Flucht aus dem Nordosten
Vor 16 Jahren war Mecklenburg noch das Bundesland mit der durchschnittlich jüngsten Bevölkerung, bald wird der Altersdurchschnitt der höchste sein. Die jungen Abiturienten verlassen ihre Heimat, weil sie kaum Chance auf einen Job haben. Am 17. September finden Landtagswahlen statt. "Zukunft aus eigener Kraft" heißt das Wahlprogramm der SPD, die Mecklenburg-Vorpommern außerdem zum Gesundheitsland Nummer eins ausbauen will.
"Auf jeden Fall Rapsfelder, sehr viele grüne Wiesen, auf jeden Fall wunderschöne Natur, und wenn ich Mecklenburg-Vorpommern höre, auf jeden Fall auch das Meer, dafür sind wir ja auch bekannt, denke ich mal."
"Dass eben wenig los ist, wenig für die Jugend, hier findet man kaum Arbeit und man sollte sich schon was suchen, wo man längerfristig angestellt werden kann, sonst hat man keine Chance. Über die Saison findet man viel, da kommt man auch über die Monate, aber im Winter sieht’s ganz schlecht aus."
"Ja, dass das Land immer mehr veraltert, dass immer mehr Rentner werden, und ja die ham ja auch ihre Gründe, die Jugendlichen, weil hier gibt´s ja nicht so viele Arbeitsplätze und ja - hohe Alterung denke ich mal."
Judith Sarah, Tobias und Felix vor einem Jahr: Sie stehen kurz vor dem Abitur und machen sich Gedanken um ihre Zukunft und über ihre Heimat. Gehen oder bleiben, das ist die Frage, die sich jungen Menschen stellen, die Rostocker Studenten ihnen gestellt haben, für ein Kurzfilmprojekt. Das erklärt Kristina, die nach ein paar Jahren im Westen zurückgekommen ist in ihre Heimatstadt Rostock, zum Studieren.
"Ja, wir hatten die Hypothese, dass wenn die Jugendlichen abwandern, das hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen tun, das heißt, dass sie hier in MV nicht die Möglichkeiten haben, sich beruflich weiter zu entwickeln, eine Ausbildung zu bekommen und dann halt den Schluss ziehen, Mecklenburg verlassen zu müssen. Einige wollen das vielleicht andere müssen es tun, und was raus gekommen ist, dass ökonomische Gründe ne Rolle spielen, aber dass vor allen Dingen persönliche Gründe ne Rollen spielen. Das sind Schüler, die stehen kurz vorm Abitur, die können dann frei Entscheidungen treffen fernab der Eltern, der Schule. Die wollen die Welt kennen lernen, die haben 18 Jahre hier gelebt und für viele war einfach der Grund ich will mal raus."
Weg von Kiefern, Sand und alten Buchenwälder, weiten Felder und noch viel längeren Alleen. Ein schlafendes Land, still und schön, mit hunderten Seen verziert. Für 1,7 Millionen Einwohner, so viel wie Hamburg, nur besser verteilt. 74 Einwohner pro Quadratkilometer, Tendenz sinkend, seit 1990 haben 200.000 Menschen das Bundesland verlassen, bis 2020 werden es noch einmal soviel sein.
"Weite Landschaften, kleine Dörfer, wenig Leute, alte Leute, ja, sodass eben wenig los ist."
"Ich möchte auch schon mal in ne Großstadt oder so weil so auf dem Land hab ich jetzt die meiste Zeit verbracht, und da möchte ich auch in ne Großstadt. Also hier das ganze Leben. Nee, weiß ich nicht."
Trotz Wirtschaftswachstum, auf das der Wirtschaftsminister so stolz ist, wird das Land durch Abwanderung weitere 16 Prozent seiner Einnahmen verlieren. Und 2020 bekommt der Nordosten zum letzten Mal Geld aus dem Solidarpakt. "Zukunft aus eigener Kraft", heißt das Wahlprogramm der SPD, auf den Plakaten lächelt der Ministerpräsident großväterlich mild und spricht davon, den Erfolg fortzusetzen.
346 Unternehmen angesiedelt, heißt es da, und von sozialer Gerechtigkeit ist die Rede. Auch die beiden anderen Spitzenkandidaten sind nette grauhaarige Herren. Sie symbolisieren das Hauptproblem des Landes. Auch die wollen mit Bildung. Arbeit Familienfreundlichkeit und Heimatgefühl gegen das Hauptproblem ankämpfen, gegen die Abwanderung.
"Wir haben ein sehr bekömmliches Klima, eine intakte Natur, 1300 km Ostseeküste Sauberes Wasser, Moor Sole, Heilkreide, Mecklenburg-Vorpommern ist ein Gesundheitsland mit langer Tradition, man kann ja den Start der Gesundheitswirtschaft rund 200 Jahre zurückdatieren, in Heiligendamm wurde das erste deutsche Seebad gegründet. Zu diesen natürlichen Voraussetzungen kommt die strategische Entscheidung der Landesregierung, diesen Bereich besonders zu fördern."
Der Ministerpräsident setzt auf das Gesundheitsland, alle setzen auf das Gesundheitsland, die Minister reisen ständig durch das Land und übergeben Fördermittelbescheide oder planen Projekte. Der Arbeitsminister, die Sozialministerin, der Wirtschaftsminister, der Landwirtschaftsminister, der Ministerpräsident sowieso und auch der Umweltminister, denn Erholung suchende Touristen wollen eine intakte Natur.
"Guten Tag, Moorbad Bad Doberan Praktikantin Jennerjahn, was kann ich für sie tun."
Auch Silke Jennerjahn setzt auf Gesundheit. Sie studiert an der ersten und einzigen privaten staatlichen Hochschule im Land Gesundheitsmanagement im Tourismus. Die dreijährige Ausbildung am Baltic College in Güstrow ist gekoppelt mit einer IHK-Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Der Hochschulträger hat sich den Standort Mecklenburg-Vorpommern ausgesucht, weil Gesundheit im Nordosten glaubwürdig zu vermitteln ist. Für 350 Euro Studiengebühren pro Monat.
Praktikantin Jennerjahn ist 22. Nach einem Jahr in London hat sie in Güstrow mit dem Studium angefangen. Ihre Eltern bezahlen die Ausbildung. Und weil das in Mecklenburg nicht viele können, kommen die die meisten Studierenden aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland, das ist gut, das ist qualifizierte Zuwanderung.
Von den zwölf Monaten Studium hat sie sechs Praxismonate im Moorbad in Bad Doberan verbracht. Eine private Reha-Klinik, die sich auf die Prävention und Rehabilitation für Rheumapatienten, Orthopädie und Naturheilkunde spezialisieren will. Eine von 67 Kliniken.
"Wir sind jetzt halt seit einem Jahr zertifiziert, werden aber jedes Jahr geprüft wie weit wir sind. Das zeigt uns aber auch, was wir noch machen können, also die geben uns immer Hausarbeiten auf."
Dazu gehört auch ein ausgeklügeltes Beschwerdemanagement. Der Dienstleistungsgedanke und Kundenorientierung, so hört man immer wieder, ist bei den Mecklenburgern und Vorpommern noch nicht besonders ausgeprägt. Auch das lernt Silke im Studium. Ihre Kollegen müssen auch mal ins Neptun-Hotel nach Warnemünde. Einen Tag Service lernen, dafür müssen die Hotelangestellten auch mal in die Klinik, lernen, wie man mit Patienten umgeht.
Die Klinik gehört zum Orthopädie-Netzwerk, dem bundesweit ersten. Vom Hersteller des Knigelenks in Rostock bis zum Taxifahrer und dem Luxushotel sind dort alle zusammengeschlossen, die im Ansatz mit dem zahlungskräftigen Patienten in Kontakt kommen. Das ist die Zukunft, Silke, die ein Jahr in England war, organisiert jetzt Englischkurse für das Personal. Auch die Wegweiser und die Broschüren müssen übersetzt werden
"Wir haben im Osten noch relativ viel aufzuholen und wir müssen vor allem aufpassen, dass uns so Länder wie Tschechien und Polen nicht überrollen, weil die uns auch mit Dumping-Angeboten Konkurrenz machen. Deswegen müssen wir an der Qualität arbeiten. Wir haben auch ne starke Konkurrenz im Land, viele Reha-Kliniken, und ich denk mal, dass wir uns dadurch gegenseitig auch vorwärts treiben können."
"Wir haben diverse Badekuren, wir haben für Frauen ein extra Angebot, dann ganz beliebt: So Stresssachen für Manager ‚Wie gehe ich mit Stress um’ und so weiter."
Die Edelstahlwanne im Weiß gekachelten Behandlungsraum vermittelt aber eher OP-Atmosphäre. Erholung will sich nicht recht einstellen.
"Bei der Ausgestaltung versuchen wir das noch. Wenn man um die Ecke schaut, wir haben das hier noch netter gemacht, aber wir sind auch dabei. Aber man muss auch immer die Mittel sehen, wir versuchen, was wir können und ... ja."
Silke ist ein Landeskind, die sagt nichts Schlechtes über ihre Heimat. Sie genießt die Ruhe und die Natur. Sie gehört zu denen, um die das Land wirbt. Jung, weiblich, im reproduktionsfähigen Alter. Aber hier bleiben will sie auch nicht unbedingt
"Also ich würde zur Zeit zum Beispiel gerne noch nach Schweden gehen. Also vielleicht ist das nur eine Illusion und ich sollte mal nach Schweden fahren und dann wird alles anders sein. Aber doch das ist was, das ich mir vorstellen könnte. Das ist nicht zu weit weg. Doch mal schauen."
Einmal im Jahr veranstaltet der Bäderverband den Tag der Kur. Auf der Promenade von Warnemünde werben Kliniken und Wellness-Hotels um Kunden. Am besten solche, die noch nicht krank sind, sagt Herr Kraus, der nach der Wende aus Schleswig-Holstein gekommen ist, weil das Land hier noch so unberührt und die Strände so weiß und so schön waren. Und weil es viele Fördermittel gab.
Jetzt betreibt er ein Kurmittelhaus in Zingst auf dem Darß und massiert ältere Damen, die sich ein Wellness-Wochenende gönnen. Nicht nur, aber immer mehr. Gesundheitsland Nummer eins, das findet er gut. Aber er ist auch ein alter, grauhaariger Mann und deshalb realistisch.
"Man muss auf dem Teppich bleiben, man muss sich bewusst sein, dass man in allen Bereichen kontrollierte Qualität bieten muss. Wenn ich ein Hotel betreibe und glaube, jetzt kann ich plötzlich Therapie machen, ohne das Fachpersonal, dann wird mein Hotel an Ansehen verlieren, weil der Gesamtqualitätseindruck das Hotel mit runterzieht. Es muss jeder darauf achten, dass er in allen Bereichen einen Qualitätsstatus hält, sonst ist er Schuld, wenn wir unser Versprechen nicht halten können. Und die Gefahr ist sehr groß. Das schnelle Geldmachen, sich an Wellness dranhängen. Jeder Gasthof macht sich ein Schild dran: Wellness. Aber es ist nicht immer das drin, was draufsteht."
Das ist nicht der veredelte Tourismus, den die Landesregierung haben will. Auf der anderen Seite fördert das Land aber auch jedes Kneipp-Becken, was auf einem Camping-Platz entsteht. In der Hoffnung, dass damit auch ein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen wird. So was wie ein Kneipp-Becken-Verantwortlicher. Director of Kneipp, überspitzt gesagt. Kraus regt sich auf über die, die den schnellen Euro machen wollen. Ein bisschen Salz in der Wanne ist noch kein Thalasso. Er sei schließlich auch Masseur und würde sich nicht als Ernährungsberater aufspielen.
"Also, es muss jetzt einfach auch Weiterbildung erfolgen, da wäre die öffentliche Hand gefordert. Da wäre die Regierung gefordert mit den Berufsfachverbänden, die ham ja von allen Bereichen Leute, die können sie ja ranholen und mit denen gemeinsam Kriterien machen. Also, hier ist ein Produkt entstanden, das hatte noch gar keinen Ordnungsrahmen. Und jetzt muss das gemacht werden."
Nach der Wahl. Jetzt wird es Herbst, die Zugvögel kommen und mit ihr sehr wahrscheinlich auch wieder die Vogelgrippe. Die letzen Jahre haben gezeigt, dass eine weitere Steigerung der Übernachtungszahlen schwer möglich ist. Wenn der Tourismus nur im Sommer funktioniert. 9,5 Millionen Übernachtungen waren es direkt nach der Wende, jetzt sind es über 24 Millionen. Aber ein Mehr an Arbeitsplätzen gibt es nur, wenn mehr Angebote gemacht werden.
"Und jetzt hat man sich die Aufgabe gestellt, zu überholen. Der Slogan ‚Mecklenburg tut gut’ und Gesundheitsland Nummer eins, das will ja was heißen. Die Bayern trainieren das seit 50 Jahren im Wohlstand."
Der Wirtschaftsminister der SPD kommt aus Bayern, unüberhörbar. Seit vier Jahren ist er im Amt. Gerne spricht er von sich in der dritten Person, der Wirtschaftminister, sagt er zum Beispiel, der Wirtschaftsminister hatte vor vier Jahren die Idee, dass Gesundheitswirtschaft was für die Zukunft des Landes ist.
"So Landurlaub, ja, ja, ich muss mal schnell vorbei, wir kommen wieder."
"Hallo, guten tag, Sie bleiben ja noch da bis später."
"So, hallo - Tag wir schauen nachher noch mal vorbei, wir haben es eilig." "Gesundes Eis aus Raps, Sauerkrautbrot, Herr Minister, ganz gesund."
"Heben Sie mir was auf. Ich komm noch mal vorbei."
Nun eilt er über die Promenade, weil er kürzlich noch eine Idee hatte, für die er jetzt werben will. Wenn die SPD wieder gewählt wird, will sie die Gesundheitswirtschaft weiter vorantreiben. Eine der wenigen Chancen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Zahl von 160.000 Arbeitslosen scheint wie eingemeißelt. Seit 1998 hat sie sich kaum verändert, auch wenn sie im Landesdurchschnitt nicht mehr über 20 Prozent liegt, wie noch im letzten Jahr.
Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse steigt wie im Bundestrend. Rund zehn Prozent davon liegen im Bereich der Gesundheitswirtschaft. Hier sind rund 86.000 Menschen beschäftigt. Es sollen doppelt soviel werden.
Auf Usedom funktioniert das, zumindest in den mondänen Kaiserbädern. Da, wo schon vor 200 Jahren der Adel Erholung gesucht hat. Die neue Idee vom Wirtschaftsminister, MV solle auch Thermalland werden. Damit es mit den Gästen auch im Winter funktioniert. Thermalsole ist genügend da und muss nur entsprechend gefördert werden. technisch wie finanziell. Bad Sülze, das älteste Solebad im Land, gehört wohl nicht dazu.
"Bad Sülze ist das schwierigste von allen, Bad Sülze kennen Sie, Bad Sülze ist Bad Sülze. Das wird nicht zuerst dran sein."
Nach Bad Sülze, im Hinterland der Ostseeküste, zwischen Rostock und Grimmen, kommt man auf der neuen Lebensader des Landes, der Autobahn 20. Vorbei an halberschlossenen Gewerbeflächen, aber auch stillgelegten Fabriken und verlassenen Höfen. Wer hier noch nicht weg ist, ist fußkrank, wird gespottet. Bad Sülze war vor vier Jahren einmal kurz in den Schlagzeilen. Damals machte das Wort vom Bad Sülze Syndrom die Runde.
"Dass die amtierenden, sag ich mal, Stadtvertreter, die in der Wahl 1998 gewählt sind, inklusive Bürgermeister, komplett gesagt haben, es hat keinen Zweck, wir treten nicht mehr an, das heißt, es gab noch vier Wochen vor der Wahl keinen Kandidaten. Und dann haben zwei Leute gesagt, dat kann aber nur schlecht sein und in gar keiner Weise gut und haben auch noch andere überzeugt, sodass es doch noch ne Liste gab. Normalerweise versuchen sich die Abgeordneten, Wähler zu gewinnen. In Bad Sülze ist andersrum und das ist das Bad Sülze Syndrom."
Martin Wulfert ist auch ein freundlicher, grauhaariger Herr. Er ist 70, war mal Stadtvertreter, Diplom-Landwirt und seit seiner Arbeitslosigkeit Mitte der 90er Jahre kümmert er sich ehrenamtlich um das Salzmuseum der Stadt. Nächsten Monat gibt es ein besonderes Jubiläum.
"Vor 100 Jahren im September wurde das letzte Salz gesiedet. Es gab 1907 im Frühjahr den Entschluss, diese Saline aufzugeben. Wir nehmen das zum Anlass, zu sagen, das ist kein Freudenfall. Aber wenn nur 100 Jahre danach die erste Sole wieder die Oberfläche erreichen kann und dazu braucht man eigentlich nur 5000 Euro..."
5000 Euro, nicht viel, selbst für den maroden Landeshaushalt, zu viel für Bad Sülze. Und für seine Einwohner. Auch wenn jeder nur 2,50 geben müsste. Auch das ist Mecklenburg-Vorpommern. Das Bruttoinlandsprodukt ist mit 18.264 Euro pro Einwohner am niedrigsten, das verfügbare Einkommen mit 13.950 Euro ebenfalls. Bad Sülze knüpft große Hoffnung an die Sole. Wulfert will gar nicht daran denken:
"Man könnte auf Intelligenz und intensive Geistesarbeit beruhende Sachen überall machen. Aber die werden da gemacht, wo es schon ist. Sonst wär es doch nicht so, dass diese ländlichen Flächen doch relativ... und nur als Altersitz... Nein eigentlich schade drum. Warum soll das hier nichts werden?"
An Bad Sülze kann man viel über Mecklenburg lernen.
"Die Stadt Bad Sülze hat den Riesenmangel und nur das wird gesehen. Das finde ich furchtbar, die sehen nicht den Schatz, der hier liegt, die sehen nur das Minus vor der letzten Zahl der Haushaltsbilanz."
Man kann zum Beispiel auch lernen, dass jeder ums eigene Überleben kämpft. Und dass die knappen Fördermittel zunehmend in die Zentren fließen müssen
"Gut, die Kurorte sind interessiert, die Leute im Ort zu behalten und da so viel wie möglich anzubieten. Das versteht man. Aber staatlicherseits müsste es doch eigentlich ein Interesse geben, zu sagen, es kann nicht so sein. Hier ist Gold und da ist Kacke."
Aber weil das so ist, sind von den 2500 Bad Sülzern auch nur knapp 1900 übrig geblieben. Investoren bekommen für den Standort keine Kredite. Bad Sülze hat den Status des Kurbades verloren. Auch, weil es keine öffentliche Toilette gibt.
"Es muss was werden. Es muss hier auch in der Fläche was werden sonst ... Wer wohnt denn sonst noch hier in 50 Jahren."
Die Frage haben auch die Rostocker Studenten gestellt, sich und den Abiturienten aus Kühlungsborn.
"Es kann ja sein, dass noch irgendwas Tolles kommt, was mich hier hält aber ich würde schon sagen, dass ich weggehe, sonst hab ich hier Langeweile."
"Es war mal ne Disco hier, aber die konnte sich nicht lange halten, wegen Lärmbelästigung. Da haben sich die ganzen alten Leute aufgeregt, das ist nicht ganz so einfach, zusammenzukommen, weil die Alten wollen schlafen und die Jungen wollen ein bisschen Party machen und, ja, das geht dann halt nicht."
1990 war Mecklenburg noch Bundesland mit der durchschnittlich jüngsten Bevölkerung, bald wird es das Älteste sein. Florida des Nordens ist die Marschrichtung, die die Landesregierung vorgibt. Altersheim der Republik, sagen die Skeptiker.
"Aber, ob das jetzt immer so der Auffangsektor sein soll für das Land,, dann holen wir auch eher nur kranke Leute her oder die, die sich erholen müssen, ich meine das ist übertrieben, aber..."
"Ja, bevor ich hier rumhänge auf jeden Fall, versuche ich überall Arbeit zu finden. Dann bleibe ich nicht hier, nur weil ich hier aufgewachsen bin. Ich weiß nicht, so leben okay, aber hier findet man ja keinen Beruf. Das ist halt Osten und Westen, immer noch und mit dem Geld, na ja. Ich geh halt dahin, wo der Beruf mich hinführt. Ich bin nicht doll gebunden hier."
"Was wäre denn, wenn sie hier bleiben würden und keine Anstellung hätten Was würde dann passieren, es würde ja nichts an der Situation ändern es würde alles nur schlimmer machen. Die Kosten wären höher, die Stimmung würde wahrscheinlich noch tiefer sinken, als sie jetzt schon ist das würde nichts bringen."
"Ich weiß, dass es hier alles in Entwicklung ist und ich freu mich auch, wenn sich das alles verändert aber erst mal weg und dann vielleicht wiederkommen."
Judith, Sarah und Tobias sind aus Mecklenburg-Vorpommern weggegangen. Nur Felix ist geblieben.
"Dass eben wenig los ist, wenig für die Jugend, hier findet man kaum Arbeit und man sollte sich schon was suchen, wo man längerfristig angestellt werden kann, sonst hat man keine Chance. Über die Saison findet man viel, da kommt man auch über die Monate, aber im Winter sieht’s ganz schlecht aus."
"Ja, dass das Land immer mehr veraltert, dass immer mehr Rentner werden, und ja die ham ja auch ihre Gründe, die Jugendlichen, weil hier gibt´s ja nicht so viele Arbeitsplätze und ja - hohe Alterung denke ich mal."
Judith Sarah, Tobias und Felix vor einem Jahr: Sie stehen kurz vor dem Abitur und machen sich Gedanken um ihre Zukunft und über ihre Heimat. Gehen oder bleiben, das ist die Frage, die sich jungen Menschen stellen, die Rostocker Studenten ihnen gestellt haben, für ein Kurzfilmprojekt. Das erklärt Kristina, die nach ein paar Jahren im Westen zurückgekommen ist in ihre Heimatstadt Rostock, zum Studieren.
"Ja, wir hatten die Hypothese, dass wenn die Jugendlichen abwandern, das hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen tun, das heißt, dass sie hier in MV nicht die Möglichkeiten haben, sich beruflich weiter zu entwickeln, eine Ausbildung zu bekommen und dann halt den Schluss ziehen, Mecklenburg verlassen zu müssen. Einige wollen das vielleicht andere müssen es tun, und was raus gekommen ist, dass ökonomische Gründe ne Rolle spielen, aber dass vor allen Dingen persönliche Gründe ne Rollen spielen. Das sind Schüler, die stehen kurz vorm Abitur, die können dann frei Entscheidungen treffen fernab der Eltern, der Schule. Die wollen die Welt kennen lernen, die haben 18 Jahre hier gelebt und für viele war einfach der Grund ich will mal raus."
Weg von Kiefern, Sand und alten Buchenwälder, weiten Felder und noch viel längeren Alleen. Ein schlafendes Land, still und schön, mit hunderten Seen verziert. Für 1,7 Millionen Einwohner, so viel wie Hamburg, nur besser verteilt. 74 Einwohner pro Quadratkilometer, Tendenz sinkend, seit 1990 haben 200.000 Menschen das Bundesland verlassen, bis 2020 werden es noch einmal soviel sein.
"Weite Landschaften, kleine Dörfer, wenig Leute, alte Leute, ja, sodass eben wenig los ist."
"Ich möchte auch schon mal in ne Großstadt oder so weil so auf dem Land hab ich jetzt die meiste Zeit verbracht, und da möchte ich auch in ne Großstadt. Also hier das ganze Leben. Nee, weiß ich nicht."
Trotz Wirtschaftswachstum, auf das der Wirtschaftsminister so stolz ist, wird das Land durch Abwanderung weitere 16 Prozent seiner Einnahmen verlieren. Und 2020 bekommt der Nordosten zum letzten Mal Geld aus dem Solidarpakt. "Zukunft aus eigener Kraft", heißt das Wahlprogramm der SPD, auf den Plakaten lächelt der Ministerpräsident großväterlich mild und spricht davon, den Erfolg fortzusetzen.
346 Unternehmen angesiedelt, heißt es da, und von sozialer Gerechtigkeit ist die Rede. Auch die beiden anderen Spitzenkandidaten sind nette grauhaarige Herren. Sie symbolisieren das Hauptproblem des Landes. Auch die wollen mit Bildung. Arbeit Familienfreundlichkeit und Heimatgefühl gegen das Hauptproblem ankämpfen, gegen die Abwanderung.
"Wir haben ein sehr bekömmliches Klima, eine intakte Natur, 1300 km Ostseeküste Sauberes Wasser, Moor Sole, Heilkreide, Mecklenburg-Vorpommern ist ein Gesundheitsland mit langer Tradition, man kann ja den Start der Gesundheitswirtschaft rund 200 Jahre zurückdatieren, in Heiligendamm wurde das erste deutsche Seebad gegründet. Zu diesen natürlichen Voraussetzungen kommt die strategische Entscheidung der Landesregierung, diesen Bereich besonders zu fördern."
Der Ministerpräsident setzt auf das Gesundheitsland, alle setzen auf das Gesundheitsland, die Minister reisen ständig durch das Land und übergeben Fördermittelbescheide oder planen Projekte. Der Arbeitsminister, die Sozialministerin, der Wirtschaftsminister, der Landwirtschaftsminister, der Ministerpräsident sowieso und auch der Umweltminister, denn Erholung suchende Touristen wollen eine intakte Natur.
"Guten Tag, Moorbad Bad Doberan Praktikantin Jennerjahn, was kann ich für sie tun."
Auch Silke Jennerjahn setzt auf Gesundheit. Sie studiert an der ersten und einzigen privaten staatlichen Hochschule im Land Gesundheitsmanagement im Tourismus. Die dreijährige Ausbildung am Baltic College in Güstrow ist gekoppelt mit einer IHK-Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Der Hochschulträger hat sich den Standort Mecklenburg-Vorpommern ausgesucht, weil Gesundheit im Nordosten glaubwürdig zu vermitteln ist. Für 350 Euro Studiengebühren pro Monat.
Praktikantin Jennerjahn ist 22. Nach einem Jahr in London hat sie in Güstrow mit dem Studium angefangen. Ihre Eltern bezahlen die Ausbildung. Und weil das in Mecklenburg nicht viele können, kommen die die meisten Studierenden aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland, das ist gut, das ist qualifizierte Zuwanderung.
Von den zwölf Monaten Studium hat sie sechs Praxismonate im Moorbad in Bad Doberan verbracht. Eine private Reha-Klinik, die sich auf die Prävention und Rehabilitation für Rheumapatienten, Orthopädie und Naturheilkunde spezialisieren will. Eine von 67 Kliniken.
"Wir sind jetzt halt seit einem Jahr zertifiziert, werden aber jedes Jahr geprüft wie weit wir sind. Das zeigt uns aber auch, was wir noch machen können, also die geben uns immer Hausarbeiten auf."
Dazu gehört auch ein ausgeklügeltes Beschwerdemanagement. Der Dienstleistungsgedanke und Kundenorientierung, so hört man immer wieder, ist bei den Mecklenburgern und Vorpommern noch nicht besonders ausgeprägt. Auch das lernt Silke im Studium. Ihre Kollegen müssen auch mal ins Neptun-Hotel nach Warnemünde. Einen Tag Service lernen, dafür müssen die Hotelangestellten auch mal in die Klinik, lernen, wie man mit Patienten umgeht.
Die Klinik gehört zum Orthopädie-Netzwerk, dem bundesweit ersten. Vom Hersteller des Knigelenks in Rostock bis zum Taxifahrer und dem Luxushotel sind dort alle zusammengeschlossen, die im Ansatz mit dem zahlungskräftigen Patienten in Kontakt kommen. Das ist die Zukunft, Silke, die ein Jahr in England war, organisiert jetzt Englischkurse für das Personal. Auch die Wegweiser und die Broschüren müssen übersetzt werden
"Wir haben im Osten noch relativ viel aufzuholen und wir müssen vor allem aufpassen, dass uns so Länder wie Tschechien und Polen nicht überrollen, weil die uns auch mit Dumping-Angeboten Konkurrenz machen. Deswegen müssen wir an der Qualität arbeiten. Wir haben auch ne starke Konkurrenz im Land, viele Reha-Kliniken, und ich denk mal, dass wir uns dadurch gegenseitig auch vorwärts treiben können."
"Wir haben diverse Badekuren, wir haben für Frauen ein extra Angebot, dann ganz beliebt: So Stresssachen für Manager ‚Wie gehe ich mit Stress um’ und so weiter."
Die Edelstahlwanne im Weiß gekachelten Behandlungsraum vermittelt aber eher OP-Atmosphäre. Erholung will sich nicht recht einstellen.
"Bei der Ausgestaltung versuchen wir das noch. Wenn man um die Ecke schaut, wir haben das hier noch netter gemacht, aber wir sind auch dabei. Aber man muss auch immer die Mittel sehen, wir versuchen, was wir können und ... ja."
Silke ist ein Landeskind, die sagt nichts Schlechtes über ihre Heimat. Sie genießt die Ruhe und die Natur. Sie gehört zu denen, um die das Land wirbt. Jung, weiblich, im reproduktionsfähigen Alter. Aber hier bleiben will sie auch nicht unbedingt
"Also ich würde zur Zeit zum Beispiel gerne noch nach Schweden gehen. Also vielleicht ist das nur eine Illusion und ich sollte mal nach Schweden fahren und dann wird alles anders sein. Aber doch das ist was, das ich mir vorstellen könnte. Das ist nicht zu weit weg. Doch mal schauen."
Einmal im Jahr veranstaltet der Bäderverband den Tag der Kur. Auf der Promenade von Warnemünde werben Kliniken und Wellness-Hotels um Kunden. Am besten solche, die noch nicht krank sind, sagt Herr Kraus, der nach der Wende aus Schleswig-Holstein gekommen ist, weil das Land hier noch so unberührt und die Strände so weiß und so schön waren. Und weil es viele Fördermittel gab.
Jetzt betreibt er ein Kurmittelhaus in Zingst auf dem Darß und massiert ältere Damen, die sich ein Wellness-Wochenende gönnen. Nicht nur, aber immer mehr. Gesundheitsland Nummer eins, das findet er gut. Aber er ist auch ein alter, grauhaariger Mann und deshalb realistisch.
"Man muss auf dem Teppich bleiben, man muss sich bewusst sein, dass man in allen Bereichen kontrollierte Qualität bieten muss. Wenn ich ein Hotel betreibe und glaube, jetzt kann ich plötzlich Therapie machen, ohne das Fachpersonal, dann wird mein Hotel an Ansehen verlieren, weil der Gesamtqualitätseindruck das Hotel mit runterzieht. Es muss jeder darauf achten, dass er in allen Bereichen einen Qualitätsstatus hält, sonst ist er Schuld, wenn wir unser Versprechen nicht halten können. Und die Gefahr ist sehr groß. Das schnelle Geldmachen, sich an Wellness dranhängen. Jeder Gasthof macht sich ein Schild dran: Wellness. Aber es ist nicht immer das drin, was draufsteht."
Das ist nicht der veredelte Tourismus, den die Landesregierung haben will. Auf der anderen Seite fördert das Land aber auch jedes Kneipp-Becken, was auf einem Camping-Platz entsteht. In der Hoffnung, dass damit auch ein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen wird. So was wie ein Kneipp-Becken-Verantwortlicher. Director of Kneipp, überspitzt gesagt. Kraus regt sich auf über die, die den schnellen Euro machen wollen. Ein bisschen Salz in der Wanne ist noch kein Thalasso. Er sei schließlich auch Masseur und würde sich nicht als Ernährungsberater aufspielen.
"Also, es muss jetzt einfach auch Weiterbildung erfolgen, da wäre die öffentliche Hand gefordert. Da wäre die Regierung gefordert mit den Berufsfachverbänden, die ham ja von allen Bereichen Leute, die können sie ja ranholen und mit denen gemeinsam Kriterien machen. Also, hier ist ein Produkt entstanden, das hatte noch gar keinen Ordnungsrahmen. Und jetzt muss das gemacht werden."
Nach der Wahl. Jetzt wird es Herbst, die Zugvögel kommen und mit ihr sehr wahrscheinlich auch wieder die Vogelgrippe. Die letzen Jahre haben gezeigt, dass eine weitere Steigerung der Übernachtungszahlen schwer möglich ist. Wenn der Tourismus nur im Sommer funktioniert. 9,5 Millionen Übernachtungen waren es direkt nach der Wende, jetzt sind es über 24 Millionen. Aber ein Mehr an Arbeitsplätzen gibt es nur, wenn mehr Angebote gemacht werden.
"Und jetzt hat man sich die Aufgabe gestellt, zu überholen. Der Slogan ‚Mecklenburg tut gut’ und Gesundheitsland Nummer eins, das will ja was heißen. Die Bayern trainieren das seit 50 Jahren im Wohlstand."
Der Wirtschaftsminister der SPD kommt aus Bayern, unüberhörbar. Seit vier Jahren ist er im Amt. Gerne spricht er von sich in der dritten Person, der Wirtschaftminister, sagt er zum Beispiel, der Wirtschaftsminister hatte vor vier Jahren die Idee, dass Gesundheitswirtschaft was für die Zukunft des Landes ist.
"So Landurlaub, ja, ja, ich muss mal schnell vorbei, wir kommen wieder."
"Hallo, guten tag, Sie bleiben ja noch da bis später."
"So, hallo - Tag wir schauen nachher noch mal vorbei, wir haben es eilig." "Gesundes Eis aus Raps, Sauerkrautbrot, Herr Minister, ganz gesund."
"Heben Sie mir was auf. Ich komm noch mal vorbei."
Nun eilt er über die Promenade, weil er kürzlich noch eine Idee hatte, für die er jetzt werben will. Wenn die SPD wieder gewählt wird, will sie die Gesundheitswirtschaft weiter vorantreiben. Eine der wenigen Chancen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Zahl von 160.000 Arbeitslosen scheint wie eingemeißelt. Seit 1998 hat sie sich kaum verändert, auch wenn sie im Landesdurchschnitt nicht mehr über 20 Prozent liegt, wie noch im letzten Jahr.
Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse steigt wie im Bundestrend. Rund zehn Prozent davon liegen im Bereich der Gesundheitswirtschaft. Hier sind rund 86.000 Menschen beschäftigt. Es sollen doppelt soviel werden.
Auf Usedom funktioniert das, zumindest in den mondänen Kaiserbädern. Da, wo schon vor 200 Jahren der Adel Erholung gesucht hat. Die neue Idee vom Wirtschaftsminister, MV solle auch Thermalland werden. Damit es mit den Gästen auch im Winter funktioniert. Thermalsole ist genügend da und muss nur entsprechend gefördert werden. technisch wie finanziell. Bad Sülze, das älteste Solebad im Land, gehört wohl nicht dazu.
"Bad Sülze ist das schwierigste von allen, Bad Sülze kennen Sie, Bad Sülze ist Bad Sülze. Das wird nicht zuerst dran sein."
Nach Bad Sülze, im Hinterland der Ostseeküste, zwischen Rostock und Grimmen, kommt man auf der neuen Lebensader des Landes, der Autobahn 20. Vorbei an halberschlossenen Gewerbeflächen, aber auch stillgelegten Fabriken und verlassenen Höfen. Wer hier noch nicht weg ist, ist fußkrank, wird gespottet. Bad Sülze war vor vier Jahren einmal kurz in den Schlagzeilen. Damals machte das Wort vom Bad Sülze Syndrom die Runde.
"Dass die amtierenden, sag ich mal, Stadtvertreter, die in der Wahl 1998 gewählt sind, inklusive Bürgermeister, komplett gesagt haben, es hat keinen Zweck, wir treten nicht mehr an, das heißt, es gab noch vier Wochen vor der Wahl keinen Kandidaten. Und dann haben zwei Leute gesagt, dat kann aber nur schlecht sein und in gar keiner Weise gut und haben auch noch andere überzeugt, sodass es doch noch ne Liste gab. Normalerweise versuchen sich die Abgeordneten, Wähler zu gewinnen. In Bad Sülze ist andersrum und das ist das Bad Sülze Syndrom."
Martin Wulfert ist auch ein freundlicher, grauhaariger Herr. Er ist 70, war mal Stadtvertreter, Diplom-Landwirt und seit seiner Arbeitslosigkeit Mitte der 90er Jahre kümmert er sich ehrenamtlich um das Salzmuseum der Stadt. Nächsten Monat gibt es ein besonderes Jubiläum.
"Vor 100 Jahren im September wurde das letzte Salz gesiedet. Es gab 1907 im Frühjahr den Entschluss, diese Saline aufzugeben. Wir nehmen das zum Anlass, zu sagen, das ist kein Freudenfall. Aber wenn nur 100 Jahre danach die erste Sole wieder die Oberfläche erreichen kann und dazu braucht man eigentlich nur 5000 Euro..."
5000 Euro, nicht viel, selbst für den maroden Landeshaushalt, zu viel für Bad Sülze. Und für seine Einwohner. Auch wenn jeder nur 2,50 geben müsste. Auch das ist Mecklenburg-Vorpommern. Das Bruttoinlandsprodukt ist mit 18.264 Euro pro Einwohner am niedrigsten, das verfügbare Einkommen mit 13.950 Euro ebenfalls. Bad Sülze knüpft große Hoffnung an die Sole. Wulfert will gar nicht daran denken:
"Man könnte auf Intelligenz und intensive Geistesarbeit beruhende Sachen überall machen. Aber die werden da gemacht, wo es schon ist. Sonst wär es doch nicht so, dass diese ländlichen Flächen doch relativ... und nur als Altersitz... Nein eigentlich schade drum. Warum soll das hier nichts werden?"
An Bad Sülze kann man viel über Mecklenburg lernen.
"Die Stadt Bad Sülze hat den Riesenmangel und nur das wird gesehen. Das finde ich furchtbar, die sehen nicht den Schatz, der hier liegt, die sehen nur das Minus vor der letzten Zahl der Haushaltsbilanz."
Man kann zum Beispiel auch lernen, dass jeder ums eigene Überleben kämpft. Und dass die knappen Fördermittel zunehmend in die Zentren fließen müssen
"Gut, die Kurorte sind interessiert, die Leute im Ort zu behalten und da so viel wie möglich anzubieten. Das versteht man. Aber staatlicherseits müsste es doch eigentlich ein Interesse geben, zu sagen, es kann nicht so sein. Hier ist Gold und da ist Kacke."
Aber weil das so ist, sind von den 2500 Bad Sülzern auch nur knapp 1900 übrig geblieben. Investoren bekommen für den Standort keine Kredite. Bad Sülze hat den Status des Kurbades verloren. Auch, weil es keine öffentliche Toilette gibt.
"Es muss was werden. Es muss hier auch in der Fläche was werden sonst ... Wer wohnt denn sonst noch hier in 50 Jahren."
Die Frage haben auch die Rostocker Studenten gestellt, sich und den Abiturienten aus Kühlungsborn.
"Es kann ja sein, dass noch irgendwas Tolles kommt, was mich hier hält aber ich würde schon sagen, dass ich weggehe, sonst hab ich hier Langeweile."
"Es war mal ne Disco hier, aber die konnte sich nicht lange halten, wegen Lärmbelästigung. Da haben sich die ganzen alten Leute aufgeregt, das ist nicht ganz so einfach, zusammenzukommen, weil die Alten wollen schlafen und die Jungen wollen ein bisschen Party machen und, ja, das geht dann halt nicht."
1990 war Mecklenburg noch Bundesland mit der durchschnittlich jüngsten Bevölkerung, bald wird es das Älteste sein. Florida des Nordens ist die Marschrichtung, die die Landesregierung vorgibt. Altersheim der Republik, sagen die Skeptiker.
"Aber, ob das jetzt immer so der Auffangsektor sein soll für das Land,, dann holen wir auch eher nur kranke Leute her oder die, die sich erholen müssen, ich meine das ist übertrieben, aber..."
"Ja, bevor ich hier rumhänge auf jeden Fall, versuche ich überall Arbeit zu finden. Dann bleibe ich nicht hier, nur weil ich hier aufgewachsen bin. Ich weiß nicht, so leben okay, aber hier findet man ja keinen Beruf. Das ist halt Osten und Westen, immer noch und mit dem Geld, na ja. Ich geh halt dahin, wo der Beruf mich hinführt. Ich bin nicht doll gebunden hier."
"Was wäre denn, wenn sie hier bleiben würden und keine Anstellung hätten Was würde dann passieren, es würde ja nichts an der Situation ändern es würde alles nur schlimmer machen. Die Kosten wären höher, die Stimmung würde wahrscheinlich noch tiefer sinken, als sie jetzt schon ist das würde nichts bringen."
"Ich weiß, dass es hier alles in Entwicklung ist und ich freu mich auch, wenn sich das alles verändert aber erst mal weg und dann vielleicht wiederkommen."
Judith, Sarah und Tobias sind aus Mecklenburg-Vorpommern weggegangen. Nur Felix ist geblieben.