Flüchtlinge in Hamburg-Harvestehude

Tauwetter im Nobelviertel

Flüchtlingsunterkunft in Hamburg/ Harvestehude
Inmitten Villen: In feinen Stadtteil Harvestehude in Hamburg gibt es nun ein Flüchtlingsheim © imago/Lars Berg
Von Axel Schröder |
Als im Hamburger Nobel-Stadtteil Harvestehude ein Flüchtlingsheim entstehen sollte, gingen die Anwohner auf die Barrikaden. Heute ist der Konflikt entschärft, Geflohene und alteingesessene Hamburger leben friedlich miteinander. Wie ist das möglich?
Schöner kann ein Flüchtlingsheim kaum liegen: Die Sophienterrassen in Hamburg-Harvestehude sind gesäumt von kleinen Villen, davor parken große Range Rover, Porsches und Mercedes-Limousinen. Die schmale Straße führt bis hinunter zur Hamburger Außenalster. Vor dem Flüchtlingsheim, vor der Sophienterrasse 1a steht Hendrikje Blandow-Schlegel, die Gründerin der Flüchtlingshilfe Harvestehude.
"Ja, es ist eine schöne Gegend! Schöne Wohngegend. Manchmal ein bisschen langweilig. Aber es hat sich auch verändert! Es hat sich wirklich in den letzten zwei Jahren verändert! Und wenn wir uns jetzt auf der Straße begegnen ist durch die Diskussionen und auch durch die Negativ-Schlagzeilen zum Teil ein anderes Bewusstsein entstanden. Und das ist wunderbar, weil die Menschen sich mit einem offenen Gesicht begegnen inzwischen."
Ganz anders war die Stimmung noch auf den ersten Informationsveranstaltungen zu dem Projekt. Damals schlugen die Wellen der Empörung hoch, zumindest bei einigen Anwohnern:
"Dieses mit 220 bis 240 Leuten auf einem Dutt, mit unterschiedlicher Ausprägung, wird dort zu einem Horrorhaus werden. Da werden Feste gefeiert – kulturell -, da kommen Besucher, da sitzt man auf der Straße. Dann taucht dort die Vollverschleierung auf."
Eine ältere Dame brachte ihre Bedenken so auf den Punkt:
Ältere Dame: "… jetzt setzen sie uns hier Asylanten vor die Tür. Und wir haben drei Millionen für die Wohnung bezahlt. Da ist ja nur noch die Hälfte wert."
Millionäre gegen Migranten? Dieses Bild zeichneten viele Berichte von den Villenbewohnern im feinen Harvestehude. Tatsächlich gingen und gehen viele andere Menschen in dem gediegenen Stadtteil aber sehr viel entspannter mit dem Flüchtlingsheim in ihrer Nachbarschaft um:
Junger Mann: "Ich finde das völlig in Ordnung, dass auch in Harvestehude Asylanten und Flüchtlinge untergebracht werden, weil das im Prinzip auch in so einem Stadtstaat wie Hamburg möglichst gleichmäßig auf die Stadtteile verteilt werden sollte!"
Älterer Herr: "Ich glaube, die meisten haben nichts dagegen. Warum soll man Flüchtlingen nicht helfen?"

250 Ehrenamtliche helfen den Flüchtlingen

Die größte Hilfe für die Neuankömmlinge im Nobelviertel ist die Flüchtlingshilfe Harvestehude. Rechtsanwältin Hendrikje Blandow-Schlegel, die Gründerin der Initiative, steht vor dem Gartenzaun der Unterkunft, die Hände in den Manteltaschen vergraben. Auf dem Gelände des einstigen Kreiswehrersatzamts wurde ein kleiner Spielplatz aufgebaut, Bänke und Tische. 250 ehrenamtliche Helfer gehören zum harten Kern der Flüchtlingsinitiative:
"Wir haben über zwölf Arbeitsgemeinschaften. Da sehen sie zum Beispiel die Garten-AG. Die ist jetzt im Winter naturgemäß ein bisschen eingeschränkt. Da unten ist die Teestube. Die bietet jeden Tag drei Stunden lang Begegnung an, Gespräche, Hilfe, Zusammenkommen, Hausaufgaben machen, Papiere angucken und auch Patenschaften vermitteln. Das ist eine ganz, ganz wichtige Schnittstelle."
Dazu gibt es einen Kinder- und einen Jugend-Club, Alphabetisierungs- und Deutschkurse, eine Fahrradwerkstatt oder die Sportgruppe, die zum Joggen an der Alster einlädt. Lange sah es so aus, als würde sich die Eröffnung der Folgeunterkunft noch um Jahre verzögern. Drei Anwohner hatten sich zusammengetan und gegen die Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft geklagt. Besser gesagt: gegen die ursprünglichen Pläne des Senats, 220 Menschen dort unterzubringen. Übernommen hatte den Fall Gero Tuttlewski, Rechtsanwalt in Hamburg-Bergedorf. Er wurde dafür heftig kritisiert. Von Flüchtlingsinitiativen, in der Hamburgischen Bürgerschaft und der Bezirksversammlung.
Mit dem Umbau des seit Jahren leer stehenden Kreiswehrersatzamts zum Flüchtlingsheim wollte der Hamburger Senat ein Zeichen setzen: nicht nur am Stadtrand, in eher ärmeren Vierteln sollten die Geflüchteten untergebracht werden, sondern auch in reichen und sehr reichen Quartiere. Aber die Klage von Rechtsanwalt Gero Tuttlewski hatte in zwei Gerichtsinstanzen Erfolg. Die Umbauarbeiten mussten gestoppt werden, weil der Bebauungsplan des Bezirks aus den Fünfzigerjahren einfach keine Flüchtlingsunterkunft an diesem Standort vorsah.
"Ich würde sagen, dass das Standorte sind, die überwiegend mit Wohnbevölkerung ausgestattet sind. Und dass es eigentlich auch eine Selbstverständlichkeit ist, dass, wenn ich eben so Einrichtungen habe, die in einem Wohngebiet liegen mit 231 Bewohnern, etwa 70 Familien, dass ich da nicht 220 alleinstehende Männer integrieren kann."
Tatsächlich bestand nie die Absicht, in den Sophienterrassen 220 alleinstehende Männer einzuquartieren, sondern den normalen Hamburger Belegungsschlüssel anzuwenden. Danach sollen in Flüchtlingsunterkünften 60 Prozent Familien und 40 Prozent alleinstehende Männer leben. - Trotzdem widersprachen die Pläne für die Sophienterrassen dem geltenden Planrecht: danach war das Quartier ein "besonders geschütztes Wohngebiet", eine Flüchtlingsunterkunft sah der Bebauungsplan aus den Fünfzigerjahren einfach nicht vor. Für den damals amtierenden Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke blieb deshalb nur noch eine Möglichkeit, die Unterkunft doch noch durchzusetzen:
"Nun geht es darum, modernes Planrecht zu schaffen, dass es zulässt, das auch in diesem 'besonders geschützten Wohngebiet', wie es nach der alten Diktion heißt, Flüchtlinge in der großen Zahl untergebracht werden können."
Die Änderung des Bebauungsplans für Harvestehude sollte den Weg frei machen. Aber das hätte Jahre gedauert und ob diese Änderung vor Gericht Bestand gehabt hätte, davon waren auch die Juristen des Bezirks nicht wirklich überzeugt. Am Ende setzten sich beide Seiten zusammen. Gero Tuttlewski und Torsten Sevecke handelten einen Kompromiss aus: Maximal 180 Flüchtlinge dürfen in den Sophienterrassen wohnen. Nicht 60, sondern 80 Prozent davon sollen Familien sein. Und nein: ein fauler Kompromiss, ein Erfolg von Leuten, die Geld genug für einen Anwalt hatten, sei das nicht gewesen, findet Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard:
"Es ist faktisch so, dass wir die Einrichtung da ja gegen erheblichen, auch rechtlichen, Widerstand geplant haben, mehrfach vor Gericht unterlegen sind - so ist das. Und dann muss man mit seinen Gegnern einen Vergleich schließen. Das ist an dieser Stelle passiert. Und am Ende hat es der Stadt genutzt, weil sie für alle sichtbar – und das war auch wichtig für die Stadtentwicklung – zeigen: Wir gucken uns wirklich alle Stadtteile an und schauen, wo was geht und wo was geht, da machen wir auch was. Aber andererseits sind wir natürlich durch Recht und Gesetz gebunden. Und wenn uns der Richter sagt: 'Einigt Euch!', dann einigen wir uns auch."

Die Geflüchteten fühlen sich sicher

Im Frühjahr dieses Jahres zogen die ersten Bewohner ein. Und bekamen sofort Unterstützung. Und zwar perfekt organisiert, erzählt Caroline Smolny, die Leiterin der Unterkunft:
"Auf jeden Fall besonders war natürlich die Anwesenheit der Harvestehuder Flüchtlingshilfe, die ja sehr organisiert und strukturiert seit fast zwei Jahren tätig waren. Wir konnten mit Angeboten gleich vom ersten Tag an starten. Normalerweise ist es erst mal so, dass man erst mal belegen muss, erst mal strukturieren muss, erst mal die Bewohner ankommen lassen muss und dann allmählich startet, langsam Angebote in der Einrichtung aufzubauen. Aber so sind wir sozusagen gleich in die Vollen!"
Caroline Smolny führt durch das Kellergeschoss. Vorbei an der Teestube, wo die Eltern unter sich sein können, vorbei an den herumstromernden Kindern. Und ja, natürlich läuft nicht alles glatt. Im Sommer gab es Beschwerden wegen der Lautstärke, wegen allzu lauter Unterhaltungen in den Sophienterrassen.
"Dann waren auf jeden Fall ein Problem die vielen Kinder, die jetzt unbeaufsichtigt alle Mann, rauf und runter die Straße mit dem Fahrrad oder ähnliches. Weil einfach aus kulturellen Gründen die Eltern gewohnt sind: 'Tür auf, Kinder raus!' Auf dem Spielplatz werden sie selten Eltern sehen, die mit ihren Kindern dort sitzen wie auf unseren Spielplätzen. Die Kinder sind alleine dort! Und toben und spielen und werfen mit Sachen und sind laut. Und vielleicht noch mal abends später, wo man längst nicht mehr auf dem Spielplatz ist. Auch das ist eine Arbeit, die man nach und nach so tätigt in der Einrichtung. Mit den Menschen dann ins Gespräch zu kommen, Aufsichtspflicht zu erklären und verschiedene Maßnahmen ergreift, um deutlich zu machen, dass man hier schon anders seine Kinder unter Kontrolle haben muss."
Und dann ist da noch die ältere Dame, die regelmäßig auf eine mögliche Rattenplage durch unsachgemäß entsorgte Müllbeutel hinweist.
Die geflüchteten Menschen aber fühlen sich in den Sophienterrassen gut aufgehoben. Einer von ihnen ist Rajab Khadur Khadir aus Syrien:
"Ich bin seit einem Jahr in Deutschland. – Und wo kommen sie her in Syrien? – Aus Aleppo. – Aus Aleppo? – Ja. – Und wie gefällt es ihnen hier? – Hier gefällt es mir sehr gut. Die Leute sind hier sehr nett und die Leute, die uns besuchen, sind auch sehr nett. Und sie helfen uns."
Der Streit um das Flüchtlingsheim im Villenviertel ist längst beigelegt. Und in der Teestube hilft mittlerweile auch ein Sophienterrassenbewohner, der sich sonst immer über allzu laute Unterhaltungen im Heim beschwert hat. Und die Ratten an den Müllbeuteln, in den Gärten an der Alster, die hat es hier auch schon immer gegeben.
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