Umweltflüchtlinge in Pakistan
Der Klimawandel trifft Pakistan besonders heftig: Erst im Juni erlebte das Land eine Jahrhundert-Hitzewelle. Nur zwei Monate später trieben schwere Überflutungen zahlreiche Menschen in die Flucht. Ein Besuch bei den Menschen.
"We are in Kot Addu and we are heading towards Taunsa Barrage."
Etwa sechs Autostunden von Pakistans Hauptstadt Islamabad entfernt liegt Kot Addu. Ziemlich genau in der Mitte Pakistans, in der Provinz Punjab. Je nach Zählweise leben hier mindestens eine halbe Million Menschen. Die Stadt wirkt ungeordnet - auch für pakistanische Verhältnisse. Niedrige Häuser drängen sich aneinander. Die Straßen sind staubig. Ein Mann mit langem Bart schiebt schimpfend einen Holzkarren beladen mit Bananen an uns vorbei. In Kot Addu ist es heiß. Und die Umgebung ist fruchtbar. Wir sind in der Indus-Ebene.
"Wir sind jetzt noch so 15 Kilometer vom Indus weg."
Der Indus ist die Lebensader Pakistans. Völlig überladene LKW kämpfen sich mühsam die Straße entlang. Ihre bunten Verzierungen sind kaum zu erkennen. Wie riesige Kissen mit Rädern sehen sie aus. Es ist Baumwollerntezeit.
"You don't see many modern trucks going to the North. They use this street on the right of the Indus because there is no police. So they can use one truck instead of two."
Der Punjab ist dicht besiedelt. 91 Millionen Menschen leben hier. Das Indusbecken gilt als die Kornkammer Pakistans. Doch die Nähe zum Indus ist Segen und Fluch zugleich. In den letzten Jahren wurden große Teile des Punjab immer wieder von schweren Überschwemmungen heimgesucht.
"Alles hinter den Bahngleisen hier wurde 2010 von den Fluten zerstört. Und bis heute sind sie noch dabei es wieder aufzubauen."
Moeen Akhtar zeigt auf die niedrigen Steinhäuser am Rand der Straße. Der Umweltaktivist trägt Jeans, ein graues Sakko. Und ein noch nicht ganz so volles Oberlippenbärtchen. 2010 stand das Wasser hier zwei bis drei Meter hoch. Die meisten Einwohner mussten damals aus der Stadt fliehen. Dabei ist der Indus ein ganzes Stück weit entfernt.
Moeen will uns mit zu den Indus-Fischern nehmen. Sie trifft es zuerst, wenn die Fluten kommen. Doch auch Moeen selbst erinnert sich lebhaft an die Überschwemmungen vor fünf Jahren.
"Erst flüchteten wir hier her. Zum Bahndamm. Weil das der höchste Punkt in der Gegend war. Doch auch hierher kam das Wasser. Wir mussten noch weiter weg. Bis in die Wüste, 50 Kilometer von hier. Wir wussten, dass das Wasser nicht bis dorthin kommen würde."
Zwei Millionen Häuser wurden zerstört
Damals musste alles sehr schnell gehen. Innerhalb von 24 Stunden sind mehr als zwei Meter Niederschlag gefallen. Fast 2000 Menschen verloren in Pakistan ihr Leben. Zwei Millionen Häuser wurden zerstört. Hier in Kot Addu war es besonders schlimm. Fünf Jahre später sieht man der Stadt nicht mehr an, dass sie größtenteils unter Wasser stand. Nur noch hier und da eine eingestürzte Lehmmauer, eine Hütte ohne Dach. Die Menschen sind fast alle zurückgekehrt, nachdem sie damals für einige Wochen in Zeltlager evakuiert werden mussten.
"Es gab ein Zelt pro Familie. Aber die Familien hier sind groß. Deshalb gab es nur Schlafplätze für die Frauen und Kinder. Die Männer mussten draußen unter freiem Himmel schlafen..."
Drei Monate musste Moeen damals im Camp bleiben. Solange dauerte es, bis das Wasser wieder weg war. Dann begannen die Aufräumarbeiten. Der schwerwiegendste Verlust waren für Moeen all seine Zeugnisse und Dokumente.
"Die Dokumente waren extra hoch gelagert, so dass sie im Falle einer Überschwemmung nicht nass würden. Dachte ich jedenfalls. Als wir dann plötzlich fliehen mussten, blieb keine Zeit sie zu holen. Das Wasser ist so hoch gestiegen, dass wirklich alles unbrauchbar war."
Auf einem Feldweg fahren wir zu einem etwas versteckt liegenden Seitenarm des Indus. Links von uns Baumwolle – und rechts, versteckt hinter mannshohem Schilf, der kleine Wasserlauf.
Auf dem kleinen Seitenarm des Indus drängen sich die bunten Holzboote der indigenen Fischer des Mohan Stammes. Jetzt, früh am Morgen werden die Stellnetze eingeholt, die kreuz und quer durch den Wasserlauf gespannt sind.
Von überall her hallen Rufe und Kinderstimmen. Für die Fischer und ihre Familien sind die vier bis sechs Meter langen Boote oftmals Arbeitsplatz, Schlafzimmer und Küche zugleich.
Mustafa Gaadi hockt auf dem schmalen Bug seines blauen Holzbootes. Ungerührt schlägt der bärtige Fischer dem fast armlangen Karpfen mit einem Holzknüppel auf den Kopf. Kurz zappelt der Fisch noch, dann kann Mustafa ihn aus den Maschen des Netzes ziehen.
Die Mohana sind die ersten, die betroffen sind, wenn in der Regenzeit unglaubliche Wassermassen den Indus hinunter fließen.
"Meine Frau, ich und die fünf Kinder waren auf dem Boot, als das Wasser kam. Das Boot wurde mit den Fluten mitgerissen und kenterte. Meine Jungen können schwimmen, sie konnten sich retten. Aber meine zwei Töchter sind in den Fluten ertrunken."
"Solche Fluten habe ich vorher noch nie gesehen"
Auf den ersten Blick ist Mustafa kaum eine Gefühlsregung anzumerken. Nur seine Hände nesteln nervös an den Maschen seines Netzes.
Die Regierung habe sie damals vor dem Hochwasser gewarnt, aber in dieser Gegend gebe es seit je her Überschwemmungen. Deswegen sei er mit seiner Familie auf dem Boot geblieben. Dass die Flut diesmal so viel zerstörerischer sein würde, damit hätten er und die anderen Fischer einfach nicht gerechnet.
"Solche Fluten habe ich vorher noch nie gesehen. Das Wetter hat sich verändert. Im Sommer ist es auch heißer als früher. Und zugleich gibt es viel mehr Überschwemmungen und Fluten"
Moeen Akhtar hockt am Ufer, hört Mustafa aufmerksam zu und nickt am Ende zustimmend. Er hat schon mit vielen Fischern über ihre Beobachtungen gesprochen.
"Gerade die älteren Fischer verstehen nicht, wie es zu solchen Veränderungen kommen kann. Sie haben immerhin viele Jahre hier auf dem Wasser verbracht... Und alle sagen das gleiche wie Mustafa."
Die Flut 2010 im Punjab hat sich aus Extremniederschlägen gespeist, die höchstwahrscheinlich eine Fernwirkung des Wetterphänomens El Nino sind, eine sogenannte Teleconnection.
Mustafa selbst aber ist da anderer Meinung. Er glaubt, dass eigentlich nur einer wisse, warum das Wetter sich verändert: nämlich Khoda, so wird Gott hier meistens genannt.
Eine Steilvorlage für Moeen, er will Mustafa aufklären. Aber Mustafa packt sein weißes Netz in eine dreckige gelbe Plastikfolie. Er muss weiter. Die Netze sind heute nämlich voll. Es ist viel zu tun.
"Ein großes Problem ist, dass viele Pakistani nicht gebildet sind. Sie wissen nichts vom Klimawandel. Obwohl er sie direkt betrifft."
500 Kilometer nördlich liegt Islamabad, die Hauptstadt Pakistans. Islamabad ist grün und fast beschaulich. Von den vielen Problemen im Rest des Landes scheint die Stadt oft abgekoppelt. Hier ist der Sitz der Regierung und auch die meisten Hilfsorganisationen haben zumindest ein Büro in einer der schicken Villen.
2012 wurde hier das Ministry of Climate Change gegründet. Viele unken es sei ein zahnloser Tiger mit minimalem Etat. Jedoch scheint der Klimawandel langsam ins Bewusstsein der Hauptstädter vorzudringen. Studenten, die in grünen T-Shirts auf dem Fahrrad durch die Stadt fahren, um für ein grüneres Pakistan zu demonstrieren, solche und ähnlich Aktionen sieht man immer öfter in Islamabad.
Ali-Jan lebt zwar in der Hauptstadt Islamabad, kommt aber ursprünglich aus dem hohen Norden Pakistans. Aus der Gegend wo sich Himalaya, Hindukusch und das Karakorum treffen - die drei höchsten Gebirgszüge der Welt. Er berät die Regierung in Umweltfragen und schlägt Anpassungsmaßnahmen vor, damit die Bevölkerung sich für den Klimawandel wappnen kann.
Wie in Pakistan üblich bekommen wir bei Ali Jan zuerst mal einen Tee. Aber nicht den typischen Pakistani Chai.
A: "It is kind of a herbal tea..."
C: "You are such an..."
A: "Environmentalist"
C: "Hahaha...Yes"
A: "It is called Tumurru. It is coming from the Himalayas"
C: "You are such an..."
A: "Environmentalist"
C: "Hahaha...Yes"
A: "It is called Tumurru. It is coming from the Himalayas"
Environmentalists, also so richtige Ökos, gibt es hier in Pakistan nicht gerade viele. Ali Jan ist ein absolutes Unikat. Er ist ziemlich rundlich und hat fast schon ein bayerisches Gemüt. Robust herzlich wie er ist würde er auf einer Almhütte kaum auffallen. Jedes freie Wochenende verbringt er in den Bergen – und weil es hier in Islamabad keine richtigen Berge gibt, wandert er regelmäßig durch die Margalla Hills. Eine kleine Hügelkette nördlich der Stadt.
Familie ist das einzige Sicherheitsnetz in Pakistan
"Pakistan ist eines der einzigen Länder, das wirklich alles abdeckt: Vom höchsten Gipfel bis zur Küste. Vom K2 im Norden des Landes, bis runter ans arabische Meer. Auch Nepal oder Butan haben so hohe Berge, aber dort gibt keine Küste. Wegen dieser speziellen Topografie herrschen hier gleichzeitig völlig unterschiedliche klimatische Bedingungen. Auch deswegen ist Pakistan besonders fragil und eine der vom Klimawandel am schlimmsten bedrohten Nationen!"
Jedes Jahr flüchten hier Hunderttausende vor Fluten, Dürren und Zyklonen. Dann leben sie für einige Wochen oder sogar Monate lang in Zeltlagern der Hilfsorganisationen, oder in wilden Camps. Fast alle kehren danach zurück in ihre Heimat. Die meisten Betroffenen sind arme Bauern. Sie haben keine andere Wahl. Für viele von ihnen sind Flucht und Rückkehr zu einer traurigen Routine geworden. Wer nicht wieder zurückkehren kann oder will, schafft es meist nur bis in eine der nahen Provinzstädte. Dort arbeiten sie als Tagelöhner und Dienstboten. Und wer sich doch bis nach Islamabad, Lahore oder Karachi wagt, lebt in den Slums – und schlimmstenfalls vom Betteln.
"I will show you my village. The most effected one!"
Ali Jan breitet eine Landkarte aus. Und tippt auf ein Dorf ganz weit oben im Norden. Seine Familie gehört auch zu den IDP - wie Behörden und Hilfsorganisationen die Inlandsflüchtlinge nennen. IDP, das bedeutet internally displaced people. Ali Jans Familie hat aber noch Glück gehabt, sie leben bei Verwandten. Familie ist das einzige Sicherheitsnetz in Pakistan.
"Eines Morgens in 2010 kam die Flut und nichts blieb übrig. Meine Familie hat danach alles wieder aufgebaut. Und nur zwei Jahre später kamen die Fluten wieder. Diesmal kehrte meine Familie nicht mehr zurück in unser Heimatdorf. Die Fluten im Hochgebirge sind nicht vergleichbar mit den Überschwemmungen im Rest des Landes. Die Wassermassen sind urplötzlich da und sie zerstören einfach alles was sich ihnen in den Weg stellt."
Die so genannten GLOFs sind blitzartig auftretende Fluten, die es nur im Hochgebirge gibt. Viele Gletscherseen sind nur bei konstant niedrigen Temperaturen stabil. Die Wassermassen sind eingebettet in Dämme aus gefrorenem Schotter, Lehm und purem Eis. Wenn die Temperatur zu lange zu hoch ist, brechen diese eisigen Dämme und die Wassermassen stürzen ohne Vorwarnung ins Tal.
"Diese Fluten im Hochgebirge gab es schon immer. Aber die Häufigkeit und die Intensität nehmen zu. So etwas gab es alle hundert Jahre mal. Und jetzt treten solche Phänomene alle zehn oder sogar fünf Jahre auf."
Ali Jan ist viel unterwegs. Auf Konferenzen. Zum Beispiel in Indien oder in Deutschland. Trifft sich mit Wissenschaftlern und Politikern. Für ihn ist klar, wo das Problem liegt: Die Natur steht in Pakistan immer an zweiter Stelle. Wenn überhaupt. Oft wird zugunsten wirtschaftlicher Entwicklung der Umweltschutz geopfert. In letzter Zeit scheint zwar ein Umdenken einzusetzen, aber die Probleme sind grundlegend.
"Hier gibt es keine Daten. Hier wird nicht kontinuierlich geforscht, wie sich das Wetter verändert. Deutsche Universitäten haben auf jedem Gipfel eine Wetterstation, hier gibt es so etwas nicht. Überhaupt haben wir leider weder eine lokale noch nationale Agenda, die festlegt was präventiv getan werden muss. Und was wichtige Anpassungsmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung wären."
Auch 1500 Kilometer südlich der Hauptstadt, an der Küste Pakistans - kämpfen die Menschen mit dem Klimawandel. Während die Gletscher-Fluten im Hochgebirge ganze Dörfer zerstören und in der Indusebene Überschwemmungen regelmäßig die Ernten der Bauern vernichten, kommt die Gefahr hier vom Meer her. Die gesamte Küstenregion ist bedroht von Sturmfluten, Zyklonen und dem steigenden Meeresspiegel. In den Dörfern der Indusdelta Region leben ungefähr eine Million Menschen.
"Was wir hier sehen sind alles Mangroven. Hier im Kober creek sind die Pflanzen natürlich gewachsen...."
Ghulam Khatri zeigt auf die ersten Mangrovenwälder. Der rundliche Mittvierziger ist lokaler Koordinator des WWF. Regelmäßig fährt er in die Creeks, kümmert sich um die Aufforstung der bedrohten Mangroven und um die Fischer-Gemeinschaften, die auf Sandbänken inmitten der Mangrovenwälder wohnen. Khatris grelle Rettungsweste und die randlose Brille täuschen. Zwar ist er kein Fischer, sondern studierter Soziologe, aber dies ist seine Heimat, die er liebt. Das merkt man vor allem dann, wenn er über SEIN Thema spricht:
"Die Mangroven sind die Kinderstube der Schrimps, Krebse und vieler kleinerer Fischarten."
Viel zu oft werden die Sandbänke überspült
Ghulam dreht sich um zu Abdul Latif, der so dunkle Haut hat, dass man im Gegenlicht nur seine Umrisse wahrnimmt. Er solle doch etwas langsamer fahren, damit wir die Mangroven besser sehen können. Die stehen rechts und links von uns auf Sandbänken. Besser noch: Schlick-Bänken. Denn in mehrfacher Hinsicht ähnelt der Küstenbereich um das Indusdelta unserem Norddeutschen Wattenmeer. Es gibt kräftig Tidenhub und der Meeresgrund sieht nicht nur so aus wie Schlick - er ist auch genauso rutschig. Ghulam Khatri erklärt, dass wir gerade in reinem Salzwasser fahren. Eigentlich sollte das Wasser hier brackig sein, aber der Indus führt viel zu wenig Wasser.
"... und das hier ist die heimische Mangrovenspezies."
Ghulam klärt uns über die unterschiedlichen Mangrovenarten auf, die hier wachsen. Das große Paradoxon: die Mangroven, die eigentlich vor Stürmen schützen sollen, werden selbst von ihnen bedroht.
Immer höher ansteigende Fluten und häufiger auftretende Zyklone mit extrem hohen Windgeschwindigkeiten machen den Bewohnern des Indusdeltas das Leben schwer. Viel zu oft werden die Sandbänke überspült. Und jedes Mal nimmt das Meer ein wenig Schlick mit sich. Zumindest dort, wo keine Mangroven den Grund mit ihren Wurzeln befestigen. Der WWF-Mann klärt die Fischer der Gegend über diese Zusammenhänge auf.
In Reih und Glied stehen kniehohe Bäumchen mit hellgrünen wachsigen Blättern auf dem matschigen Untergrund. Ghulam krempelt die Hosenbeine seines weißen Shalwa Khamis bis zu den Knien hoch und steigt vorsichtig aus dem Boot. Kapitän Abdul klettert ihm behände hinterher.
"Die Mangroven sind wie ein Schutzschild. Sie schützen, die Menschen, die auf den Sandbänken inmitten der Mangroven leben. Denn die Pflanzen und ihre deren Wurzeln wachsen zu einer Art natürlichem Wellenbrecher zusammen. Sie bremsen sogar starke Wellen, außerdem halten ihre Wurzeln den Schlick fest und verhindern so die Erosion der Sandbänke auf denen die Siedlungen der Fischer stehen. Mehr Mangroven sind eine gute Anpassungsmaßnahme zum Schutz der Bevölkerung hier."
Ghulam mahnt zur Eile. Aber das Schild müsse auf jeden Fall noch aufgestellt werden.
Gemeinsam hieven sie ein weißes Holzgestell aus dem Boot. Auf ihm steht der Name der Plantage und welches Dorf bei der Bepflanzung geholfen hat. Die Stelzen in den schlammigen Boden zu rammen ist nicht einfach. Unser Kapitän hält es fest. Ghulam steigt mit Schwung auf einen Querbalken. Die angespitzten Füße des Schilds rutschen tief in den weichen Grund.
Gemeinsam mit Ghulam fahren wir weiter ins Indusdelta hinein. Ein drei Meter langes Holzboot kreuzt unseren Weg. Darin hocken ein paar Männer und Frauen. Sie kommen aus einer der Siedlungen auf den bedrohten Sandbänken.
"We reached Sidique Dablo."
Dablo bedeutet Dorf auf Sindhi – der Sprache, die hier am meisten gesprochen wird. Langsam nähern wir uns der kleinen Siedlung. Abdul schaltet den Motor ab und lässt das Boot die letzten Meter treiben. Mohammad Ismail steht am Ufer und winkt mit beiden Händen. Er ist mit 1,85 Meter ziemlich groß. Umringt von den paar Alten und einer Schar Kinder wirkt er geradezu hünenhaft.
Mohammad begrüßt uns herzlich. Wir sind die ersten Gäste aus Deutschland, Amerikaner von einer NGO waren mal hier. Ghulam schaut besorgt zu uns, als wir ungelenk aus dem Boot auf die abschüssige Schlickbank steigen.
"You have to make your toes like this"
Hier zu laufen ohne sofort hinzufallen ist nicht einfach. Die Einheimischen klappen ihre Zehen nach unten, sie krallen sich bei jedem Schritt in den Schlick. So können sie sich halbwegs sicher auf dem glitschigen Untergrund bewegen.
Ihnen ist klar, dass sie selbst handeln müssen
Ghulam und Mohammad kennen sich schon einige Jahre. Doch es hat gedauert bis Ghulam die Dorfbewohner überzeugen konnte, dass ein paar Bäume und Büsche sie vor den starken Stürmen und Hochwassern beschützen können. Inzwischen aber werden die Dorfbewohner auch selbst aktiv. Als Ghulam das letzte Mal im Dorf war, bemerkte er neu gepflanzte Bäume. Die Bewohner hatten sich auf eigene Faust Setzlinge von der Aufforstungsbehörde geholt und sie um ihr Dorf gepflanzt. Ghulams Arbeit scheint Früchte zu tragen. Auch wenn die Dörfler noch immer nicht genau verstehen was der Klimawandel ist – sie schieben die Verantwortung nicht allein auf Gott. Ihnen ist klar, dass sie selbst handeln müssen.
Mohammad führt uns auf den kleinen Dorfplatz. Alte Männer hocken auf dem Boden und rauchen. Ihre Gesichter erzählen eine Lebensgeschichte von Wind und Wetter. Alles hier ist braun. Der festgetrampelte Schlick zwischen den Hütten. Die Bastmatten, die als Wände um die Holzgerüste der Hütten gespannt wurden. Nur die Frauen stechen mit farbiger Kleidung und bunten Kopftüchern heraus.
Mohammad hat sich neben die alten Männer gehockt.
"Immer wenn ein extremes Hochwasser kommt, dann werden unsere Hütten beschädigt und alles was darin ist auch. Einige Tage im Monat sind wir nur mit der Reparatur beschäftigt. Das Schlimme daran ist, dass wir in der Zeit nicht Fischen gehen können. Also auch nichts verdienen."
Die Reparatur der Hütten ist eine mühsame Knochenarbeit. Damit wir das auch wirklich verstehen, holt Mohammad zur Belustigung der anderen Dorfbewohner einen Spaten, stößt ihn mühsam in den trockenen Boden und wirft etwas Erde gegen das Fundament der nächsten Hütte. Dann tritt er den staubigen Brocken fest. Die Alten auf dem Dorfplatz grinsen schief. Die Kinder staunen.
Mohammads Haus steht auf Stelzen. Etwa einen Meter über dem Boden. Es ist nicht der einzige Pfahlbau des Dorfes. Etwa die Hälfte der Dorfbewohner wohnt mittlerweile so. Dabei hat Pfahlbauweise hier keine Tradition. Mohammad zeigt auf die Stelzen unterhalb des Eingangs seiner Hütte. Drei Jahre lang hat sie sich nun schon bewährt. Deutlich ist der Wasserstand der letzten Überflutung zu erkennen. Etwa einen halben Meter über dem Boden.
"Das Wasser kommt bis dort hin, aber seitdem ich so wohne, kam es nicht einmal in die Hütte."
Mohammad lehnt an einem Boot das auf der Sandbank liegt und schaut seinen beiden Jungs beim Spielen zu. Sie haben Wasserkanister zu kleinen Booten umgebaut und paddeln um die Wette. Immer wieder geht es quer über den Priel. Ein ungefähr zehnjähriges Mädchen schaut den beiden zu. Mit den beiden Zöpfen sieht sie aus wie die pakistanische Pippi Langstrumpf.
"Einige sind von hier weggegangen, als ein schlimmer Zyklon hier alles verwüstet hat. Die haben Verwandte in Karachi. Mit einem richtigen Haus. Aber ich kenne dort niemanden."
Nach Karachi schaffen es aber nur die wenigsten. Wer von hier flüchtet, landet wahrscheinlich eher in dem Fischerort Keti Bandar, der kaum 20 Kilometer entfernt ist.
Weil so viele Menschen aus umliegenden Dörfern hier her gezogen sind, platzt Keti Bandar aus allen Nähten. Alles hier wirkt behelfsmäßig. Hinter den gedrungenen Steinhäusern im Zentrum stehen zusammengezimmerte Hütten aus Holz und Schilf. Wo man auch hinschaut, liegt stinkender Müll. Fischhändler hocken auf kleinen Tischchen inmitten ihrer Ware. Ghulam bleibt an einem Stapel schmutziger blauer Plastikkisten stehen und redet auf Sindhi mit dem Verkäufer.
Der Verkäufer holt einen großen Krebs aus der Kiste und präsentiert ihn Ghulam. Wenn die untere Schale hart ist, sei der Krebs ausgewachsen. Neben uns wühlt ein Junge im Dreck, schiebt ein Stück Karton zur Seite und hebt einen darunterliegenden Fisch auf. Der Kleine rennt los und zeigt den Fund seinem Vater, der vor einer Schilfhütte im Unrat hockt und apathisch starrt. Auch er ist ein Mohana und hat vorher sicher in einer der Siedlungen gelebt. Nun lebt er in der so genannten Zivilisation. Zwischen alten Plastiktüten und Fischabfällen.
Keine Zukunft auf ihrer Sandbank
An der Anlegestelle des Fischerortes sind bunt bemalte Boote festgemacht. Ein paar Fischer sitzen am Kai und flicken ihre Netze. Andere hocken da und kauen Gudka. Eine Bethelnuss-Mischung, die manchmal mit Tabak oder weiteren Rauschmitteln ergänzt wird. Überall klebt roter Speichel.
Saleem Dablo hat das rechte Bein nach vorne ausgestreckt, das linke angewinkelt. Um den großen Zeh hat er das Ende des orangenen Netzes gespannt, während er mit einer Spindel Masche um Masche webt. Er ist einer der wenigen hier dessen Zähne nicht rotbraun sind vom Gudka kauen. Und seine Augen sind klar. Er hat sich für unseren Besuch zurechtgemacht. Sein grünes Shalwar Khamez ist blitzsauber, die pechschwarzen Haare sind nach hinten gekämmt. Der 40-jährige Fischer schaut von seinem Netz auf.
Saleems halbes Dorf ist nach Keti Bandar umgesiedelt - das ist nun ein knappes Jahr her. Auf ihrer Sandbank haben sie keine Zukunft für sich gesehen.
"Wir haben in den Creeks nicht weit von Keti Bandar gelebt. Aber dort waren wir ständig von den immer schlimmer werdenden Fluten bedroht. Deshalb sind wir hier her gezogen."
Sie alle leben nun am Rande der Stadt in selbst gebauten aber ordentlichen Holzhütten. Saleems hat vier Kinder. Seine beiden Jungs sind acht und zehn Jahre alt. Auf plattgedrückten 2,5 Liter Colaflaschen rutschen sie die steile Landungsbrücke zu einem schwimmenden Anleger hinunter.
"Unsere Kinder haben schon gar nicht mehr geschlafen nachts, weil sie Angst davor hatten, dass unser Haus weggespült wird. Und wir Erwachsenen hatten Angst um unser ganzes Hab und Gut."
Die Jungs rennen die Landungsbrücke noch einmal hoch. Bereit für die nächste Abfahrt. Ob Saleems Entscheidung nach Keti Bandar zu ziehen gut war? Es ist jetzt noch schwer abzusehen. Und eigentlich hatte er ja doch nur die Wahl zwischen seiner langsam in den Fluten untergehenden Siedlung und einem Leben hier, wo sich all die Verzweifelten der Umgebung sammeln. Auf der Flucht vor dem Wasser – das gleichzeitig ihre Lebensgrundlage ist.