Flüchtlinge

Gegen ein Ministerium für Migration!

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l-r), die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Aydan Özoguz (SPD) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) unterhalten sich am 03.02.2016 vor Beginn der Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt in Berlin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l-r), die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Aydan Özoguz (SPD) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) © picture-alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Stephan Hebel |
Ein neues Bundesministerium, das die Flüchtlingspolitik koordinieren soll: Der Frankfurter Journalist Stephan Hebel hält nichts von dieser Idee. Denn eine Beauftragte, einen Koordinator und eine Kanzlerin mit Richtlinienkompetenz gebe es ja bereits.
Es klingt vielleicht banal, muss aber immer mal wieder ausgesprochen werden: Deutschland braucht eine Regierung. In Zeiten wie diesen dringender denn je.
Ja, sicher: Deutschland hat schon eine Regierung. Jeden Mittwoch trifft sich das Kabinett, erörtert die Lage und plant neue Gesetze. Allerdings hat das Flüchtlingsthema wieder einmal gezeigt: Im Geflecht von Parteiinteressen und Ressortzuständigkeiten hat der Gleichschritt Seltenheitswert. Oft genug laufen die Beteiligten aneinander vorbei oder gar in entgegengesetzte Richtungen.
Im Bundeskanzleramt sitzt seit Jahren eine Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, so der offizielle Titel. Sie bekleidet den Rang einer Staatsministerin, heißt Aydan Özoğuz und gehört der SPD an. Allerdings ist von ihr erstaunlich wenig zu hören.

Ob Deutschland ein Einwanderungsministerium braucht, hat Nana Brink in "Studio 9" die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz gefragt.

Einen Bundesminister als Koordinator gibt es bereits
Ebenfalls im Bundeskanzleramt sitzt dessen Chef, Peter Altmaier, offiziell "Minister für besondere Angelegenheiten". Er gehört der CDU an, darf sich seit vier Monaten auch "Flüchtlingskoordinator" nennen, redet mehr als seine Kollegin Özoguz und galt einst als womöglich wirkungsvolle Bremse für Hardliner wie Horst Seehofer oder Thomas de Maizière.
Der wiederum ist ebenfalls für Flüchtlinge zuständig, und zwar dermaßen, dass er gerade einen "Stab für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration" eingerichtet hat. Und dann sind da noch das Finanz- und das Außen- und das Entwicklungs-, das Wohnungsbau- oder das Justizministerium, die alle ebenfalls etwas zu tun haben mit dem Mega-Thema "Flucht und Migration".
Sicher: Das alles wirkt relativ unübersichtlich, und es verwundert deshalb nicht, dass immer mal wieder nach einem neuen Ministerium gerufen wird: Zuwanderung und Integration bräuchten ein eigenes Ressort, fordert der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen genauso wie der Grüne Daniel Cohn-Bendit.
Debatte unter verschiedenen Ressorts ist hilfreich
Aber ist das die Lösung? Das darf bezweifelt werden. Die Idee, es würde alles einfacher, wenn eine oder einer allein zuständig ist, hält der komplexen Wirklichkeit nicht stand. Hinter unterschiedlichen Zuständigkeiten steckt ja nicht nur der politische Proporz einer Koalitionsregierung, sondern sie spiegeln auch die vielseitigen Aspekte eines schwierigen Themas.
Natürlich könnte sich ein Integrationsministerium des Sachverstandes anderer Häuser bedienen. Aber der Austausch, auch der notwendige politische Streit unter Kabinettsmitgliedern wäre weitgehend unterbunden.
Dass weniger Debatte die Entscheidungen besser machen würde, ist eine Illusion. Es sei denn, man hielte Diskussionen innerhalb einer Regierung für überflüssig und hätte das demokratische Ideal, dass ein Meinungsaustausch auch zu besseren Ergebnissen führt, schon aufgegeben.
Über Richtlinien sollte die Kanzlerin entscheiden
Oder braucht es ein neues Ministerium nur, um die tägliche Arbeit der Bundesregierung besser zu koordinieren? Diese Aufgabe allerdings gehört ins Kanzleramt, und dahin ist sie ja, siehe oben, bereits vergeben. Vielleicht sogar doppelt, aber dann wäre zu entscheiden, ob die Integrationsbeauftragte das Sagen hat oder der Flüchtlingskoordinator.
Bei aller populären Kritik an Bürokratie und Ressortstreitigkeiten: Wenn ein Thema zu groß ist, um es in eine feste Zuständigkeit zu pressen, dann dieses.
Das heißt allerdings nicht, dass auf unbestimmte Zeit geredet und gestritten oder gar gegeneinander gearbeitet werden sollte. Aber um das zu unterbinden, gibt es auch schon eine Amtsinhaberin. Es ist die Bundeskanzlerin, und sie bestimmt laut Grundgesetz die Richtlinien der Politik. Täte sie das entschlossen, und zwar über schöne Sätze wie "Wir schaffen das" hinaus, dann müssten wir über neue Ministerien nicht reden.
Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig. Bucherscheinungen: "Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht" (Westend Verlag 2013), "Deutschland im Tiefschlaf. Wie wir unsere Zukunft verspielen" (Westend Verlag 2014) sowie mit Gregor Gysi: "Ausstieg links? Eine Bilanz" (Westend Verlag 2015).
Stephan Hebel, freier Autor
Stephan Hebel, freier Autor© Frankfurter Rundschau
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