Ein fantastisches Netzwerk
Ehrenamtliche und Kirchen helfen Flüchtlingen, die Hürden zu meistern, die sich durch eine Zuwanderung ergeben. Doch häufig werden die Helfer von den Behörden als Störfaktor wahrgenommen. Brigitte Lehnhoff schildert die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit am Beispiel von Winsen an der Luhe.
Johannes Freudewald, Sprecher des Landkreises Harburg, hat neue Zahlen vorzulegen - der Stress ist ihm anzumerken. Mitte Oktober waren 2100 Flüchtlinge registriert, Mitte Dezember bereits knapp 3000 und bis Ende Januar sind weitere 700 aufzunehmen. Für all diese Menschen müssen vernünftige Unterkünfte gefunden werden, sagt der Verwaltungsfachmann im Kreishaus in Winsen.
"Aber alles was darüber hinausgeht, kann nicht die öffentliche Hand alleine leisten. Das fängt an mit Sprachkursen, mit Begegnungsmöglichkeiten, mit Einkaufshilfen, mit Arztbesuchsbegleitungen et cetera..."
...denn solche Dienstleistungen werden weder vom Bund noch vom Land mitfinanziert, solange die Anträge auf Asyl nicht abschließend bearbeitet sind.
"Wir stehen da alleine und haben uns als Kreis entschlossen, hier durchaus in die Initiative zu gehen, das können wir aber nur in der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, mit Kirchengemeinden, mit ehrenamtlichen Netzwerken, die uns dabei unterstützen."
Die Bereitschaft, bei der Integration der Flüchtlinge mitzuwirken ist da in der Stadt. Bei der Winsener Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs zum Beispiel. Der Landkreis hat den ADFC dabei unterstützt, Räume für eine kleine Fahrradwerkstatt zu finden.
"Gibst Du mal die obere Zange, die oben links? Die, genau."
Fahrräder für Flüchtlinge
Kurt Zech ist einer der technisch versierten Pensionäre, die Flüchtlinge anleiten, von Bürgern gespendete Fahrräder zu reparieren. Die Fortbewegungsmittel sind begehrt, denn Busfahrkarten können Flüchtlinge sich nicht leisten, sagt ADFC-Sprecher Arno Neumann. Er arbeitet eng mit der evangelischen Kirche in Winsen zusammen.
"Ist ein fantastisches Netzwerk entstanden; Mitarbeiter der Kirche wissen, wo die Fahrräder benötigt werden, wer Fahrräder braucht und die Verteilung geht dann über die Kirchengemeinde."
Das Gemeindehaus von St. Marien liegt im Stadtzentrum von Winsen. Jeden Samstag herrscht an der Kirche Hochbetrieb. Viele Flüchtlinge kommen mit dem Fahrrad zum Internationalen Café. Auch der 17-jährige Omar aus dem Sudan.
"Die Kirchengemeinde ist für mich wie die zweite Familie. Wenn ich etwas habe, ein Problem oder mit der Ausländerbehörde oder beim Arzt oder der Arbeit, sagt sie mir, was ich machen soll; sie macht ganz viel für uns."
Omar, der seit knapp zwei Jahren in Deutschland lebt, ist aber vor allem gekommen, um für eine Mathearbeit zu pauken. In allen Räumen sitzen kleine Gruppen, gebeugt über Bücher und Hefte. Die Rentnerin Inge Fähmel schaut sich mit zwei Syrern ein Bildwörterbuch an. Die beiden sind erst seit fünf Tagen in Deutschland.
"D, das große D, wie Dattel. – Dattel. – Die Dattel."
Kalmbach: "Wir haben für uns als Kirche im September 2013 entschieden, dass wir ein Café anbieten möchten als einen Raum der Begegnung, wo Winsener Bürger und Menschen aus aller Welt sich treffen können, in einem sicheren Raum, wo mittlerweile jeden Samstag 100, 150 Leute zusammenkommen und wir versuchen, den Flüchtlingen auf einfache Weise Deutsch beizubringen."
Doch weil die Ehrenamtlichen durch persönliche Begegnungen so dicht dran sind an den Flüchtlingen, haben sie schon früh deren Situation kritisiert, sagt Superintendent Christian Berndt.
"Dann haben wir ein Treffen gehabt mit den Landkreis und haben das transportiert, zum Beispiel, dass die Flüchtlinge nichts zu tun haben, dass sie da einfach versauern in den Flüchtlingsunterkünften."
Freudewald: "Und dann haben wir gemeinsam mit dem Herbergsverein ein Konzept entwickelt zur Ein-Euro-Jobs 20 Stunden die Woche Gartenarbeiten oder andere Hilfstätigkeiten übernehmen und wir haben mittlerweile landkreisweit mehr als 450 Beschäftigungsstellen vermitteln können und das wäre eben ohne diesen Dialog zwischen Ehrenamt, Kirche und Verwaltung gar nicht möglich gewesen."
Bremser und Störenfriede?
Doch Ehrenamtliche werden nicht nur als Motor empfunden, sondern auch als Bremser und Störenfriede. Das ist aus vielen Verwaltungen zu hören, auch in Winsen. Da ist schon mal die Rede von überengagierten Gutmenschen, die keine Ahnung haben von den Zwängen in einer Verwaltung.
Freudewald: "So dass also unsere Sachbearbeiter zum Teil eben auch sagen, wir haben jetzt nicht nur einen Fall zu bearbeiten, sondern gleichzeitig auch noch den Ehrenamtlichen zu betreuen, das erschwert uns die Arbeit."
Um zwischen Ehrenamtlichen und Verwaltung zu vermitteln, bietet die Gemeinde St. Marien Informationsveranstaltungen an, zum Beispiel über das Asylrecht. Und sie lädt die mittlerweile rund 100 Helfer alle sechs Wochen zum Austausch ein. Doch die eigentliche Herausforderung steht erst bevor. Wenn die Mühlen des Rechtsstaates erst so richtig anfangen zu mahlen und mehr Ehrenamtliche das erleben, was Doris Stennert gerade beschäftigt. Sie erzählt davon im Internationalen Café.
"Vorgestern Nacht ist einer meiner Schützlinge abgeschoben worden, nachts um vier wurde er abgeholt, ein junger Mann, jetzt 18 Jahre, er hat Folter und Mord in Marokko erlebt und ist jetzt abgeschoben worden. Und das nimmt mich mit."
Kalmbach: "Das muss verarbeitet werden, das muss bearbeitet werden, das können wir nicht einfach so im Raum stehen lassen, weil dann haben wir eine Situation, wo unsere Ehrenamtlichen verheizt werden und das geht nicht."
Die Kirchengemeinde will noch in diesem Monat Supervision anbieten, professionelle Einzelberatung für Ehrenamtliche. Die Flüchtlingsarbeit stellt die Gemeinde ständig vor neue Herausforderungen. Bei deren Lösung lässt sich der evangelische Pastor Markus Kalmbach von einem biblischen Propheten leiten.
"Ich versuche das immer mit dem schönen Wort aus dem Jeremia zu verbinden: Suchet der Stadt Bestes."
Und das lässt sich in Winsen an der Luhe wie anderswo eben nur finden, wenn Verwaltung, Kirche und Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe ihre Arbeit koordinieren, gemeinsam um Lösungen ringen und Handlungsspielräume nutzen. Auch wenn sie zum Beispiel beim Thema Abschiebungen nicht unbedingt einer Meinung sind.