Flucht aus Konventionen
Katja Oskamp beschreibt in "Hellersdorfer Perle" die Geschichte einer Flucht aus Konventionen, die in der gleichnamigen Kneipe beginnt. Darin muss sich die Titelheldin für eine Rolle entscheiden: als Mutter und Ehefrau oder als Geliebte eines Fremden.
"Ab in den Urlaub, was?", sagt der Berliner Taxifahrer, als die Frau Mitte dreißig mit ihrem Reisekoffer einsteigt, "das machen sie richtig bei dem Scheißwetter!" Doch die Ich-Erzählerin will nur von Weißensee nach Prenzlauer Berg. Was aussieht, wie eine kleine Flucht aus dem Alltag, wird im Verlauf des Romans zur Flucht in ein anderes Leben.
Für solche Fluchten ist die 1970 in Leipzig geborene Katja Oskamp eine echte Spezialistin. Seit ihrem Erzählungsband "Halbschwimmer" und ihrem ersten Roman, "Die Staubfängerin", kennt man dieses Motiv: Eine Frau packt ihren Koffer und haut ab - nicht aus politischen, sondern aus privaten Gründen.
Aber sind sie wirklich ganz privat? Es gibt bei dieser Schriftstellerin, die auch als Theaterdramaturgin gearbeitet hat, etwas, das man ein ostdeutsches Körper-Gedächtnis nennen könnte. Eine strikte Weigerung, sich mit der Glätte des wiedervereinigten deutschen Mittelmaßes abzufinden. Sie ist aufgewachsen in Prenzlauer Berg, lebte in Rostock und Leipzig, während der Bezirk zum Szene-Viertel der neuen Kultur- und Familienschickeria wurde. In ihrem neuen Roman seziert sie mit nüchternem Ingrimm ein Milieu, das seine gestylten Kaffeeautomaten und Nudelmaschinen hätschelt, als hinge davon die Erlösung ab.
Der Ekel vor der Anpassungsbereitschaft ihrer Altersgenossen verbindet sich mit einem wiederkehrenden Motiv: der Liebe zu deutlich älteren Männern. In ihrem neuen Roman heißt er nur "der Mann". Er begegnet der Erzählerin gleich am ersten Abend des Jahres, das der Roman schildert. Nach ihrer Flucht aus dem Stuckaltbau in Weißensee, wo sie Mann und Tochter zurücklässt, kriecht sie bei einer Freundin unter. Dort ist es beinahe noch schlimmer als zuhause. Tina textet sie mit den banalen Lebensweisheiten zu, die sie auch als Hauptdarstellerin einer Vorabend-Serie von sich gibt.
Ihr Gatte, ein arbeitsloser Schauspieler, ist ein ähnlicher Pantoffelheld wie der eigene Lebensgefährte, der sich als Theaterkritiker verdingt. Also macht sie sich nachts noch einmal auf den Weg, streunt durch das Viertel, fährt mit einer Straßenbahn bis zur Endhaltestelle und landet schließlich in einer Kneipe namens "Hellersdorfer Perle" (sie gibt dem Roman seinen Titel). Dort begegnet sie dem "Mann". Er hat graue Haare, zwei Hörgeräte und geht am Stock. Und er befiehlt ihr am nächsten Tag wiederzukommen, unbedingt im Rock.
Zwischen den beiden entwickelt sich eine sexuelle Obsession, gegen die sich die Heldin zunächst ebenso wehrt wie der Leser. Eine zeitlang kehrt sie zu ihrer Familie zurück. Am Ende hält sie nur ihrer Tochter die Treue. Wie zwei abenteuerlustige Prinzessinnen ziehen sie in einen Hellersdorfer Plattenbau.
Dass es Katja Oskamp gelingt, dieses moderne Märchen von einem neuen Leben mitsamt seinen skurrilen Zügen plausibel zu machen, ist ein kleines Wunder. In drastischen Szenen und einer äußerst direkten Sprache erzählt sie eine Liebesgeschichte der ungewöhnlichen Art. Dabei zerstreut sie das Befremden des Lesers nicht ganz.
Er soll ruhig irritiert sein über diese junge Frau, die sich in ein sadomasochistisches Abhängigkeitsverhältnis begibt, dem sogar die Attraktivitätssignale des Verruchten abgehen. In der "Hellersdorfer Perle" geht es nicht cool oder lifestylig zu, sondern derb, schmuddlig, banal. Und eben das ist der Witz des Romans.
Besprochen von Meike Feßmann
Katja Oskamp: Hellersdorfer Perle
Roman, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010,
224 Seiten, 18,95 Euro
Für solche Fluchten ist die 1970 in Leipzig geborene Katja Oskamp eine echte Spezialistin. Seit ihrem Erzählungsband "Halbschwimmer" und ihrem ersten Roman, "Die Staubfängerin", kennt man dieses Motiv: Eine Frau packt ihren Koffer und haut ab - nicht aus politischen, sondern aus privaten Gründen.
Aber sind sie wirklich ganz privat? Es gibt bei dieser Schriftstellerin, die auch als Theaterdramaturgin gearbeitet hat, etwas, das man ein ostdeutsches Körper-Gedächtnis nennen könnte. Eine strikte Weigerung, sich mit der Glätte des wiedervereinigten deutschen Mittelmaßes abzufinden. Sie ist aufgewachsen in Prenzlauer Berg, lebte in Rostock und Leipzig, während der Bezirk zum Szene-Viertel der neuen Kultur- und Familienschickeria wurde. In ihrem neuen Roman seziert sie mit nüchternem Ingrimm ein Milieu, das seine gestylten Kaffeeautomaten und Nudelmaschinen hätschelt, als hinge davon die Erlösung ab.
Der Ekel vor der Anpassungsbereitschaft ihrer Altersgenossen verbindet sich mit einem wiederkehrenden Motiv: der Liebe zu deutlich älteren Männern. In ihrem neuen Roman heißt er nur "der Mann". Er begegnet der Erzählerin gleich am ersten Abend des Jahres, das der Roman schildert. Nach ihrer Flucht aus dem Stuckaltbau in Weißensee, wo sie Mann und Tochter zurücklässt, kriecht sie bei einer Freundin unter. Dort ist es beinahe noch schlimmer als zuhause. Tina textet sie mit den banalen Lebensweisheiten zu, die sie auch als Hauptdarstellerin einer Vorabend-Serie von sich gibt.
Ihr Gatte, ein arbeitsloser Schauspieler, ist ein ähnlicher Pantoffelheld wie der eigene Lebensgefährte, der sich als Theaterkritiker verdingt. Also macht sie sich nachts noch einmal auf den Weg, streunt durch das Viertel, fährt mit einer Straßenbahn bis zur Endhaltestelle und landet schließlich in einer Kneipe namens "Hellersdorfer Perle" (sie gibt dem Roman seinen Titel). Dort begegnet sie dem "Mann". Er hat graue Haare, zwei Hörgeräte und geht am Stock. Und er befiehlt ihr am nächsten Tag wiederzukommen, unbedingt im Rock.
Zwischen den beiden entwickelt sich eine sexuelle Obsession, gegen die sich die Heldin zunächst ebenso wehrt wie der Leser. Eine zeitlang kehrt sie zu ihrer Familie zurück. Am Ende hält sie nur ihrer Tochter die Treue. Wie zwei abenteuerlustige Prinzessinnen ziehen sie in einen Hellersdorfer Plattenbau.
Dass es Katja Oskamp gelingt, dieses moderne Märchen von einem neuen Leben mitsamt seinen skurrilen Zügen plausibel zu machen, ist ein kleines Wunder. In drastischen Szenen und einer äußerst direkten Sprache erzählt sie eine Liebesgeschichte der ungewöhnlichen Art. Dabei zerstreut sie das Befremden des Lesers nicht ganz.
Er soll ruhig irritiert sein über diese junge Frau, die sich in ein sadomasochistisches Abhängigkeitsverhältnis begibt, dem sogar die Attraktivitätssignale des Verruchten abgehen. In der "Hellersdorfer Perle" geht es nicht cool oder lifestylig zu, sondern derb, schmuddlig, banal. Und eben das ist der Witz des Romans.
Besprochen von Meike Feßmann
Katja Oskamp: Hellersdorfer Perle
Roman, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010,
224 Seiten, 18,95 Euro