Flüchtlinge

Fast in Syrien

Bundespräsident Joachim Gauck besucht am 27.04.2014 im Flüchtlingslager in Kahramanmaras (Türkei) und spricht mit Kindern, die in dem Lager wohnen.
Joachim Gauck in dem Flüchtlingslager in Kahramanmaras © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Ellen Häring |
Der Bundespräsident ist auf Staatsbesuch in der Türkei und fuhr nicht zuerst nach Ankara oder Istanbul, sondern an die syrische Grenze, wo der Krieg allgegenwärtig ist - vor allem aufgrund der Flüchtlinge.
Kinder sind fordernd, auch im Flüchtlingslager. Vier Mädchen und zwei Jungs hüpfen als Schmetterlinge verkleidet vor dem Bundespräsidenten und singen dazu. Danach folgt eine Theatereinlage. Auf arabisch. Aber das macht nichts. Joachim Gauck lacht. Und schließlich darf er noch Kurzfilme gucken, die die syrischen Flüchtlingskinder über sich selbst gemacht haben.
Im Unicef-Container ist es bunt und fröhlich, eine winzig kleine Welt verglichen mit dem unendlichen Panorama weißer, halbrunder Zelte draußen. Nicht enden wollende Reihen von langen Plastikbehausungen, in deren 16 Quadratmeter großem Inneren die Temperaturen erbarmungslos mit dem Stand der Sonne steigen.

16.000 Flüchtlinge leben in Kahramanmaras, täglich kommen 500 dazu. Kahramanmaras ist nur eines von über 20 Lagern in der Türkei . Fast eine Million Syrer halten sich im Land auf, längst nicht alle in den Camps. Die meisten suchen ihr Glück in einer der Städte, die für sie erreichbar sind.
Zelte im Flüchtlingslager Kahramanmaras. Man sieht weiße Kunststoffzelte.
Zelte im Flüchtlingslager Kahramanmaras© Deutschlandradio - Ellen Häring
Ringen um Unterstützung für den Umgang mit den Flüchtlingen
Während Joachim Gauck im Container die Fragen der Kinder beantwortet, steht ein Unicef-Mitarbeiter am Eingang und resümiert:

"Die Türkei hat in vorbildlicher Weise Verantwortung gezeigt, wir würdigen das. Aber die Türkei darf nicht allein damit gelassen werden, die internationale Gemeinschaft muss hier unterstützen. So ein Besuch ist gut, weil er internationale Aufmerksamkeit für diese humanitäre Frage bringt und hoffentlich mehr Unterstützung für die Türkei."
Joachim Gauck schlüpft durch die Eingangstür des Unicef-Containers hinaus in die stechende Sonne. Er macht dem Unicef-Mitarbeiter Mut, und der nickt zufrieden.
"Ich bin hierher gekommen, weil ich schon von Deutschland aus besonders beeindruckt war über dne Großmut und die aktive Hilfe gegenüber den syrischen Flüchtlingen, die die Türkei als Staat, aber auch die türkischen Menschen sich geleistet haben bisher und weiter leisten. Das sind enorme Anstrengungen. Und ich möchte dies hier mit meinem Besuch hier würdigen."
Neugierige warten am Zaun des Flüchtlingslagers Kahramanmaras auf Bundespräsident Gauck.
Neugierige warten am Zaun des Flüchtlingslagers Kahramanmaras auf Bundespräsident Gauck.© Deutschlandradio - Ellen Häring
Die vielen Anzugträger, die schicken Autos, das ganze Sicherheitspersonal – die Flüchtlinge stehen an einem Stacheldrahtzaun, der das ganze Lager umgibt, und staunen: Frauen in Pluderhosen und Kopftüchern, andere in langen Kleidern und Badeschlappen. Die Männer stehen in Gruppen, winken freundlich, aber sprechen nicht. Sie lächeln.

Assad muss weg, brüllen in einer Querstraße Jugendliche und kurze Zeit später lassen sie den türkischen Ministerpräsident Erdogan hochleben. Er ist ein Held, weil er die Grenzen offen lässt und den Syrern hilft.
Die Präsidentendelegation geht weiter zum Supermarkt, wo die Flüchtlinge mit einer elektronischen Karte für 80 türkische Lira im Monat, ungefähr 30 Euro, einkaufen können. Windeln liegen reihenweise im Regal, Waschmittel, Öl, Eier, Tomaten.
Ein Angelegenheit der Türken
Joachim Gauck ist verschwunden, viel länger als das Protokoll erlaubt, und kommt dann sichtlich berührt wieder:
"Ich hatte eben die Gelegenheit ohne Medien in ein Zelt einkehren zu dürfen, eingeladen von einer jungen Familie mit vier bildschönen kleinen Kindern. Das jüngste anderthalb Jahre alt, hier geboren. Die junge Frau erzählte uns hier davon, dass vor ihren Augen ihr eigener Vater erschossen wurde, völlig willkürlich. Und dass sie so sehr davon träumen, dass sie uns einmal in einem eigenen Haus willkommen heißen können und empfangen können. Und man fragt sich gerade auch angesichts nicht nur nackter Zahlen, sondern solcher menschlicher Begegnungen, ob es wirklich alles ist, was wir tun können, was wir bis jetzt in Deutschland tun."
Nicht einmal 5.000 syrische Flüchtlinge leben in Deutschland, 10.000 waren eigentlich zugesagt, aber es gibt bürokratische Hürden, so heißt es. Beschämend für alle in diesem Moment, in dem das Elend so sichtbar und die Not so erfahrbar wird.
Bundespräsident Gauck vor einer Patriotrakete am Bundeswehreinsatzort Kahramanmaras, ca. 100 km von der syrischen Grenze entfernt. Die Bundeswehr soll die Stadt vor möglichen Raketeneinschlägen aus Syrien schützen.
Bundespräsident Gauck vor einer Patriotrakete am Bundeswehreinsatzort Kahramanmaras, ca. 100 km von der syrischen Grenze entfernt. Die Bundeswehr soll die Stadt vor möglichen Raketeneinschlägen aus Syrien schützen.© Deutschlandradio - Ellen Häring
Der Bundespräsident verteilt noch Buntstifte und fährt weiter, den Berg hinauf hinter das Flüchtlingscamp. Denn dort, keine Viertelstunde entfernt, liegt die Kaserne, in der seit Januar 2013 knapp 300 deutsche Bundeswehrsoldaten stationiert sind. Ihre Aufgabe: Sie sollen mögliche Raketenangriffe von syrischer Seite abwehren. Die Patriot-Stellung ist eine von dreien, auch die USA und die Niederlande beteiligen sich an der Unterstützung des Nato-Partners Türkei.
Im weiten Nichts ragen die Raketen in den Himmel, die Soldaten freuen sich über den hohen Besuch und stehen stramm. Das Flüchtlingslager ganz in ihrer Nähe kennen sie nicht:
- "Wir wissen, dass es die Flüchtlingslager hier gibt, aber so direkt etwas davon mitbekommen? Kann ich nicht behaupten. Ich weiß nicht, ob es untersagt ist. Auf jeden Fall war ich noch nicht da. Nee."
- "Ich ebenfalls nicht. Ich glaube auch: Niemand aus dem Kontingent. Das ist eine Angelegenheit der Türken. Und dementsprechende sind wir, meine ich, auch nicht dazu befugt, in diese Gegend zu gehen."
Inzwischen ist es Mittag und die Sonne glüht. Unverdrossen steht Bundespräsident Gauck in der gleißenden Hitze, findet warme Worte für die Soldaten und ihre Familie, freut sich darüber, dass ihre Container bei diesen Temperaturen klimatisiert sind und ordnet ihren Auftrag politisch ein.
"Ich bin froh, dass Sie hier sind, dass Sie unseren türkischen Verbündeten zeigen, dass für uns Solidarität nicht nur auf dem Papier steht, sondern dass wir bereit sind, mit unseren Mitteln und Fähigkeiten an ihre Seite zu treten."

Dann geht er mit den Soldaten Mittagessen in die Kantine.
Dass bisher noch keine einzige Rakete aus Syrien abgewehrt werden musste, weder von den Deutschen, noch von den Amerikanern oder den Niederländern, das ist – und darin sind sich Soldaten und der Bundespräsident schnell einig – am Ende ein gutes Zeichen.
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