des großen Bedarfs wie man da eine Balance findet aus dem, was man wirklich vermeiden sollte und den super tollen Vorstellungen, wie man das auch machen sollte, die man in der Zeit vielleicht auch nicht hinkriegt, so ne Mischung aus Idealismus, Pragmatismus, Zynismus sicher an manchen Orten."
Ricarda Pätzold, vom Deutschen Institut für Urbanistik, einem Art stadtplanerischen Think-Tank der Länder und Kommunen. Was bauen? Der Beratungsbedarf bei den Kommunen ist hoch, sagt Pätzold.
Pätzold: "Wir kommen mit Idealvorstellungen sicher allein nicht weiter, aber man sollte sie nicht gleich alle aufgeben und sagen, jetzt ist die Zeit des großen Stapelns ausgebrochen und wir vergessen erst mal fünf Jahre lang das, was wir eigentlich über guten Städtebau oder gute Quartiersentwicklung gelernt haben."
Brandlhuber: "Die Wohnungsbaugesellschaften sind in dieser Form völlig überfordert, nen Wohnungsbau auch neu zu erfinden, der über das ihnen bekannte im Bestand verwaltete Modell von Wohnen hinausgeht."
Arno Brandlhuber, Architekt aus Berlin. Seit Jahren beschäftigt er sich damit, wie guter Wohnraum zu günstigen Mieten errichtet werden kann.
Brandlhuber: "Und es wäre jetzt genau der Punkt, wo es um so viele Neubaueinheiten geht, dass man mindestens zehn Prozent auch als Lernen, als Arbeit an der Typologie Wohnen versteht. Erst, wenn man die Modelle baut und durch Wohnen, durch Nutzung ertestet, kann man sie evaluieren, das heißt, wer jetzt zurückgeht auf ein möglichst gesichertes Produkt, wird alle Fehler sozusagen, die wir aus der jetzigen Perspektive sehen können, eben genau wiederholen."
Pätzold: "Da gibt es kein Instrument, das das plötzlich wie von Zauberhand auflöst, den Knoten platzen lässt und plötzlich wachsen wie bei Minecraft die Wohngebiete aus dem Boden, das ist nicht so."
Schnell geht es bei den langen Planungszyklen des Bauens nicht, warnt Pätzold vor zu viel Ad-hoc- Maßnahmen. Doch viel Zeit bleibt auch nicht. Günstiger Wohnraum, nicht nur für Flüchtlinge, ist knapp. Zwar gibt es einen Leerstand von rund zwei Millionen Wohnungen, die meisten auf dem Land, bis zum Herbst 2015 wurde sogar der Rückbau von Wohnraum in schrumpfenden Städten staatlich gefördert – es gibt also keinen allgemeinen Wohnungsmangel. Aber einen regionalen. 350.000 bis 400.000 Wohnungen müssen jährlich bundesweit gebaut werden – so die Prognosen.
Jahn: "Ich hab die große Befürchtung, dass wir letztendlich alle Neubauten an die Ortsränder setzen, in Gewerbegebiete setzen, letztlich so ne Art Kasernierung entsteht, besser gesagt, wahrscheinlich Ghettoisierung müsste man das nennen, was ich für hochproblematisch halte, weil so natürlich keine Integration stattfindet."
Holger Jahn, Professor am Fachbereich Design der Fachhochschule Potsdam. Wo und wie gebaut wird, hat also entscheidenden Einfluss auf die Zukunft unserer Städte: Wird neuer Wohnraum so gebaut, dass sogenannte Problemviertel entstehen oder so, dass die Integration, das Ankommen gelingen kann? Schnell, gut und günstig Bauen – welche historischen Vorbilder gibt es?
Pätzold: "Das ist ja diese Rückkehr – gedanklich zumindest – in die 1920er-Jahre, wo ja mit Reformstädtebau genau solche Ziele verfolgt wurden."
Schmal: "Vor 90 Jahren hieß das: Das Wohnen für das Existenzminimum. Damals wurden in fünf Jahren Zwölftausend Wohnungen in Frankfurt gebaut, auf der grünen Wiese, inzwischen sind das sehr beliebte Viertel und da wohnen nun nicht mehr nur Menschen am Existenzminimum sondern auch ganz andere Leute, weil diese Wohnungen auf 60qm mit zwei Stockwerken mit eigenen Garten, Qualitäten bieten bei sehr vernünftigen Preisen."
Und nach dem zweiten Weltkrieg wurden rund zwölf Millionen Flüchtlinge vor allem im ländlichen Gebieten angesiedelt. Schlichte Architektur, an den Siedlungsrändern – in vielen Orten wuchs die Einwohnerzahl durch die Neuankommenden in dieser Zeit um 25, um 30 Prozent.
Vorbilder für die Gegenwart? Der stadtplanerische und architektonische Beratungsbedarf ist hoch: Wer entwickelt die Wohnformen für Flüchtlinge heute? Alles unter der Vorgabe schnell, günstig – und trotzdem gut.
An Fachhochschulen in Oldenburg, Saarbrücken, Münster und Potsdam, an Unis in Wien, Berlin und München wird geforscht, geplant und gebaut. Architekturprofessors Jörg Friedrich leitet ein solches Projekt an der Universität Hannover:
Friedrich: "Die Behauptung der Stadt, dass sie das nicht schafft, sollte widerlegt werden, durch einfach raffinierte, geschickte studentische architektonische Entwürfe, wir wollten aber auch die Forderungen einhalten, die auch die Stadt einhalten muss, nämlich die Quadratmeterbeschränkung, Flächenbeschränkung, Kostendisziplin. Und daraus sollten dann unterschiedliche Modelle entstehen, die nachweislich keine Containerbauten sind und auch keine Häuser auf Zeit."
Architekturstudenten entwerfen Unterkünfte mit Begegnungsräumen
Die Studenten sind in der letzten Konzeptionsphase, im Sommersemester sollen drei bis vier Entwürfe auf einem Uniparkplatz und dem Dach des Dekanats errichtete werden. Fabian Wieczorek und Paul Eichholz tüfteln mit ihrer Gruppe an einem rechteckigen Haus für zehn Menschen, das sich trotzdem stark von der Containerästhetik unterscheiden soll:
Wieczorek: "Man denkt halt immer in Boxen, weil die Box ist das einfachste, was ich architektonisch herstellen kann. Und wie kann ich die trotzdem spannend machen, nicht nur vier Wände und nen Dach drauf machen, das war die Frage. Und da sind wir auf diesen hohen Luftraum gekommen, diesen hohen Luftraum, der sicherlich erst mal luxuriös gedacht ist, aber in dem man das ganz richtig gewichtet zwischen privaten und öffentlichen Flächen, kann das ganze trotzdem funktionieren."
Der Entwurf lebt von einem zentralen Gemeinschaftsraum, der nach oben offen ist und von einem Dachfenster Licht bekommt.
Eichholz: "Zentraler Punkt bei unserem Entwurf ist halt auch, dass wir den privaten Rückzugsraum ganz klar geben wollen, ihn aber so klein halten wollen wie möglich, damit wir so viel Fläche wie möglich schaffen können, um sich begegnen zu können, denn das ist ja der Punkt, wenn wir über Flüchtlingsarchitektur reden, reden wir über sehr begrenzte Flächen."
Sechs bis neun Quadratmeter pro Person im Schnitt. Allerdings schreiben nur gut die Hälfte der Bundesländer Mindeststandards vor, so eine Studie von Pro Asyl aus dem Jahr 2014. Meist sollen sich demnach maximal vier Menschen ein Zimmer teilen. Die Studenten planen hingegen kleine Einzelzimmer, mitsamt der Gemeinschaftsfläche habe jeder Bewohner voraussichtlich etwa 14 Quadratmeter zur Verfügung. Inspiriert sei die Konstruktion in Holzrahmenbauweise auch von der Wohntypologie in Syrien, von der ein Flüchtling berichtet habe, erzählt Wieczorek, diese lebe auch von einem zentralen Gemeinschaftsraum. Von mancher Idee müssen sich die Studenten aus Kostengründen wieder verabschieden.
Wiezcorek: "Man kann das am besten daran erklären, dass wir ein ganz großes Oberlicht über diesem Innenraum hatten bei der ersten Konzeptphase, wenn man das Dach nimmt, hier, was natürlich so nie umsetzbar ist, das ist viel zu groß, viel zu teuer, das trägt nicht. Und da haben wir jetzt gesagt, der Luftraum ist das wichtige und dann machen wir das Fenster halt kleiner."
700 bis 900 Euro pro Quadratmeter soll der Bau schließlich kosten, ein Bruchteil von dem, was man mittlerweile für Container zahle, so Friedrich.
Friedrich: "Die liegen heute aufgrund des angespannten Marktes bei Preisen von guten Einfamilienhäusern in Hamburger Villenvorgegenden, bei 3500, 2900 Euro pro Quadratmeter."
Das Minimale fein zu machen, das ist der Anspruch des Professors und seiner Studenten. Manchmal kommen sie dabei an die Grenzen des zulässigen, berichtet Wiezcorek.
Wiezcorek: "Wir haben hier ne Chance, in diesem Unirahmen mit diesen Prototypen auch einfach mal was zu wagen. In diesem Entwurf sind zum Beispiel im Moment keine Treppen drinnen, sondern Leitern, und da würde das deutsche Baurecht natürlich sagen, was macht ihr hier, da sagen wir aber: Wir müssen einfach neue Wege finden, neue Räume machen und dann machen wir halt Leitern und das ist einfach nen Vorschlag, und wer, wenn nicht wir als Studenten, sollen das vorschlagen?"
Das Problem:
Friedrich: "Das politische Interesse war glaub ich minus null, ich glaub, das interessiert hier keinen."
Unterstützung erhält Friedrich von Bürgern aus Hannover, und ein privater Investor aus München habe bereits sein Interesse angekündigt. Die Prototypen sollen sich später vorgefertigt vom Band weg überall in der Republik aufbauen lassen.
Modulares Bauen scheint das Schlagwort der Stunde: schnell anpassbar, leicht erweiterbar und flexibel zu nutzen: Erst Flüchtlingsheim, später Studentenwohnheim. Schon kursiert das Schimpfwort Platte 2.0: Florian Pronold, der Parlamentarische Staatssekretär im SPD-geführten Bundesbauministerium, widerspricht:
Pronold: "Viele haben die Sorge, dass wir Plattenbau 2.0 machen. Und genau das soll nicht passieren. Das, was man heute seriell vorfertigen kann, hat auch einen ganz riesigen Individualisierungsgrad."
Zentral dabei für viele Planer: Im städtischen Raum, nicht in der Peripherie. Friedrich und seine Studenten haben die Stadt nach Flächen durchforstet, auf denen aufgestockt und nachverdichtet werden kann: In Innenhöfen, auf Flachdächern.
Friedrich: "Wichtig ist eigentlich, dass wir den Raum schaffen, den wir nicht haben, in einem innerstädtischen Bereich und dazu müssen andere planungsrechtliche Voraussetzungen tatsächlich geschaffen werden. Wir müssen uns darüber klar werden, dass die Städte verdichtet werden müssen und dass wir nicht auf dem freien Land sozusagen die Leerstände mit Flüchtlingen voll kippen können."
"Es werden Übergangslösungen an vielen Stellen zu Dauerlösungen werden"
Die Länder und Kommunen sind zwar für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig, doch das Bauplanungsrecht, die Frage, wo Bauflächen ausgewiesen werden können, ist Bundessache. Der Bund hat auf Drängen der Länder das Planungsrecht binnen kurzer Zeit zwei mal novelliert, das Gesetzgebungsverfahren zur zweiten Novelle war eines der schnellsten in der Geschichte. Jetzt ist es für die Kommunen, begrenzt bis 2019, sehr viel einfacher, an bisher ungewohnten Standorten neue Flächen für Flüchtlingsunterkünfte auszuweisen.
Pronold: "Wenn beispielsweise in einem Hotel im Gewerbegebiet Flüchtlinge untergebracht werden sollten, dann ging das nicht, das geht jetzt."
… erklärt Staatssekretär Pronold. Auch auf Verkehrs- und Landwirtschaftsflächen darf jetzt gebaut werden, allerdings nur für Flüchtlingsheime, da die als Sondernutzung gelten. Normaler Wohnungsbau ist nicht möglich.
Pätzold: "Das kann es jetzt nicht sein, dass wir wieder nicht nur Zweiklassen-, sondern das wahrscheinlich Fünfklassenwohnen einführen und sagen, es gibt einfach Leute, die in den Mau-Mau-Siedlungen wohnen und das ist dann Flüchtlingsarchitektur, weil das kennen ja wahrscheinlich die Älteren noch aus den Berichten oder auch aus der eigenen Erfahrung nach dem Zweiten Weltkrieg, da gab es ja auch die diversen Siedlungen, die schlecht beleumundet waren, und das muss man ja nicht wiederholen."
Pronold: "Es werden Übergangslösungen an vielen Stellen zu Dauerlösungen werden, obwohl wir das nicht wollen, aber Not kennt kein Gebot."
Die Provisorien werden meist nach Substandards errichtet, die Energieeinsparverordnung etwa gilt nicht für Traglufthallen, Zelte und provisorische Gebäude. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten, aber auch sozial und ästhetisch fragwürdig. Die Kommission Nachhaltiges Bauen am Umweltbundesamt warnt vor einer Verstetigung. Auch der Berliner Architekt Arno Brandlhuber befürchtet, dass mit den Ausnahmeregelungen die Standards für sozialen Wohnungsbau unterwandert werden:
Brandlhuber: "Wenn man davon ausgeht, dass Stadt immer eine heterogene Situation ausbilden sollte, auch ne Flüchtlingsunterbringung zumindest in nem sehr kurzen Zeitraum, sagen wir mal drei bis fünf Jahren, nen gemischtes Quartier sein sollte, macht es natürlich keinen Sinn, das dermaßen zu reduzieren, sozusagen ihr dürft nur Wärmeschutzverordnung unterschreiten, wenn es ausschließlich um Flüchtlinge geht, da merkt man immer noch, dass noch nicht verstanden wurde, dass es uns selbst betrifft, es betrifft nicht nur die anderen, sondern es betrifft und selbst, die Standardfragen."
Friedrich: "Wir brauchen keine Ausnahmen, warum soll bei Flüchtlingswohnungen weniger Energie eingespart werden als bei anderen Wohnungen?"
Architekt Jörg Friedrich stimmt zu. Brandlhuber und viele Experten sind aber dafür, die Baustandards generell zu senken. Schallschutz, Parkflächen, Energievorschriften machen das Bauen, so auch die Baukostensenkungskommission, immer teurer. Die Frage der Flüchtlingsunterbringung hat Bewegung in die Standarddiskussion gebracht. Günstiger Wohnraum, nicht nur für Geflüchtete, ist knapp.
Im Sommer wollen Bund und Länder auf einer Sonderbauministerkonferenz Änderungen bei den Umweltauflagen und der staatlichen Förderung im Wohnungsbau voranbringen. Auf eine steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten hat sich der Bund Anfang Februar bereits geeinigt, sie soll private Investoren in den sozialen Wohnungsbau locken. Ein Versuch, der ohne die Fehler aus der Vergangenheit nicht so drängend wäre, meint Ricarda Pätzold:
Pätzold: "Na, alle Kommunen schätzen sich glaube ich grad sehr glücklich, wenn sie der Versuchung widerstanden haben, ihr Unternehmen oder auch entscheidende Zahlen von Wohnungen zu verkaufen, denn mit dem Unternehmen hat man natürlich den direkten Partner an seiner Seite, also keinen, den man bitten, betteln muss, sondern wo man natürlich Mitspracherechte hat, damit lassen sich viele Wohnungsmarktfragen einfach leichter lösen."
Brandlhuber: "Grundstücksfrage und Eigentumsfrage ist maßgeblich"
Der Bund hat die Förderung für den sozialen Wohnungsbau bis 2019 aufgestockt, von 500 Millionen Euro auf eine Milliarde jährlich. Zuletzt forderte Umweltministerin Barbara Hendricks eine Aufstockung auf zwei Milliarden. Brandlhuber weist aber auf ein weiteres mächtiges Steuerungsinstrument in der Hand des Bundes, der Länder und Gemeinden hin:
Brandlhuber: "Ich glaube, die Grundstücksfrage und die Eigentumsfrage ist die Maßgebliche dabei."
Bisher werden Liegenschaften des Bundes, der Länder und der Gemeinden meist an den Höchstbietenden veräußert. Würden diese aber nach sozialen und stadtplanerischen Aspekten vergeben, könnte häufig sehr viel günstiger gebaut werden, so Brandlhuber. Erste Versuche zeigen, dass Bund, Land und Kommunen langsam umdenken.
Hamburg, Ende Januar 2016.
Ausstellungseröffnung: "Herzlich willkommen im Gängeviertel zur Eröffnung von Assem Rahimas Ausstellung 'Von Homs nach Hamburg, Bilder von Flucht und Ankunft'."
Assem Rahima, Innenarchitekt aus Syrien und seit Juni 2015 als Flüchtling in Hamburg, hat seine Erlebnisse in einer Erstaufnahmeeinrichtung gemalt.
Sebaie: "Alle Räume sehen gleich aus."
… sagt Rahimas Neffe Naji al-Sebaie, der für seinen Onkel übersetzt und eine Zeichnung mit zwei Doppelstockbetten erläutert. Ein symbolträchtiges Bild für die Situation der Geflüchteten ist ein überquellender Aschenbecher.
Sebaie: "Das repräsentiert Warten, Warten, weil er sich gefühlt hat, dass jeder Schritt, den er in Deutschland ging, Zeit gebraucht hat, man muss immer warten."
Auch die Verbesserungsvorschläge des Innenarchitekten sind bescheiden:
Sebaie: "Am wichtigsten ist, einen guten Raum zu haben, nicht vier Leute, sondern maximal zwei in einem Raum. Wir hätten gern einen Aufenthaltsraum, mit einem TV oder Tischtennis, wo man ein paar Aktivitäten machen kann, zusammensitzen."
… übersetzt Sebaie. Nach fünf Monaten unter fast 3000 Menschen in der Erstaufnahme leben sie nun in einer kleinen Wohnung.
Kreichauf: "Das ist eine Forderung, die sich zwangsläufig aus den Forschungsergebnissen ergibt. Ich kenne keine Forschung, die zu den Massenunterkünften gemacht wurde, in den letzten 20, 30 Jahren, die nicht darauf hinweist, dass die Massenunterbringung, vor allem auch wegen der Dauer, die die Asylsuchenden verbringen müssen, nicht zur Explosion führt und damit eben integrationsbehindernd ist."
René Kreichauf, Stadtplaner und Soziologe an der Freien Universität Berlin. Unter dem Stichwort "Fürsorgliche Exklusion" setzt er sich wissenschaftlich mit der Massenunterkunft auseinander. Auch die Gewaltausbrüche in Flüchtlingsunterkünften lassen sich vor allem auf die Größe zurückführen. Eine nicht repräsentative, von Experten aber als durchaus aussagekräftig eingeschätzte Studie aus Brandenburg kam 2014 zu dem Ergebnis:
Zitator: Dort wo die bauliche Situation der Gemeinschaftsunterkunft die Unterbringung in kleineren, abgeschlossenen Wohneinheiten erlaubt, die meist über eine eigen Küche und Nasszelle verfügen, sinken die gewalttätigen Auseinandersetzungen gegen null.
Trotzdem handhaben die Länder die Unterbringung höchst unterschiedlich. Einzelne Länder und Kommunen setzten auf die dezentrale Unterbringung. 2013 etwa brachte Rheinland-Pfalz 90 Prozent in Wohnungen unter, Baden-Württemberg nur knapp 34 Prozent.
Baden-Württemberg war es auch, das als erstes Bundesland die Massenunterkunft für Asylbewerber etablierte. In den frühen 1980, als mit steigenden Asylbewerberzahlen auch die Rhetorik an Schärfe gewann. Lothar Späth, der damalige Ministerpräsident, ließ sich zitieren mit: Die Buschtrommeln hätten in Afrika verbreitet: Geht nicht nach Baden-Württemberg, dort müsst ihr ins Lager.
Kreichauf: "… die Etablierung der Massenunterkunft als Ort der Abschreckung. Es ist ein Instrument gewesen und hat sich bis heute mit der fast deckungsgleichen Funktion aufrecht erhalten, MigrantInnen zu kontrollieren, sie an einem zentralen Ort zu konzentrieren und sozusagen schlechte Lebensbedingungen anzubieten mit dem Ziel, glaub in der bayerischen Landesgesetzgebung stand das bis 2013 noch drin, mit dem Ziel, die Geflüchteten zur freiwilligen Ausreise zu motivieren, eben durch diese schlechten Lebensbedingungen."
Schlechte Wohnbedingungen als Abschreckung nach außen und Neidabwehr nach innen:
Cachola Schmal: "Ich habe den Verdacht, dass niemand etwas bauen möchte, das von der Bevölkerung als zu schön angesehen wird. Es soll durchaus marginalisiert aussehen. Visuelle Neidabwehr könnte ein Faktor sein, der in vielen Gemeinden dazu führt, solche Projekte, die sogar billiger sind als andere, nicht zu tun, es geht nicht wirklich um das Nettogeld, es geht darum, was kann ich politisch verkraften, was kann ich politisch durchsetzen, was wird meine Bevölkerung in Ordnung finden."
Wie groß eine Unterkunft ist, spielt aber nicht nur eine Rolle für die, die drin wohnen. Sondern auch für die, die drumherum wohnen, für ganze Städte, betont Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt.
Cachola Schmal: "So lange diese Bauten in einer Größenordnung unter 100, 200 Bewohner sind, sind sie sehr gut in die städtebauliche Matrix einzugliedern. Das dürfte bei Bauten mit 500 und mehr Bewohnern schwieriger werden .Und ich sehe, dass in 2016 wahrscheinlich dieser Teil kommen wird."
Neue Viertel werden entstehen:
Cachola Schmal: "Das Tabu, das Großsiedlungen der Siebziger nachher mit sich brachten, als soziale Brennpunkte und so weiter, wird wahrscheinlich gebrochen werden, wir werden wieder ernsthaft über neue Siedlungen diskutieren, wir werde wieder neue Siedlungen bauen, da bin ich 100 Prozent sicher."
Komplett neue Stadtviertel schüren die Angst vor dem Ghetto, Parallelgesellschaften. Viele Stadtplaner, Architekten und Politiker fordern stets eine "gesunde Mischung". Aber verhindern homogene Stadtviertel die Integration wirklich? Cachola Schmal will mit dem Beitrag des Architekturmuseums zur diesjährigen Architekturbiennale zeigen, dass "Migrantenviertel" als Ankunftsstädte auch Potenzial haben.
Cachola Schmal: "Man kann davon ausgehen, dass es bestimmt Orte sein werden für bestimme Nationalitäten. Weil das bisher schon so war und sich dort eine Community gebildet hat, an der man andocken kann. Wo man Verwandte , Bekannte, Nachbarn und so weiter, also Personen mit einem ähnlichen Hintergrund finden kann, die einem weiterhelfen können auf den ersten Schritten in das neue Leben, in die neue Heimat. Von den Betroffenen aus gesehen sind das nicht Problemviertel, sondern sind das ihre Zukunftsviertel, Hoffnungsviertel. Das sind ihre Sprungbrett in die Gesellschaft. Mit dem Blick auf Deutschland zu schauen, das ist das, was wir auf der Biennale beitragen können."
Kreichauf: "Das migrantische Viertel hat im Prinzip Potenziale für die Integration wenn das migrantische Viertel nicht besteht, weil es meinetwegen ne Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt gibt und es deswegen zu na zwanghaften Konzentration eben dieser MigrantInnen in einem Raum gibt."
Voraussetzung für ein funktionierendes Viertel ist also, dass die Migranten dort freiwillig sind und an das öffentliche Leben, Infrastruktur und Arbeitsmöglichkeiten angebunden sind. Auch Cachola Schmal nennt weitere Kriterien:
Cachola Schmal: "Es wird die These aufgestellt, dass funktionierende Ankunftsviertel recht dicht sind. Was bedeutet das in Bezug auf bauliche Strukturen. Wie erzeugt man Dichte, wie erzeugt man Frequenz? Die ehemalige Trabantensiedlung der Siebziger sind Viertel, in die verstärkt Einwanderer gezogen sind, die aber all das nicht bieten können, durch ihre städtebauliche Struktur bieten sie nicht Dichte. Das machen eher traditionelle Einwandererviertel, wie sie zum Beispiel Kreuzberg darstellen. Aber es wird schwer sein, diesen Zustand herzustellen, neu. Die Siebzigerjahre-Trabantenstädte sind es nicht, städtebaulich."
Nicht auf der grünen Wiese, sondern Nachverdichtung durch Aufstockung, durch das Füllen von Baulücken. Helfen könnte dabei, wenn neben den Kategorien "Wohngebiet" und "Gewerbegebiet" eine neue Mischform "urbanes Wohnen" im Bauplanungsrecht geschaffen würde. Die Bundesarchitektenkammer und auch das Bundesbauministerium unterstützen diese Forderung.
Viele Kommunen und Landkreise planen kurzfristig
Projektskizzen, Planungen und auch schon umgesetzes "Wohnen für Geflüchtete" gibt es inzwischen, von einzelnen Kommunen, von zivilgesellschaftlichen Initiativen und meist kleineren Architekturbüros. Das Deutsche Architekturmuseum möchte, ergänzend zu seinem Beitrag auf der Biennale, ab März möglichst viele auf einem Internetportal vorstellen:
Cachola Schmal: "… um all den Entscheidungsträgern in den Kommunen, Landräten Vergleiche an die Hand zu geben. Dass sie sehen, was in anderen deutschen Städten derzeit umgesetzt wird, zu welchen Preisen, mit welchen Konzepten, mit welche Architekten mit welchen Bauträgern ... dass sie da sich bedienen können."
Viele Kommunen und Landkreise fahren auf Sicht. Geplant wird allein für die unmittelbare Zukunft. Provisorisches, in dem es sich provisorisch lebt. Der große Wurf fehlt bislang.
Manche hoffen, das Jahr 2016 könnte zum Jahr der Architektur werden, dass mit der Frage der Wohnunterbringung der Geflüchteten ein neuer großer Aufschlag im sozialen Wohnungsbau gemacht wird.
Was kann Architektur in der Flüchtlingsfrage leisten?
Brandlhuber: "Wenn Architektur ne ästhetische Frage ist, von Frage der Oberflächen, von Materialfragen der Oberflächen, dann kann Architektur nichts beitragen. Es macht gar keinen Unterschied, ob ein Flüchtlingsheim rot oder ein Penthouse grün ist."
Friedrich: "Wir haben bislang bei der Flüchtlingsarchitektur das Thema der Menschenwürde im Prinzip eigentlich nur mit Sauerstoff und Nahrungsmitteln und kleiner Regenschutz überm Kopf verwechselt, dass man in einem Haus eine Identität bekomme, ist eine wichtige architektonische Aufgabe. Und in dieser Form ist Architektur identitätsstiftend, Räume müssen die Identität der Individuen, die darin wohnen, einfach auch gewährleisten können."
Brandlhuber: "Architektur, das ist ne Definition von Christian Posthofen, das Architektur, das Ordnen von Sozialbeziehungen durch Gebautes ist, genau das ist Architektur – Zaun oder Tür."
Flüchtlingsarchitektur? – Mehr eine Frage der Rahmenbedingungen, denn eine ästhetische. Meist wird sie negativ charakterisiert, was sie nicht sein soll: Massenunterkunft, die schon baulich vom Rest der Gesellschaft ausgrenzt, ein gelungenes Ankommen verhindert. Positiv zu formulieren, wie "gutes Wohnen" für Geflüchtete gestaltet werden kann, da bleibt meist recht wenig Spezifisches übrig: Guter sozialer Wohnungsbau – ganz einfach. Oder wie die Hannoveraner Architektengruppe in ihren Konzepten zur Flüchtlingsarchitektur resümiert:
Zitator: Geflüchtete wollen auch "nur" wohnen. Trotz aller Komplexität des Themas darf die Einfachheit des Anliegens nicht verkannt werde.