Flucht vor dem möglichen Tod
Es ist ein Hörspiel mit tragischem Hintergrund: Grossmanns Sohn kam 2006 als Soldat bei Kämpfen zwischen Israel und der Hisbollah ums Leben. Gerade zu der Zeit arbeitete der Autor an der Geschichte über eine Mutter, deren Sohn sich zu einem Militäreinsatz gemeldet hat und die aus Angst vor seinem Tod in die Berge flüchtet.
"Ich mach keinen Unsinn. Ich werde einfach ein paar Tage nicht hier sein.
Genau 28 Tage, Ofer. Bis dein Mobilmachungsbescheid abgelaufen ist.
Und was, wenn das hier alles in zwei Tagen fertig ist? Oder wenn ich, sagen wir mal, verwundet werde oder so, wo findet man dich dann?
Man wird mich nicht finden. Genau darum geht es ja."
Oras Sohn Ofer meldet sich freiwillig zu einem Militäreinsatz im Westjordanland. Für 28 Tage zieht er für sein Heimatland Israel in den Krieg. Kaum ist er fort, beschließt Ora, ihre Tel Aviver Wohnung zu verlassen und erst zurückzukehren, wenn auch ihr Sohn wieder zu Hause ist. Sie kann die Ungewissheit nicht ertragen - und flüchtet sich in den Norden Israels, in die Berge, wo eine schlechte Nachricht sie nicht erreichen würde. Avram, der Vater ihres Sohnes, begleitet sie widerwillig auf ihrer Wanderung, abgestumpft von Medikamenten, manchmal wortkarg und manchmal voller Unverständnis gegenüber Ora:
Avram: "Ora, was machst du da? Ora, nein! Nicht! Nicht, nicht in die Erde!"
Ora: ""Sehen, wie das ist."
Avram: "Nein! Nicht das Gesicht in die ..."
Ora: "Ich erzähle der Erde von ihm, bereite sie vor auf ihn."
Avram: "Ora, steh auf!"
Ora: "Damit sie weiß, wie sie sich kümmern muss um ihn."
Avram: "Komm da wieder raus!"
Ora ist die eigentliche Erzählerin. Eindringlich, wütend, verzweifelt beschwört sie das Leben ihres Sohnes und ihr eigenes Leben. Gesprochen wird sie von Martina Gedeck, und mehr als ihre unverkennbare, merkwürdige Stimme ist meist nicht nötig, um aufs äußerste anzurühren. Michael Evers als Avram ist dagegen im ersten Moment unauffälliger, doch seine Monologe haben gerade in ihrer Diskretion und Fragilität eine große Wucht. Die Inszenierung deutet das Geschehen nur an, mit schlichten, aber wirkungsvollen Mitteln: Mal hört man ein klapperndes Messer, mal Schritte und Zikaden. Selbst Liebesszenen sind auf diese Weise eindeutig, aber nicht peinlich:
"So sind wir. Kein Atem außer deinem. Kein Atem außer meinem. Nur du und ich."
Auch die sparsam eingesetzte Musik ist angenehm abstrakt. Die Leichtigkeit und Offenheit des Textes bleibt so erhalten, hier ist nichts bleischwer, nichts pechschwarz - und im flirrenden Licht über den israelischen Bergen tritt die Traurigkeit nur umso deutlicher zutage:
"Ofer wird sterben. Ofer ist schon tot. Wie kann es sein, dass du nichts spürst, Avram? Ich kann mich auf dich nicht verlassen. Ofer, Ofer, Ofer, Ofer, Ofer, Ofer, komm nach Hause! Fast eine Woche bin ich... Wie konnte ich so was... Fliehen, ausgerechnet jetzt. Ich bin doch nicht normal."
Die feinfühlige Vertonung, die sich ganz auf ihre Sprecher und den kraftvollen Text verlassen kann, ist so prägnant und echt, dass einem das Schicksal der Figuren manchmal unerträglich nahegeht. Ein kleiner Wermutstropfen ist nur der erste Teil des Hörspiels, der in der Vergangenheit spielt.
30 Jahre zuvor begegnen sich die jugendlichen Protagonisten auf einer Quarantänestation. Die junge Ora ist mit Kathrin Angerer zwar hervorragend besetzt, die eigentliche Geschichte von Ora, die vor einer Nachricht flieht, kommt so allerdings etwas schwer in Gang. Besser funktionieren spätere Rückblenden in die gemeinsame Vergangenheit - so wie Oras Erinnerungen an eine frühere, zerrüttete Ehe oder Avrams grauenhafte Erlebnisse in Ägypten während des Jom-Kippur-Krieges:
"Dort, in diesem Hof, neben der Betonmauer, wollte ich nicht mehr leben. In einer Welt, in der es möglich ist, dass ein Mensch dasteht und einen anderen fotografiert, wie der lebendig begraben wird. Und dann habe ich mein Leben losgelassen. Und bin gestorben."
Besprochen von Tabea Soergel
David Grossman: "Eine Frau flieht vor einer Nachricht"
Ein Hörspiel von Norbert Schaeffer mit Martina Gedeck, Michael Evers, Christian Redl, u.a.
Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks
Hörbuch Hamburg, Hamburg 2012
3 CDs, 14,90 Euro
Weiterführende Informationen:
NDR: Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Genau 28 Tage, Ofer. Bis dein Mobilmachungsbescheid abgelaufen ist.
Und was, wenn das hier alles in zwei Tagen fertig ist? Oder wenn ich, sagen wir mal, verwundet werde oder so, wo findet man dich dann?
Man wird mich nicht finden. Genau darum geht es ja."
Oras Sohn Ofer meldet sich freiwillig zu einem Militäreinsatz im Westjordanland. Für 28 Tage zieht er für sein Heimatland Israel in den Krieg. Kaum ist er fort, beschließt Ora, ihre Tel Aviver Wohnung zu verlassen und erst zurückzukehren, wenn auch ihr Sohn wieder zu Hause ist. Sie kann die Ungewissheit nicht ertragen - und flüchtet sich in den Norden Israels, in die Berge, wo eine schlechte Nachricht sie nicht erreichen würde. Avram, der Vater ihres Sohnes, begleitet sie widerwillig auf ihrer Wanderung, abgestumpft von Medikamenten, manchmal wortkarg und manchmal voller Unverständnis gegenüber Ora:
Avram: "Ora, was machst du da? Ora, nein! Nicht! Nicht, nicht in die Erde!"
Ora: ""Sehen, wie das ist."
Avram: "Nein! Nicht das Gesicht in die ..."
Ora: "Ich erzähle der Erde von ihm, bereite sie vor auf ihn."
Avram: "Ora, steh auf!"
Ora: "Damit sie weiß, wie sie sich kümmern muss um ihn."
Avram: "Komm da wieder raus!"
Ora ist die eigentliche Erzählerin. Eindringlich, wütend, verzweifelt beschwört sie das Leben ihres Sohnes und ihr eigenes Leben. Gesprochen wird sie von Martina Gedeck, und mehr als ihre unverkennbare, merkwürdige Stimme ist meist nicht nötig, um aufs äußerste anzurühren. Michael Evers als Avram ist dagegen im ersten Moment unauffälliger, doch seine Monologe haben gerade in ihrer Diskretion und Fragilität eine große Wucht. Die Inszenierung deutet das Geschehen nur an, mit schlichten, aber wirkungsvollen Mitteln: Mal hört man ein klapperndes Messer, mal Schritte und Zikaden. Selbst Liebesszenen sind auf diese Weise eindeutig, aber nicht peinlich:
"So sind wir. Kein Atem außer deinem. Kein Atem außer meinem. Nur du und ich."
Auch die sparsam eingesetzte Musik ist angenehm abstrakt. Die Leichtigkeit und Offenheit des Textes bleibt so erhalten, hier ist nichts bleischwer, nichts pechschwarz - und im flirrenden Licht über den israelischen Bergen tritt die Traurigkeit nur umso deutlicher zutage:
"Ofer wird sterben. Ofer ist schon tot. Wie kann es sein, dass du nichts spürst, Avram? Ich kann mich auf dich nicht verlassen. Ofer, Ofer, Ofer, Ofer, Ofer, Ofer, komm nach Hause! Fast eine Woche bin ich... Wie konnte ich so was... Fliehen, ausgerechnet jetzt. Ich bin doch nicht normal."
Die feinfühlige Vertonung, die sich ganz auf ihre Sprecher und den kraftvollen Text verlassen kann, ist so prägnant und echt, dass einem das Schicksal der Figuren manchmal unerträglich nahegeht. Ein kleiner Wermutstropfen ist nur der erste Teil des Hörspiels, der in der Vergangenheit spielt.
30 Jahre zuvor begegnen sich die jugendlichen Protagonisten auf einer Quarantänestation. Die junge Ora ist mit Kathrin Angerer zwar hervorragend besetzt, die eigentliche Geschichte von Ora, die vor einer Nachricht flieht, kommt so allerdings etwas schwer in Gang. Besser funktionieren spätere Rückblenden in die gemeinsame Vergangenheit - so wie Oras Erinnerungen an eine frühere, zerrüttete Ehe oder Avrams grauenhafte Erlebnisse in Ägypten während des Jom-Kippur-Krieges:
"Dort, in diesem Hof, neben der Betonmauer, wollte ich nicht mehr leben. In einer Welt, in der es möglich ist, dass ein Mensch dasteht und einen anderen fotografiert, wie der lebendig begraben wird. Und dann habe ich mein Leben losgelassen. Und bin gestorben."
Besprochen von Tabea Soergel
David Grossman: "Eine Frau flieht vor einer Nachricht"
Ein Hörspiel von Norbert Schaeffer mit Martina Gedeck, Michael Evers, Christian Redl, u.a.
Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks
Hörbuch Hamburg, Hamburg 2012
3 CDs, 14,90 Euro
Weiterführende Informationen:
NDR: Eine Frau flieht vor einer Nachricht