Flüchtlinge

Großoffensive gegen Armut notwendig

Ein Bettler sitzt bei Minusgraden in gebückter Haltung auf seinen Knien
Gegen Armut und Obdachlosigkeit sollen sozialpolitische Maßnahmen gestartet werden. © dpa / Bodo Marks
Von Christoph Butterwegge · 14.03.2016
Migration könne soziale Konflikte verschärfen, müsse es aber nicht, sagt der Kölner Politologe Christoph Butterwegge. Er fordert eine politische Großoffensive in der Armutsbekämpfung, die gleichermaßen Einheimische wie Zuwanderer erreicht.
Die vermehrte Aufnahme von Flüchtlingen wird die bundesdeutsche Sozialstruktur verändern. Armut und soziale Ungleichheit dürften spürbar zunehmen. Ja, es droht sogar eine dauerhafte ethnische Unterschichtung der Gesellschaft.
Jedenfalls dann, wenn die politisch Verantwortlichen nicht verhindern, dass Geflüchtete sozial ausgegrenzt, in Wohnsilos am Rande der Städte gedrängt und bei Bildung, Gesundheit, Freizeitgestaltung und Kultur schlechter gestellt werden.

Integration entscheidet sich auf dem Arbeitsmarkt

Problematisch wäre es auch, würden Asylberechtigte schlecht bezahlte Jobs einer Berufsausbildung vorziehen. Etwa weil sie nicht damit rechnen, lange hier zu bleiben, weil sie ihre Familie in der Heimat finanziell unterstützen oder schnell auf eigenen Füßen stehen möchten.
Es muss ihnen vermittelt werden, welch hohen Stellenwert Berufsabschlüsse und Zeugnisse in Deutschland haben. Dies nützt ihnen auch bei einer Rückkehr ins Herkunftsland.
In einem Sozialversicherungsstaat Bismarck’scher Tradition wie Deutschland hängt die gesellschaftliche Inklusion stark von der Integration in den Arbeitsmarkt ab. Eingliederungsleistungen und berufliche Qualifizierung sind dabei ganz entscheidend. Andernfalls droht die Zahl der Arbeitslosen und der Hartz-IV-Bezieher erneut zu steigen.
Es reicht keineswegs aus, Asylbewerber mit neuen 1-Euro-Jobs einer Beschäftigungstherapie zu unterziehen, wie von Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles geplant. Sie möchte die Hartz-IV-Logik des "Förderns und Forderns" ebenso wie die Union auf Flüchtlinge übertragen. Integrationsverweigerung würde mit drastischen Leistungskürzungen bestraft werden. Dabei fehlen Sprach- und Integrationskurse, nicht etwa der Bedarf und die Nachfrage.

Hartz IV grenzt Einheimische wie Flüchtlinge aus

Hartz IV versperrt Ausländern "mit Bleibeperspektive" den Erfolg auf dem ersten Arbeitsmarkt, weil es durch Sanktionsdrohungen lediglich immer neuen Nachschub für den Niedriglohnsektor schafft. Sinnvoll wäre ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor, der Zuwanderern wie Einheimischen erlaubt, in sozialversicherungspflichtigen und tariflich bezahlten Arbeitsverhältnissen einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen.
Um den Irrglauben zu zerstreuen, dass "uns" Massen zerlumpter Migranten die Butter vom Brot nehmen und hiesige Arme finanzielle Opfer für die Aufnahme, Unterbringung und Verpflegung von Flüchtlingen bringen müssen, wäre eine sozialpolitische Großoffensive erforderlich.
Sie sollte verhindern, dass verschiedene unterprivilegierte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden, muss vielmehr den einen wie den anderen gerecht werden. Auch Einheimische mit wenig Geld müssen künftig häufiger berufliche Weiterbildung erhalten und schneller eine Wohnung finden können. Es war richtig, wenn auch nicht ausreichend, dass die Große Koalition die Mittel für den sozialen Wohnungsbau verdoppelt hat.

Millionärssteuer wäre gerade jetzt sinnvoll

Woher sollen die dafür nötigen Milliardensummen kommen? Sinnvoll wären eine Millionärssteuer, die Wiedererhebung der Vermögensteuer sowie eine Anhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer auf große Vermögen. Nie war die Gelegenheit günstiger, um Steuererhöhungen auf Unternehmensgewinne, Kapitalerträge und Riesenvermögen durchzusetzen, als derzeit.
Die vermehrte Zuwanderung ist ein schlagendes Argument für die Notwendigkeit einer Umverteilung des Reichtums von oben nach unten. Aber man sollte die Kosten der Asylpolitik nicht aus Furcht vor rassistischer Stimmungsmache leugnen oder herunterspielen.
Entweder sind Staat und Gesellschaft bereit, erheblich mehr Geld auszugeben, oder die Kluft zwischen Arm und Reich wird sich drastisch vertiefen. Betreibt die Bundesregierung weiterhin Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung, gefährdet sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie.

Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt sind seine Bücher "Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik?" und "Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung. Eine sozial- und steuerpolitische Halbzeitbilanz der Großen Koalition" erschienen.



Der Poltikwissenschaftler Christoph Butterwegge auf einer Pressekonferenz zum Thema "10 Jahre nach der Einführung von Hartz IV - Bilanz und Kritik".
© Picture Alliance / dpa / Jörg Carstensen
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