Flüchtlinge in Deutschland

Patenschaften sind mehr als reine Amtshilfe

Männliche Flüchtlinge sitzen am 24.09.2015 während einer Unterrichtsstunde in einem Klassenraum der Berufsbildenden Schule (BBS) 6 der Region Hannover (Niedersachsen).
Männliche Flüchtlinge sitzen am 24.09.2015 während einer Unterrichtsstunde in einem Klassenraum der Berufsbildenden Schule (BBS) 6 der Region Hannover (Niedersachsen). © dpa / picture-alliance / Holger Hollemann
Von Wiebke Bergemann |
Die Potsdamerin Susanne Dütz hat vor drei Jahren die Patenschaft für Fidele, einen jungen Mann aus Kamerun, übernommen. Sie hilft ihm bei dem Hausaufgaben und besucht mit ihm Ämter. Mittlerweile braucht Fidele Susanne immer seltener, gute Freunde wollen sie trotzdem bleiben.
Der Potsdamer Kirchenkreis für Flüchtlinge hat zu einem geselligen Abend mit Geflüchteten und ehrenamtlichen Helfern eingeladen. Jeder hat etwas zu Essen mitgebracht. Auf dem Büffet steht norddeutscher Heringssalat mit roten Beeten neben Köfte und Kürbissuppe.
"Hallo? Hey, Du bist ja da. Ich dachte Du bist in Cottbus? Nein nein..."
Fidele, ein junger Mann aus Kamerun begrüßt die Diakonie-Mitarbeiterin Annina Beck.
"Hauptsache Dir geht es gut. Ja. Und Ausbildung? Auch gut. Ja? Trotz erstem Ausbildungsjahr? Das ist ja nicht immer soooo der Hit meistens. Nein, nein, das ist gut."
Als Fidele vor drei Jahren allein und gerade 18 Jahre alt hier nach Potsdam kam, besorgte die Diakonie ihm einen Platz in einem Deutschkurs. Und sie vermittelte ihm eine ehrenamtliche Patin, Susanne Dütz. Die 52-Jährige steht zwischen den gedeckten Tischen und unterhält sich mit einer anderen Helferin, die wie sie Flüchtlinge betreut. Sie unterhalten sich über die Befugnisse, die sie als Flüchtlingspaten brauchen.
"Wo ich in den letzten Jahren überall angerufen habe und gesagt habe, ich bin die Betreuerin, und es haben mir fast immer alle alles gesagt. Es war ganz selten, dass jemand gefragt hat, haben Sie überhaupt ein recht, das zu wissen, ist derjenige überhaupt damit einverstanden? Das stimmt."
"Ich bin der Beste in Mathematik"
Susanne Dütz hat inzwischen viel Erfahrung mit Behörden und dem deutschen Aufenthaltsrecht. Seit drei Jahren gehen sie und Fidele gemeinsam zum Ausländeramt und zum Sozialamt. Sie hilft dem jungen Kameruner, sich durch den Behördendschungel zu kämpfen und die nötigen Formulare auszufüllen. Dafür hält sich Susanne Dütz, die als IT-Expertin in der Stadtverwaltung arbeitet, einen Nachmittag pro Woche frei. Manchmal kommen zusätzliche Termine hinzu.
"Ich verstehe die Frau vom Sozialamt nur schlecht. Sie spricht so schnell. Aber Susanne hat ihr gesagt, sie soll langsamer sprechen. Das war wichtig für mich. Susanne hat mir bei allem, was ich in Deutschland gemacht habe und erledigen musste, immer geholfen."
Oft muss sie sich dabei selbst beraten lassen, wie die Rechtslage ist und welche Möglichkeiten es gibt. Und immer hatte sie Sorge, dass Fideles Duldung nicht verlängert werden könnte.
"Ich habe mir immer wieder sehr viele Sorgen gemacht. Und an manchen Tagen ist die Frage, wer größeres Bauchweh hatte. Und ich habe mir das so sehr gewünscht, dass Fidele hier einen Platz findet. Und ich war mir nicht immer ganz sicher, ob Fidele das schafft, ob wir das schaffen. Aber es war nie das Gefühl, dass ich da nicht mehr machen möchte. Die Erfolge, wenn etwas dann doch geklappt hat, die waren so motivierend. Und es war dann mehr und mehr, als ob er ein zweites Kind in der Familie war."
Um Fideles Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu verbessern, macht er einen deutschen Schulabschluss nach. Ein Sprung ins kalte Wasser: Die Schule, die er besucht, ist nicht auf ausländische Schüler vorbereitet. Es fällt Fidele schwer, dem Unterricht auf Deutsch zu folgen. Die Treffen mit Susanne Dütz sind jetzt gefüllt damit, Hausaufgaben zu machen und für die Schule zu üben.
"Ich bin der Beste in Mathematik, habe immer Einsen oder Zweien. Das hat die deutschen Schüler überrascht. Einer hat mich gefragt: Du kommst doch aus Afrika. Woher kannst Du so gut Mathematik? Aber ein anderer hat zu ihm gesagt: Es gibt doch auch Mathematik in Afrika! Danach hatte ich auf einmal viele Freunde. Alles wurde einfacher."
Gemeinsame Radtouren
Susanne Dütz' eigener Sohn ist 15 Jahre alt und sehr gut in der Schule. Ein deutscher Teenager, aufgewachsen im Wohlstand.
"Für den ist alles klar, der wird mal ein tolles Studium machen und einen Superberuf haben. Da braucht er sich gar nicht anzustrengen. Und dann kommt da ein Fidele, der darum kämpfen muss, dass er überhaupt im Klassenzimmer sitzen darf. Und dass er so einen 9. Klasse-Abschluss bekommt, obwohl er in seiner Heimat schon in der 12. Klasse war. Das sind so große Unterschiede. Und man lernt darüber zu sehen, was man alles hat an Gutem."
Auch an den Wochenenden besucht Fidele regelmäßig Susanne Dütz und ihre Familie. Sie machen Radtouren, gehen ins Museum oder kochen zusammen. Sogar in den Urlaub ist er schon mitgefahren: eine Woche in Süddeutschland, mit einer Sondergenehmigung vom Ausländeramt. Und natürlich feiern sie Weihnachten zusammen. Dann kocht Fidele kamerunische Gerichte für die ganze Familie. Fragt man Susanne Dütz nach der Belastung, die diese Patenschaft für sie bedeutet, winkt sie ab. Für sie ist es vor allem eine Bereicherung.
Das ist so unglaublich viel Gutes und Wichtiges, was das für mich verändert hat. Das ist wirklich eine ganz wesentliche Erfahrung meines Lebens. So einen fremden Menschen kennenlernen zu dürfen, der von so weit her kommt. Es war am Anfang ganz peinlich, das ich nicht richtig mit ihm sprechen konnte. Und dann saßen wir manchmal eine Stunde nebeneinander und es war ganz schwer, das zu überwinden. Und zu merken, wieviel Gemeinsamkeiten wir haben, das war ganz wunderbar.
Die große Mühe hat sich gelohnt. Nach drei Jahren Patenschaft hat Fidele inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, er hat seinen Schulabschluss geschafft und einen Ausbildungsplatz als Elektrotechniker gefunden. Das Bewerbungsgespräch bei der Firma hat Fidele bereits ohne seine Patin bewältigt.
Ich war jetzt das erste Mal alleine bei einem Termin in einem Büro. Susanne hat gesagt, dass ich es mal alleine versuchen soll und dass mein Deutsch gut genug wäre. Wir haben uns zu Hause vorbereitet und dann war es eigentlich ganz einfach.
Fidele wird Susanne Dütz als Patin künftig immer weniger brauchen, gute Freunde wollen sie trotzdem bleiben
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