Flucht in den Schein

26.02.2009
Andreas Maiers Roman "Sanssouci" erzählt keineswegs - wie der Titel suggerieren könnte - von Menschen mit einem sorgenfreien Leben. Es geht stattdessen um eine Frau, die nur die schönen Seiten des Daseins sehen will und deren Freunde das Dunkle der Welt unbedingt vor ihr fernhalten wollen.
Andreas Maiers neuer Roman "Sanssouci" spielt mit der Bedeutung des französischen Wortes, das in der deutschen Übersetzung "ohne Sorge" heißt. So wollte Friedrich der Große in seinem Potsdamer Schloss residieren. Mit diesem Wortspiel befindet man sich bereits mitten in Maiers labyrinthisch erzählter Geschichte, in der Sanssouci ein zentraler Ort des Handlungsgeschehens ist.

Andreas Maier, der für sein Debüt "Wäldchestag" (2000) viel gelobt wurde, konfrontiert diesen Sehnsuchtsort des Preußenkönigs mit der ungeschönten Gegenwart des 21. Jahrhunderts. Das Wort Sanssouci ruft Bauwerke wie das Neue Palais, das Chinesische Teehaus oder die Römischen Bäder in Erinnerung. Doch bei der Beschaulichkeit einer Parklandschaft mit Prunkbauten belässt es Maier in seinem Roman nicht. Er wirft auch einen Blick hinter die Kulissen und zeigt, was man weniger gern sieht oder hört. Dem, was in der Sprache, in Gefühlen und in Gesten verdeckt wird, gehört Maiers Interesse.

Das Verschweigen einer dunklen Welt steht am Anfang des Romans. Eine Gruppe von jungen Leuten kommt auf Maja zu sprechen, der man nichts von den Kellern unter dem Park von Sanssouci erzählen will, in die hinein Maiers Geschichte sich ausdehnt. Maja will nur die schönen Seiten des Lebens sehen. Dabei soll es, so lautet das Programm der mit Maja befreundeten jungen Leute, bis zum Schluss bleiben.

Maja wird ihren Traum behalten - ihre Ignoranz wird nicht gestört werden. Was Maja nicht sehen will, und was ihr auch nicht gezeigt werden soll, ist der härtere Teil einer Lebenswelt, für die Maier mit den Kellergewölben nur einen symbolischen Ort gefunden hat: Er zeigt jene vom Kulturerbe abgewandten Schattenseiten des Daseins, wo sie sich zeigen.

Maier kreist sein Thema erzählend ein, indem er auf den geheimen Punkt des Romans hin erzählt. Dabei lehnt er sich an Wilhelm Raabes Erzählprogramm aus dem "Stopfkuchen" an:

"Das, was erzählt wird, wird gar nicht erzählt, und gerade dadurch wird es erzählt."

Das hört sich kryptischer an, als es ist. Maier geht es nicht um das Gesagte, sondern wesentlicher und entscheidender ist für ihn das, was zwar durch Sprache zur Sprache kommt, aber ohne dass es verbal benannt wird. Bewusst verzichtet Maier auf eine chronologisch erzählte Geschichte und auch auf ein überschaubares Figurenensemble. Er macht Sanssouci und also auch Potsdam zu einem Schauplatz, der so Beispielcharakter gewinnt: In allen Bereichen, auf allen Ebenen gilt es, den Schein zu wahren.

Eher zufällig, auf der Beerdigung des Filmemachers, treffen einige Menschen aufeinander, denen Maiers Aufmerksamkeit gehört. Er nähert sich ihnen, um etwas über den gesellschaftlichen Mikrokosmos in Erfahrung zu bringen, dem sie entstammen. Ins Bild treten russische Auswanderer, Politiker aus dem Stadtparlament, jugendliche Gymnasiasten, Trinker, falsche Barone und richtige TV-und Mode-Stars.

Was durch sie zur Sprache gebracht wird, ist für Maier von Interesse. Er entwirft in seinem Roman das Bild einer Gesellschaft, auf das man alles andere als sorgenfrei blicken kann. Gerade deshalb lag es nahe, diesen beunruhigenden und verstörenden Roman "Sanssouci" zu nennen.

Rezensiert von Michael Opitz

Andreas Maier: Sanssouci
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
299 Seiten, 19,95 Euro