Flüchtige Begegnungen
Geister haben etwas Flüchtiges. Wem sie sich zeigen, der muss damit rechnen, sie nur kurz zu Gesicht zu bekommen. Es bleibt nicht viel Zeit, um diese bizarren Erscheinungen zu erfassen und sich ein Bild zu machen. "Geistersehen" nennt die 1969 in Essen geborene Marion Poschmann ihren neuen Gedichtband, in dem häufig Eindrücke beschrieben werden, die durch flüchtige Begegnungen ausgelöst worden sind.
Etwas irrlichtert durch die Texte, ohne dass der Leser genau weiß, worum es sich handelt. In dieser Unbestimmtheit korrespondieren die Gedichte des Bandes mit dem Titel, der ja indirekt auch die Frage aufwirft, ob Geister nur ein Produkt der Einbildung sind oder wirklich existieren.
Die Erfahrung, dass die Dinge kaum noch Bodenhaftung haben und eher die Tendenz besitzen, sich aufzulösen, dass sie nur noch Schatten werfen und allein ein Zittern davon kündet, dass da etwas war, was inzwischen verschwunden ist, kann als eine den Gedichten eingeschriebene Gewissheit angesehen werden. Wiederholt ist von "Unschärfe" und vom "Flimmern" die Rede, wird auf "Unrast" und "Ungewissheit" verwiesen, geht der Griff ins Leere oder die "Hände fingern blindlings nach einem Halt", wie es in dem Gedicht "Tarnfarben" heißt.
Das lyrische Ich weiß, dass die Dinge nicht ewig da sind. Alle anders lautenden Versprechen haben sich als unwahr erwiesen und eine Leere hinterlassen. Ausgehend von dieser Erfahrung macht sich die Autorin in den Gedichten immer wieder auf die Suche nach Halt bietenden Gründen. Doch was sie sucht, findet sie nicht. In den verschiedenen Bildern – der Band gliedert sich in neun Abteilungen ("Testbilder", "Störbilder", "Spiegelungen", "unscharfe Jahreszeiten", "Trugbilder: Herbarium", "die Geisterseher", "Nachbilder: Kanäle", "Bildnisse", "Lehrpfad der Abwesenheit") – dominieren Verlusterfahrungen.
Daraus resultiert eine anhaltende Skepsis gegenüber jeglichen Versprechen und Gewissheiten. Das lyrische Ich ist stets darauf gefasst, dass im nächsten Moment verschwindet, was doch von langer Dauer sein sollte. Bestätigt wird diese Skepsis durch allgegenwärtige Schatten. Poschmann benennt in ihren Gedichten die eher unwirklich erscheinenden Reste, Übriggebliebenes, das ohne Struktur ist. Gerade weil sie häufig von konturlosen und oft unscharfen Wahrnehmungen spricht, gelingt es ihr sehr überzeugend, einen Eindruck von der fatalen Situation zu vermitteln, in der sich das lyrische Ich befindet. Die kurzen Übergangsmomente, in denen Vertrautes verschwindet, haben etwas Beunruhigendes.
In ihren Gedichten verhilft Poschmann den flüchtigen Dingen zu einer längeren Verweildauer. Das Wortnetz, mit dem sie eine auseinanderdriftende Welt zusammenzuhalten versucht, ist äußerst zart. Darin besteht der Widerspruch zur Wirklichkeit, die massiv an den störanfälligen Konstruktionen rüttelt. Poschmanns Gedichte bleiben ganz bei sich, und indem sie immer wieder das eine Thema umkreisen, rufen sie umso deutlicher Verluste in Erinnerung.
Besprochen von Michael Opitz
Marion Poschmann: Geistersehen, Gedichte
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010,
120 Seiten, 17,80 Euro
Links bei dradio.de
Marion Poschmann: "Hundenovelle", Frankfurter Verlagsanstalt 2008
Marion Poschmann: "Schwarzweissroman", Frankfurter Verlagsanstalt 2005
Die Erfahrung, dass die Dinge kaum noch Bodenhaftung haben und eher die Tendenz besitzen, sich aufzulösen, dass sie nur noch Schatten werfen und allein ein Zittern davon kündet, dass da etwas war, was inzwischen verschwunden ist, kann als eine den Gedichten eingeschriebene Gewissheit angesehen werden. Wiederholt ist von "Unschärfe" und vom "Flimmern" die Rede, wird auf "Unrast" und "Ungewissheit" verwiesen, geht der Griff ins Leere oder die "Hände fingern blindlings nach einem Halt", wie es in dem Gedicht "Tarnfarben" heißt.
Das lyrische Ich weiß, dass die Dinge nicht ewig da sind. Alle anders lautenden Versprechen haben sich als unwahr erwiesen und eine Leere hinterlassen. Ausgehend von dieser Erfahrung macht sich die Autorin in den Gedichten immer wieder auf die Suche nach Halt bietenden Gründen. Doch was sie sucht, findet sie nicht. In den verschiedenen Bildern – der Band gliedert sich in neun Abteilungen ("Testbilder", "Störbilder", "Spiegelungen", "unscharfe Jahreszeiten", "Trugbilder: Herbarium", "die Geisterseher", "Nachbilder: Kanäle", "Bildnisse", "Lehrpfad der Abwesenheit") – dominieren Verlusterfahrungen.
Daraus resultiert eine anhaltende Skepsis gegenüber jeglichen Versprechen und Gewissheiten. Das lyrische Ich ist stets darauf gefasst, dass im nächsten Moment verschwindet, was doch von langer Dauer sein sollte. Bestätigt wird diese Skepsis durch allgegenwärtige Schatten. Poschmann benennt in ihren Gedichten die eher unwirklich erscheinenden Reste, Übriggebliebenes, das ohne Struktur ist. Gerade weil sie häufig von konturlosen und oft unscharfen Wahrnehmungen spricht, gelingt es ihr sehr überzeugend, einen Eindruck von der fatalen Situation zu vermitteln, in der sich das lyrische Ich befindet. Die kurzen Übergangsmomente, in denen Vertrautes verschwindet, haben etwas Beunruhigendes.
In ihren Gedichten verhilft Poschmann den flüchtigen Dingen zu einer längeren Verweildauer. Das Wortnetz, mit dem sie eine auseinanderdriftende Welt zusammenzuhalten versucht, ist äußerst zart. Darin besteht der Widerspruch zur Wirklichkeit, die massiv an den störanfälligen Konstruktionen rüttelt. Poschmanns Gedichte bleiben ganz bei sich, und indem sie immer wieder das eine Thema umkreisen, rufen sie umso deutlicher Verluste in Erinnerung.
Besprochen von Michael Opitz
Marion Poschmann: Geistersehen, Gedichte
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010,
120 Seiten, 17,80 Euro
Links bei dradio.de
Marion Poschmann: "Hundenovelle", Frankfurter Verlagsanstalt 2008
Marion Poschmann: "Schwarzweissroman", Frankfurter Verlagsanstalt 2005