Flüchtlinge in Dachau

Wer im Glashaus sitzt

Das rekonstruierte Metalltor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" in der KZ-Gedenkstätte Dachau in Dachau bei München (Bayern).
Das rekonstruierte Metalltor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" in der KZ-Gedenkstätte Dachau in Dachau bei München (Bayern). © dpa/picture-alliance/Peter Kneffel
Von Susanne Lettenbauer |
Zum Konzentrationslager Dachau gehörte ein Versuchszentrum für Kräuter und Pflanzen. In den ehemaligen Büros des Versuchszentrums hat die Stadt Obdachlose und Flüchtlinge untergebracht. Der Bürgermeister beruft sich auf die Wohnungsnot.
An diesem sonnigen Nachmittag liegt der ehemalige Kräutergarten des Konzentrationslagers Dachau wie ausgestorben da. Den Autoverkehr auf der Straße entlang der KZ-Gedenkstätte hört man nur gedämpft. Ein Baby schreit in einem der Gebäude, draußen ist niemand zu sehen.
"Hier das sind die Kopfbauten von Gewächshäusern gewesen, also es gab eine Reihe von Glashäusern, dann gab es den Kräutergarten, dann das große Gelände. Die SS hat es Freiland 1 und Freiland 2 genannt. Klar, wenn man es heute auf die Geschichte der Häftlinge bezieht, ein zynischer Name."
Dirk Riedel, Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Dachau kennt das Gelände des alten KZ-Kräutergartens neben der heutigen Gedenkstätte wie seine Westentasche. Er weiß, dass Häftlinge hier einfach erschossen wurden, wenn sie zu nah an die Wachposten herankamen, dass Ärzte gern ihre sogenannten Heilmittel an den KZ-Insassen ausprobierten.
Kein gutes Zeichen einer Willkommenskultur
Besonders zynisch nennt der wissenschaftliche Mitarbeiter die damals hochmoderne, teure Ausstattung der Gewächshäuser:
"Die SS hat diese Kosten nicht gescheut. Die Gewächshäuser wurden bereits Anfang der 40er-Jahre gebaut. Gleichzeitig ist das die Phase, aus der wir Berichte haben von Häftlingen des KZ Dachau, die immer weniger zu essen haben, deren Lebensbedingungen immer grausamer werden."
Heute wohnen in den ehemaligen Labor- und Lehrräumen des Kräutergartens Obdachlose und anerkannte Flüchtlinge. Eine Tatsache, mit der Gabriele Hammermann, die Leiterin der KZ-Gedenkstätte, sehr unglücklich ist.
"Wir haben ja für dieses Gelände ein anderes Konzept vorgesehen, das letztendlich die Einrichtung eines internationalen Fortbildungshauses an diesem Ort des früheren Kräutergartens vorsieht. Wir halten es auch nicht für ein Zeichen der Willkommenskultur, Menschen in diesen Zuständen aufzunehmen und aus diesen Gründen auch nicht für eine so gute Idee."
Oberbürgermeister Hartmann: Wir können auf die Unterkunft derzeit nicht verzichten
Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann hat das Problem Kräutergarten bereits von seinem Vorgänger geerbt. Seit Herbst 2014 kümmert sich nun der 29-Jährige um die Sozialfälle der Stadt. Auch wenn das ehemalige KZ-Gelände dem Freistaat untersteht – die Stadt Dachau will sensibel mit dem Thema umgehen. Gerade weil bereits im vergangenen Jahr rund 90 Flüchtlinge in einer weiteren Außenstelle des KZ Dachau in Augsburg untergebracht werden sollten.
Der Plan des Augsburger Stadtrates ist zwar mittlerweile vom Tisch. In den Gebäuden des ehemaligen Kräutergartens in Dachau selbst sind aber weiterhin Menschen untergebracht. Denn, so Hartmann, auf diese Unterkunft könne man derzeit schlicht nicht verzichten:
"Ja, es ist eine unserer... also ein großer Bestandteil, wir haben viele Unterkünfte, einige dezentrale Unterkünfte, aber es ist eine unserer Hauptunterkünfte. Da sind so um die 50 Personen untergebracht."
Die Obdachlosen sind froh
Es handele sich dabei nicht nur um anerkannte Flüchtlinge, die die Stadt Dachau unterbringen muss, betont Bayerns jüngster Bürgermeister. Auch Obdachlose wohnen in den ehemaligen SS-Büros. Die meisten von ihnen wollen aber lieber nichts dazu sagen. Sie sind froh, dass sie nicht auf der Straße stehen. Eine Bewohnerin bemängelt in gebrochenem Deutsch trotzdem den fehlenden Platz in den Gebäuden am Kräutergarten:
"Was soll ich sagen. So voll Leute, nur eine Toilette, mit Baby."
Dass hier ein Ausstellungszentrum und Fortbildungshaus entstehen könnte, davon hat diese Frau noch nichts gehört. KZ-Gedenkstättenleiterin Hammermann hofft derweil:
"Unserer Ansicht nach sollte es eine historische Ausstellung geben, auf der anderen Seite auch ein Fortbildungshaus, aber auch eine Möglichkeit, dass sich dieses vielfältige zivilgesellschaftliche Engagement – wir haben ja viele Geschichtsvereine –, dass die dort eben auch einen Ort finden und das ließe sich unserer Meinung nach an diesem Ort mit seiner Geschichte sehr gut verbinden."
"Ich kann die Leute nicht auf die Straße setzen"
Im Dachauer Rathaus kann man den Wunsch der KZ-Gedenkstätte verstehen. Als Kommune sehe man aber auch die wachsende Zahl an Flüchtlingen, die den Druck auf den Wohnungsmarkt in Zukunft noch erhöhen werde. Die Unterkunft am Kräutergarten habe sich doch bewährt, so Bürgermeister Hartmann:
"Ja, natürlich ist das ein Spagat, aber ich kann ja die Leute jetzt nicht auf die Straße setzen. Das muss ich ja auch berücksichtigen."
Die einfachste Lösung hat er auch gleich parat: Warum das Gelände nicht einfach weiterreichen nach oben Richtung Gedenkstättenleitung, die dem Freistaat untersteht.
"Nach meiner Ansicht nach sollte das Gelände dann zum Freistaat Bayern übergehen. Denn es macht ja keinen Sinn, hier zwei verschiedene Partner zu haben von der Leitung des Ganzen und der pädagogischen Betreuung. Da wird man verhandeln müssen."
Vom Freistaat gab es dazu noch keine Reaktion.
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