Flüchtlinge als Feinde

Das Erbe der Pegida-Bewegung

Vor der Insel Lampedusa warten Flüchtlinge in einem Schlauchboot darauf, in Sicherheit gebracht zu werden.
Vor der Insel Lampedusa warten Flüchtlinge in einem Schlauchboot darauf, in Sicherheit gebracht zu werden. © dpa / picture alliance / Darrin Zammit Lupi
Von Thilo Schmidt · 29.05.2015
Pegida hat die Ablehnung von Flüchtlingen salonfähig gemacht, meint der Politologe Thilo Schmidt: Erst marschierte Pegida, dann zeigten vermehrt Politiker "Verständnis" für die "Sorgen der Menschen". Dann brannten und brennen Asylbewerberheime.
Endlich gibt es wieder links und rechts. Endlich ist es vorbei, das Geschwurbel von der politischen Mitte. Die es ohnehin nie gab, die eine Erfindung war, um möglichst große Wahlerfolge mit möglichst wenig Positionierung zu erzielen. Endlich sortiert sich jeder Einzelne wieder ein in rechts oder links, dafür oder dagegen. So wie es früher beim Radikalenerlass oder der Hochrüstung in Ost und West war. Das ist das Erbe von Pegida.
Pegida hat deutlich gemacht, dass es in breiten Teilen der Gesellschaft tief verwurzelte Ressentiments gegen Ausländer gibt. Nennen wir es ruhig beim Namen: Dass es einen breiten, tief verwurzelten Rassismus gibt. Pegida hat aber auch deutlich gemacht, dass es einen ebenso starken Gegenpol gibt: Menschen, die eine tolerante Gesellschaft wollen, die Zuwanderung als Chance begreifen, die Flüchtlingen helfen wollen. Pegida ist weg – aber die Lager bleiben. Und das ist gut so, denn man muss sein Gegenüber kennen, um ihm entgegenzuwirken.
Es ist salonfähig, etwas gegen Ausländer zu haben
Dank Pegida ist es wieder salonfähig geworden, etwas gegen Ausländer zu haben. Der CDU-Kandidat für das Oberbürgermeisteramt im sächsischen Freital will sich im Fall seiner Wahl für Sanktionen gegen "pöbelnde und gewalttätige Asylbewerber einsetzen". Verstanden? Verstanden.
Und wann wird in Freital pöbelnd und gewalttätig gegen Asylbeweber vorgegangen? Bereits geschehen. Ein Asylbewerber wurde bereits zusammengeschlagen, auf das Asylbewerberheim fliegen Böller und Steine und der Betreiber des Heims erhielt Drohanrufe. Die Freitaler "Organisation für Weltoffenheit und Toleranz" sagte eine Demonstration ab, nachdem Adressen und Telefonnummern der Anmelder in die Hände einer Anti-Asyl-Bürgerwehr fielen – durch einen "Fehler" der Stadtverwaltung.
Schon vergessen? Noch während in Rostock-Lichtenhagen 1992 das Sonnenblumenhaus brennt und Hunderte eingeschlossene Menschen – überwiegend Vietnamesen – um ihr Leben fürchten, beraten nur wenige Kilometer entfernt Bundes- und Landespolitiker darüber, wie man "das Asylproblem in den Griff kriegt". Dann beschließt der Bundestag, in breiter Mehrheit und mit Zustimmung der SPD-Opposition, das verschärfte Asylrecht. Und dann werden im ganzen Land Ausländerheime angezündet und Migranten ermordet.
Erst marschierte Pegida, dann brannten Asylbewerberheime
Und heute? Erst marschierte Pegida, dann zeigten vermehrt Politiker "Verständnis" für die "Sorgen der Menschen". Dann brannten und brennen Asylbewerberheime. Tröglitz und Zossen sind nur zwei Fälle, es gibt wesentlich mehr. Die Besorgnis über den Rückzug des Tröglitzer Bürgermeisters Markus Nierth nach Bedrohungen durch Neonazis? Pah. Wer es hätte sehen wollen, hätte sehen können, dass es Hunderte Markus Nierths gab und gibt, für die sich niemand interessiert.
Nein, es gab überhaupt nichts zu differenzieren bei Pegida und es gibt nichts zu differenzieren bei den geistigen Erben dieser Bewegung. Es gibt auch nichts zu reden. Wenn eine saturierte Meute, der es an nichts Lebenswichtigem fehlt, sich über Fremdländisches aufregt, dann ist die Konsequenz daraus höchstens, dass wir mehr in unsere Bildung investieren sollten, und zwar besonders in den Fächern Sozialkunde, Staatsbürgerkunde, Neuerer Deutscher Geschichte und Ethik. Wen 50 Asylbewerber im Nachbardorf mehr stören als tausende Tote auf dem Mittelmeer, hat kein Verständnis verdient.
Seit einigen Monaten ist diese Unterscheidung wieder klar zu erkennen: zwischen herzlich und herzlos, zwischen menschlich und unmenschlich, zwischen warmherzig und feindselig. Dafür, und für nichts anders, können wir Pegida dankbar sein.
Thilo Schmidt, geboren 1976, Diplom-Politologe, ist freier Autor und Hörfunk-Journalist. Seit 2010 ist er Lehrbeauftragter im Masterstudiengang "Kulturjournalismus" an der Universität der Künste Berlin. Thilo Schmidt lebt in Berlin.



Der Diplompolitologe Thilo Schmidt  ist freier Autor und Hörfunk-Journalist.
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