Geflüchtete Heimkinder aus der Ukraine

Zwischen Deutsch lernen und Schockstarre

05:27 Minuten
Nach Freiburg geflüchtete Heimkinder aus Kiew mit ihrem Betreuer.
70 Stunden im Bus durch Kriegsgebiet: nach Freiburg geflüchtete Heimkinder aus Kiew mit ihrem Betreuer. © Charlotte Schönberger
Von Charlotte Schönberger |
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Sie flüchteten aus Kiew, als die ersten Bomben einschlugen: Seit einem Monat leben 157 Heimkinder aus der Ukraine nun in einer Unterkunft in Freiburg. Auch wenn sie in Sicherheit sind: Das Ankommen ist nicht leicht.
"Guten Abend" und "Bitteschön": Ein paar Wörter Deutsch können die geflüchteten Kinder aus der Ukraine schon. Und es sollen noch mehr werden. Heimleiter Roman Kornijko läuft auf dem Gehweg Richtung Spielplatz, an jeder Hand ein Kind. Als der Spielplatz in Sichtweite ist, rennen die Kinder los – zur Rutsche, zum Karussell, jedes auf sein Lieblingsspielgerät.

Müde und verängstigt

Nach vier Wochen in Deutschland sind sie langsam angekommen. Vor einem Monat, als die Kinder aus Bussen stiegen, war der Ausdruck in ihren Gesichtern noch ein anderer. Müde und verängstigt waren sie, eingepackt in dicke Jacken und Mützen, viele mit einem Kuscheltier im Arm. Hinter sich eine 70-stündige Fahrt durchs Kriegsgebiet, auf der sie nichts essen und trinken sollten. Jeder Toilettenstopp war lebensgefährlich.
Die Jüngeren hätten nun - einen Monat später - die Eindrücke des Krieges verdrängt, sagt Roman Kornijko. Sie fühlten sich hier sicher. Das liege auch an den älteren Kindern und Jugendlichen, ist Betreuerin Natalija Chesnova überzeugt. Diese kümmerten sich um die Jüngeren und übernähmen Verantwortung, sagt die Betreuerin:  "Unsere Jugendlichen wurden hier zu Erwachsenen." Ein Schritt, der für alle jungen Menschen schwer sei, doch für solche fernab der Heimat noch einmal besonders.
So auch für die 18-jährige Lena, die wie die anderen ihre Heimatstadt Kiew verlassen musste. Sie vermisse ihr Land, sagt sie. Freiburg sei zwar eine schöne Stadt: "Aber es ist nicht unser Zuhause. Ich will zurück in die Ukraine, in das Land, wie es vor dem Krieg war."
Derzeit wohnt die 18-Jährige gemeinsam mit den anderen in einer Flüchtlingsunterkunft. In einem der Container ist am Mittag ein Klassenraum frei. Hier hat sie etwas Ruhe, um ein paar deutsche Vokabeln lernen.

Bilder vom Krieg auf dem Handy

Ihre Tage sind streng getaktet. Sie steht früh auf, isst gemeinsam mit den anderen, lernt Deutsch. Die Jüngeren werden in der Unterkunft von ukrainischem Lehrpersonal unterrichtet.
Die klare Struktur soll den Kindern und Jugendlichen Halt geben, ihnen nach den Wirren des Krieges ein Stück Normalität ermöglichen. Es sei für sie und die anderen Kinder und Jugendlichen einfacher als noch zu Beginn, sagt Lena. Sie könnten sich mittlerweile orientieren, wüssten, was als nächstes ansteht: "Das gibt uns Sicherheit und hilft uns."
Ein durch russische Raketenangriffe zerstörtes Einkaufszentrum in Kiew am 30. März 2022.
Traumatische Nachrichten aus der Heimat: durch russische Raketenangriffe zerstörtes Einkaufszentrum in Kiew.© picture alliance / NurPhoto
Trotzdem kann und will sie das Geschehen in der Ukraine nicht vergessen. Immer wieder greift sie zum Handy in ihrer Tasche und schaut, welche Nachrichten aus ihrer Heimat kommen. Es sind selten gute.

Der Krieg ist auch in Freiburg präsent

Der Krieg sei trotz der Idylle auch in Freiburg präsent, erzählt Betreuerin Natalija Chesnova. Etwa durch ein herannahendes Kleinflugzeug, für Chesnova ein Geräusch des Krieges. Ihr Blick geht dann zum Himmel. Sie müsse sich vergewissern, dass es kein Flugzeug ist, das Bomben abwirft, sagt sie. Obwohl sie natürlich wisse, dass sie in Sicherheit sei.
Neulich habe es einen Feueralarm in der Unterkunft gegeben, der auch als Probealarm angekündigt war, sagt Natalija Chesnova: "Trotzdem sind die Kinder in eine Art Schockstarre gefallen und haben sich nicht mehr bewegt."
Auch für den Heimleiter Roman Kornijko ist der Krieg in seiner Heimat immer präsent. Eigentlich wollte der Arzt schon wieder in der Ukraine sein. Um anderen Kindern dort zu helfen. Und um zu kämpfen.

"Mein Körper ist hier, meine Seele in der Ukraine"

Die Menschen in Freiburg hätten aber bekräftigt, dass er hierbleiben müsse, weil das wichtig für die Kinder sei. Alles andere sei egoistisch, sagt Kornijko: "Jetzt ist mein Körper hier, um bei den Kindern zu sein, aber meine Seele, die ist in der Ukraine."
Und seine Schützlinge brauchen ihn. Immer wieder kommen sie zu ihm. Umarmen ihn, nehmen seine Hand. Dann lächelt Kornijko. Seine Gesichtszüge sind wieder weicher geworden. Auf dem Kopf hat er eine SC-Freiburg-Mütze, die ihm jemand geschenkt hat.
Auch er ist mittlerweile etwas zur Ruhe kommen. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern aus Freiburg ist es ihm gelungen, den Kindern einen Schutzraum zu bieten. Und ihnen ein Stück ihrer Kindheit zurückzugeben.
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