Andreas Knapp: Die letzten Christen. Flucht und Vertreibung aus dem Nahen Osten
Adeo-Verlag 2016
240 Seiten,17,99 EUR.
Muslime mobben Christen
Pater Andreas Knapp arbeitet in Leipzig mit Flüchtlingen aller Religionen. Doch immer wieder stößt er auf Probleme, die gerade christliche Flüchtlinge aus dem Nahen Osten hier haben – aufgrund von Mobbing durch muslimische Mitflüchtlinge.
Andreas Knapp: "Hallo!"
Frau: "Eine Frage..."
Andreas Knapp: "Was sucht ihr denn? Ah! Das ist aber ganz schlecht. Ihr braucht eine Befreiung. Befreiung von der Rundfunkgebühr. Ihr müsst zum Jobcenter..."
Mittwochnachmittag im Leipziger Plattenbauviertel Grünau: Andreas Knapp betrachtet den Brief, den ihm eine aufgeregte Frau hinhält. Der 58-jährige Priester trifft häufig Menschen, die ihn spontan um Hilfe bitten. Knapp hat mit Nachbarn und Mitgliedern der katholischen Studentengemeinde eine Initiative gegründet. Ehrenamtlich kümmern sie sich um Flüchtlinge, unabhängig davon, welche Religion diese haben. Sie helfen Kindern bei den Hausaufgaben und deren Eltern bei Alltagsdingen.
Muslimische Kinder hänselten den Christenjungen
Hauptberuflich ist der katholische Geistliche Seelsorger in einem Gefängnis. Er gehört der Ordensgemeinschaft der Kleinen Brüder vom Evangelium an, die sich auf die Ideen des Franzosen Charles de Foucauld beruft. Zu den Regeln des 1956 gegründeten Ordens gehört, dass die Priester in der Nähe von Bedürftigen leben. Andreas Knapp zog 2005 mit drei Mitbrüdern nach Leipzig-Grünau.
"Und dann wollten wir schon in ein Viertel gehen, das nicht gerade sehr nobel ist, weil wir gern bei Menschen sind, die ein bisschen an den Rand gedrängt werden, die keinen guten Ruf haben. Vor gut zwei Jahren tauchten hier immer mehr geflüchtete Menschen auf. Unser Viertel hier hat relativ viel Leerstand. So kam es, dass dann auch Geflüchtete aus dem Nahen Osten nach Grünau gezogen sind."
Die Mehrheit von ihnen sind Muslime. Einige Geflüchtete gehören jedoch der christlichen Minderheit an, die es in Ländern wie Syrien und dem Irak seit Jahrhunderten gibt. Die meisten Muslime und Christen leben in Leipzig friedlich zusammen, erzählt Andreas Knapp. Doch manchmal kommt es zu Spannungen.
"Ja, es gab Probleme hier an einer Schule in unserem Stadtviertel. Dort waren eben christliche und muslimische Kinder, die relativ neu in Deutschland waren, in Integrationsklassen. Die muslimischen Kinder haben eben gerade einen christlichen Jungen immer gehänselt. Der hatte ein Kreuz umhängen. Wahrscheinlich haben sie eben aus ihrer Heimat Respektlosigkeit, vielleicht sogar Hass gegen Christen mitbekommen. Der Junge hat sich mit seinem Lehrer unterhalten, aber der hat dann nicht eingegriffen, und wir haben dann eine Lösung gefunden, dass der Junge die Schule gewechselt hat."
Der christliche Junge wurde aus der Schule genommen
Auch Andreas Knapp hatte im Auftrag der Familie mit dem Lehrer über das Mobbing gesprochen. Es bedrückt ihn, dass kein anderer Weg gefunden wurde, als das Kind aus der Schule zu nehmen. Er plädiert dafür, allen Neuankömmlingen unsere Vorstellungen von Religionsfreiheit zu vermitteln:
"Denn es kommt ja darauf an, dass Menschen erfahren, dass man mit solchen Konflikten im Dialog umgeht. Und auch da ist es wichtig, dass man miteinander redet und auch sagt: Religion, das ist eine Entscheidung des Einzelnen, das muss man respektieren, und da darf man nicht deswegen jemanden, weil er eine andere Entscheidung getroffen hat, ablehnen oder mobben."
Von den christlichen Flüchtlingen weiß Andreas Knapp von der Intoleranz, die religiösen Minderheiten im Nahen Osten vielerorts entgegengebracht wird. Diesen Eindruck fand er im Herbst 2015 während einer Reise in den Irak bestätigt. 1990 lebten im Irak 1,4 Millionen Christen. 2010 waren es nach Schätzungen der UNO eine halbe Million. Inzwischen sind noch mehr geflohen. Der Islamische Staat und andere Radikale terrorisieren die Christen, und viele muslimische Nachbarn machen mit oder schauen weg. Knapps Erlebnisse im Irak flossen in ein Buch ein. Es heißt "Die letzten Christen":
"Die letzten Christen, die noch Aramäisch sprechen, die Muttersprache Jesu. Seit 2003, seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten, wurden die Christen dort vor Ort in eine Art Sippenhaft genommen. Im Islam ist von Anfang an Religion und Politik sehr ineinander verwoben. Und in der Wahrnehmung vieler Iraker sind eben die Staaten Amerika oder England christliche Staaten. Und jetzt gibt es auch einheimische Christen. Und die werden dann verdächtigt: Ja, das sind ja auch Christen, die sind Kollaborateure der Amerikaner, und an denen rächen wir uns."
Jesus-Bild und Marienfigur im Wohnzimmer
Heute besucht Andreas Knapp in Leipzig-Grünau eine Familie aus Syrien. Das Ehepaar – ein Schlosser und eine Sekretärin – kam mit den beiden Kindern 2013 nach vielen Irrwegen in Deutschland an.
Andreas Knapp: "Hallo! Nanu, du hast ja ne neue Frisur! Schön!"
Frau: "Danke."
Im Wohnzimmer hängen ein Jesus-Bild und ein Kreuz, steht eine Marienfigur. Der Vater ist noch auf der Arbeit – als Packer am Fließband. Bei der Jobsuche hatte Andreas Knapp ihn unterstützt. Die Frau spricht gebrochen Deutsch. Das elfjährige Mädchen und der dreizehnjährige Junge können sich gut verständigen. Er erzählt, was er in einer Flüchtlingsunterkunft in Sachsen erlebt hat:
"Da gab's halt viele Kinder, die alle Muslime waren. Und ich war der einzige Christ. Wenn ich zu denen gehe und sage: Lasst mal Fußball spielen, sagten sie: Nein, du bist Christ! Dann beleidigen sie mich, weil ich Schweinefleisch esse. Und dann gab's auch ein paar Schlägereien zwischen uns, weil ich Christ bin, und die haben mich bedroht und so was. Auch in Leipzig, in meiner alten Schule, da haben mich manche Kinder beleidigt, weil ich Christ bin."
"Ich und meine Kinder haben immer Angst"
Wie auch bei dem anderen Flüchtlingsjungen, von dem Andreas Knapp erzählt hat, wurde keine andere Lösung gefunden, als das Kind in eine andere Schule zu versetzen. Dort geht es ihm gut. Seine Mutter macht sich trotzdem Sorgen.
"Jetzt hat (mein Sohn) auch Angst, weil viele Muslime, und viele Muslime sagen: Christ – Problem! Jetzt auch Problem. Ich und meine Kinder (haben) immer Angst."
Andreas Knapp führt ihre Aufregung auch darauf zurück, dass die Familie durch den Krieg und die Flucht traumatisiert wurde:
"Das sind sehr tiefe Verletzungen, und da ist natürlich die Angst da, dass sich das wiederholen könnte. Bis man lernt, dass verschiedene Religionen sich gegenseitig respektieren können, das wird ein langer Lernprozess sein in unserer Gesellschaft."