Wie Designer die Weltlage auf den Laufsteg bringen
Mode ist mehr, als sich morgens nach dem Aufstehen anzuziehen. Sie kann ein künstlerisches Sprachrohr sein und gesellschaftliche Themen aufgreifen. Aktuell setzen sich Modedesigner kreativ mit Flucht und Migration auseinander.
Januar 2016. Eröffnungsschau der Fashion Week in Berlin. Ein drahtiger Mann betritt den Laufsteg. Er trägt Rock und bauchfrei, sein Gesicht und Brustkorb wird von einem schwarzen Schleier bedeckt.
Es folgen Outfits, die mit traditionellen Stickereien vom Balkan verziert sind oder an Wüstenwandervölker erinnern – hart durchbrochen von militärischen Tarnmustern. Turnschuhe und übergroße Schnitte zeigen eine modische Affinität, wie sie in Berliner Technoclubs zu finden ist. Die laute, aggressive Musik der Show vermittelt gleichzeitig Unbehagen und Feierwut. Das soll so, erklärt der Designer dieser Werke. Sein Name Sasa Kovacevic. Sein Mode-Label: Sadak.
"Ich habe viel über die Flüchtlingsthematik vom letzten und diesem Jahr nachgedacht. Ich wollte einen Mix zeigen aus: Was passiert gerade, wo willst du hin und wo kommst du her.
Die Vielfalt des Balkans als Inspiration
Kovacevic ist gebürtiger Serbe, nicht geflohen, dennoch Kriegskind. Er hat in Belgrad unter anderem Kostüm- und Bühnendesign studiert, bevor er 2006 für sein Modestudium nach Berlin zieht. Seine Inspiration ist seine Heimat, der Balkan. Der zeichne sich schon immer durch Diversität aus. Dass viele tausende Menschen ihren Weg in den Frieden über den Balkan suchen, wollte der Serbe in seiner aktuellen Kollektion verarbeiten. Gut gelungen sei ihm das in der Modenschau, meint Männermoderedakteur und Stylist Christian Stemmler anerkennend:
"Die Show selbst, die sehr durch das Casting und das Styling wirkt, ist das ne Message, die ich gut finde. Das kommt durch die ethnische Diversität, die hier da ist. Das ist ein bisschen Middle Eastern meets Black und ein bisschen White, aber alle sind dunkelhaarig und haben Bärte. Man sieht den Fluchtgedanken im Styling. Es ist genau diese Armee-Cargo-Fraktion, die diesen Moment eingibt."
Christian Stemmler, der unter anderem für das Männermodemagazin "L'Officiel Hommes" arbeitet, weiß, dass Cargo und Utility zumindest in der Männermode schon seit eineinhalb Jahren ein Trend ist. Die Kleidung hat überall Taschen, ist praktisch. Zur Not könne man ein paar Habseligkeiten einpacken und loswandern. Die Designer möchten das Thema Flucht aber nicht kommerziell ausschlachten, sondern sehen ihre Mode als künstlerische Sprache, eine Chance zu sensibilisieren.
Christian Stemmler: "Wenn du dir die Designer anschaust, die den jeweiligen Trend machen, sind das schon Designer, die in ihrem jeweiligen Land Migrationshintergrund haben. Wenn ich mir zum Beispiel Serhat Isik angucke, der ist in Berlin, der ist ein Deutsch-Türke, der verarbeitet schon seine Herkunft - und auch den Rassismus gegenüber den Moslems. Es ist so mit vielen Taschen, die layert er dann mit Kaftan. Er nimmt Elemente aus der muslimischen Kleidung und kombiniert die mit modernen Sachen. Da sieht dann so eine Bomberjacke aus, als wenn da ein Bombengürtel drum ist."
Die Kollektion von Serhat Isik heißt übrigens "I don't have any weapons!". "Ich habe keine Waffen".
Designer stellen Stereotypen infrage
Auf dem internationalen, kommerziellen Modemarkt geht es nicht ganz so plakativ zu, doch die Branche ist in Bewegung. Zum Beispiel bei Givenchy. Der Chefdesigner Ricardo Tisco stellt zur Männer-Fashion-Week in Paris unseren westlichen stereotypen Blick auf Afrika infrage. Und zeigt wie alle Subkulturen in der Lage sind, über die Kontinente zu wandern. Seine männlichen Models tragen zum Beispiel Lederkutten a la Heavy-Metal-Fan kombiniert mit botswanischem Schmuck.
Während in Paris unser Blick auf Afrika hinterfragt wird, schicken Modeschaffende in Florenz afrikanische Flüchtlinge als Models über den Laufsteg – als Hinweis auf die Gleichheit aller Menschen. Ein guter Ansatz oder vielleicht doch nur eine Instrumentalisierung der Flüchtlinge für kommerzielle Zwecke? Christian Stemmler, Stylist und Moderedakteur, findet das schwierig:
"Es ist ein schmaler Grat, das mit Respekt zu behandeln. Ich habe überlegt mit den afrikanischen Flüchtlingen, die hier vor meiner Haustür leben und Drogen verkaufen, die zu porträtieren. Das ist schwierig, die nicht vorzuführen. Letztlich muss ich denen ja Klamotten anziehen, um eine Legitimation zu haben, um eine Strecke zu produzieren. Fürs Modemagazin habe ich eine Liste von Marken, die ich verwenden muss. Ist ja keine Reportage, sondern es gibt immer einen kommerziellen Twist."
Und so wird die Flüchtlingsthematik in der Mode zu einer Gratwanderung: zwischen Kommerzialisierung von Menschen in Not und künstlerischer Möglichkeit, auf Missstände hinzuweisen.