Flüchtlinge

"Migration ist keine Einbahnstraße"

Ein afghanischer Soldat steht vor einer schiitischen Moschee in Kabul, nachdem sich ein Selbstmord-Attentäter in die Luft gesprengt hat.
Die Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, weil die Sicherheitslage in der Krisenregion die Rückkehr von Flüchtlingen erschwert. © EPA dpa-picture-alliance Jawad Jalali
Stefan Rother im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Migration ist keine Einbahnstraße, sagt der Freiburger Politologe Stefan Rother. Viele Menschen wollten ins Herkunftsland oder zögen in einen anderen Staat weiter. Das werde in der deutschen Debatte nicht ausreichend berücksichtigt.
Der Freiburger Politologe Stefan Rother kritisiert, dass es zu wenig legale Möglichkeiten gibt, nach Deutschland einzuwandern. Er plädierte im Deutschlandradio Kultur für ein Einwanderungsgesetz, das gerade jetzt nötig sei. Die Zahl der Arbeitsmigranten weltweit übersteige bei weitem die Zahl der Flüchtlinge. "Das ist eine Thematik, die völlig vernachlässigt wird in der derzeitigen Diskussion, weil man denkt, das Thema ist politisch einfach zu heikel", sagte der Sprecher des Arbeitskreises Migrationspolitik in der deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. "Wir müssen abkommen von der Perspektive, die in Deutschland so dominant ist, dass Migration eine Einbahnstraße ist", sagte Rother.

Freiwillige Rückkehr statt Abschiebung

Rother sagte, zwanghafte Abschiebungen, wie jetzt nach Afghanistan, sollten durch eine gute Politik eigentlich vermieden werden. Es sei besser die freiwillige Rückkehr in das Herkunftsland zu fördern und in den Herkunftsländern Unterstützungsstrukturen aufzubauen. Bisher gebe es zu wenige solche Programme. Eine neue Studie zu Afghanistan zeige auf, dass die Abschiebung das Land weiter destabilisieren könne und dazu beitrage, dass von dort weitere Migranten kämen.

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Es können nicht alle bleiben, die herkommen. Das ist eigentlich allen klar, und doch ist fast jede persönliche Geschichte eines Menschen, der abgeschoben wird, ein neuer Beweis, wie inhuman Flüchtlingspolitik ist, wenn sie Menschen wieder herausreißt aus dem gerade neu begonnenen Leben, zurückwirft in eine Welt, die sie bewusst verlassen haben. So wirkt es zumindest bei vielen Einzelschicksalen, von denen wir in den vergangenen Tagen berichtet haben angesichts der Sammelabschiebungen nach Afghanistan.
Aber vielleicht gibt es ja gute Wege, die zurückführen, wo Menschen ohne Zwang in ihre alte Heimat heimkehren wollen. Nur, wie sehen die aus? Wir sprechen darüber mit Stefan Rother, Politikwissenschaftler an der Universität Freiburg und Sprecher des Arbeitskreises Migrationspolitik in der deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. Guten Morgen!
Stefan Rother: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Frenzel: Herr Rother, gibt es so etwas wie eine humane Abschiebungspolitik?
Rother: Das ist eine gute Frage, weil natürlich Abschiebung per se mit Zwang verbunden ist. Deshalb muss man sagen, Abschiebung ist natürlich immer die Ultima Ratio. Und eine gute Politik wäre die, die Abschiebung oder zwanghafte Abschiebung vermeidet, indem sie zum Beispiel freiwillige Rückkehr fordert und Programme anbietet, die es den Betroffenen leichter machen, in ihre Heimatländer oder Herkunftsländer zurückzukehren und sich dort ein Leben aufzubauen, was ihnen in Deutschland nicht möglich oder nicht gelungen ist.
Frenzel: Diese Programme und diese Anreize gibt es ja. Einige Bundesländer haben auch Prämien gezahlt. Funktioniert das denn, oder besser gesagt, wie kann das denn funktionieren, denn offenbar funktioniert es ja nicht ausreichend, sonst gäbe es ja diese Abschiebungen nicht.
Rother: Gut, das Volumen ist noch relativ klein dieser Programme. Und ich denke, was wichtig wäre, dass man nicht solchen Leuten Geld in die Hand drückt, sie abschiebt oder sie in ihre Herkunftsländer schickt und sagt, macht mal, sondern wenn man vor Ort Unterstützungsstrukturen aufbauen könnte, die den Menschen helfen würden bei der Wiedereingliederung. Weil gerade im Fall Afghanistan ist eine Studie jetzt erschienen, die sagt: Wenn man Menschen dort in die Länder zurück abschiebt, kann das das Land eher weiter destabilisieren und dazu beitragen, dass dann weitere Migrationsbewegungen aus diesem Land kommen.

Wiederkehren möglich machen

Frenzel: Gleichzeitig könnte man aber auch sagen, gerade die Leute, die jetzt zurückkehren, die zum Teil auch einige Jahre hier waren, zum Teil ausgebildet wurden in bestimmten Berufen, gerade die wären doch für ein Land wie Afghanistan, das in einer schwierigen Situation ist, ganz hilfreich für die Stabilisierung.
Rother: Das wäre theoretisch eine gute Möglichkeit, nur das sind oft nicht die Leute, die derzeit abgeschoben werden. Das heißt, wenn Leute hier schon besser integriert sind, sind ihre Chancen der Abschiebung geringer, und es ist natürlich die Frage, will man diese Leute auch jetzt mit Zwang in die Länder zurückführen, aus denen sie herkommen. Wenn man ihnen die Möglichkeit bieten würde zum Beispiel, dass die Tür nicht vollkommen verschlossen ist, dass sie wiederkommen können, dann gäbe es vielleicht bessere Anreize, zu sagen, ich engagiere mich in meinem Herkunftsland, habe aber auch die Möglichkeit, wieder nach Deutschland zu kommen.
Frenzel: Das heißt, ein Teil des Problems liegt auch darin, dass Menschen fast ja schon gezwungen sind, weil die Rückkehrmöglichkeit so schwierig ist?
Rother: Genau. Das mag erst absurd klingen auf den ersten Blick, aber die Tatsache ist, viele bleiben hier, weil sie wissen, wenn sie gehen, können sie nicht wieder zurückkommen. Das heißt, wenn man dort flexibler wäre, würde es vielleicht auch den Druck oder den Zwang, hier zu bleiben, verringern, weil man natürlich weiß, wenn man ausreist, wenn man zum Beispiel undokumentiert im Land ist, kann man festgestellt werden, und dann hat man keine Möglichkeit, wieder einzureisen
Frenzel: Das heißt, Sie würden sagen aus Ihrer Arbeit, aus Ihrer Forschung heraus, Migration ist eigentlich eine Sache, die fließend ist. Also konkret gesagt, Menschen wollen gar nicht unbedingt auf Dauer und für immer in ein Land, zum Beispiel nach Deutschland, kommen?
Rother: Genau. Ich denke, mal sehr breit gesagt, die Mehrzahl der Migranten oder nur ein kleiner Anteil von ihnen verlässt das Herkunftsland mit dem Ziel und sagt, ich will nie wieder zurückkommen, sondern insbesondere bei Flüchtlingen ist das ja ein erzwungener Prozess, wo man sehr fest vorhat, wieder zurückzukehren. Nur kommt dann oft meist das Leben dazwischen oder, wenn man mal über die Flüchtlinge hinaus geht und sich die Gastarbeiter ansieht in Deutschland, da ging ja die Politik und wohl auch die meisten Menschen selbst davon aus, dass diese Menschen wieder zurückkehren, haben sich dann aber natürlich ihr Leben in Deutschland aufgebaut und dann doch Bindungen hergestellt, sodass eine Rückkehr dann nicht mehr die erste Option war.
Aber hier muss man natürlich Flüchtlinge und Arbeitsmigranten trennen. Und Afghanistan, denke ich, die aktuelle Debatte ist natürlich ein Sonderfall. Hier würde ich sagen, ist erzwungene Abschiebung nicht nur die Ultima Ratio, sondern eigentlich gar keine Option, weil das Land selbst einfach derzeit zu unsicher ist, um guten Gewissens Menschen dorthin abschieben zu können. Und das ist natürlich auch der Grund, warum mehrere Bundesländer nicht mitmachen.

Zu wenig legale Wege der Einwanderung

Frenzel: Sie haben gerade gesagt, man muss Flüchtlinge und Arbeitsmigration trennen. Tun wir das denn genug bei dem Weg in das Land hinein, also nach Deutschland? Haben wir denn Wege, die den Menschen auch diese Trennung von vornherein möglich machen?
Rother: Das ist eine Debatte, die ja auch nicht neu ist, die wir seit mehr als 20 Jahren haben, dass man sagt, Menschen werden dazu gezwungen oder da reingedrängt, dass sie eben das Asylsystem nutzen, um nach Deutschland zu kommen, weil es einfach zu wenige legale Möglichkeiten gibt oder reguläre Möglichkeiten oder Programme, beispielsweise als Arbeitsmigrant zu kommen. Und nun wurde da seit einiger Zeit wieder geredet, wir brauchen ein Einwanderungsgesetz.
Die SPD hat einen Entwurf vorgelegt vor einem Jahr, und die Antwort war, das kann man den Menschen derzeit nicht zumuten. Ich würde sagen, gerade jetzt sollte man es den Menschen zumuten, weil die Zahl der Arbeitsmigranten weltweit natürlich weitaus die übersteigt der Flüchtlinge weltweit. Das ist eine Thematik, die vollkommen vernachlässigt wird in der derzeitigen Diskussion, weil man denkt, das Thema ist politisch einfach zu heikel.
Frenzel: Wir haben ja einen Bereich, wo wir im Prinzip ja so gut wie keine Zugangsregulierung haben, nämlich innerhalb der europäischen Migration, also innerhalb der Europäischen Union. Wie sind denn da eigentlich die Erfahrungswerte? Viele sagen ja, wenn wir gar nicht regeln, wenn wir gar nicht kontrollieren, dann kommen alle und bleiben immer. Ist das so?
Rother: Also Sie meinen jetzt die Grenzpolitik der Europäischen Union?

Erfolg bei der Freizügigkeit

Frenzel: Ja, und auch die Frage der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, die Frage, Rumänen, Bulgaren, zu früherer Zeit sicherlich auch Polen.
Rother: Ja, aber das ist ein sehr gutes Beispiel, das Sie nennen, weil wenn wir das Gespräch vor drei bis vier Jahren gehabt hätten, dann wäre das Thema weniger die Flüchtlingsbewegung gewesen, sondern die Rumänen oder Bulgaren, wo man gesagt hat, die kommen alle nach Deutschland, nehmen deutschen Handwerkern die Arbeit weg. Ist eigentlich kein großes Thema mehr im Moment, weil sich das dann doch austariert hat mittlerweile. Also da hat die Freizügigkeit sicherlich einen Erfolg erzielt. Und auch viele Flüchtlinge, da gibt es Berichte, dass sie sagen, sie kehren wieder zurück, weil Deutschland nicht dem entsprochen hat, was sie erwartet haben.
Oder wenn wir auf Arbeitsmigranten innerhalb der Europäischen Union gehen, viele Spanier zum Beispiel, gibt es jetzt Berichte, die einige Jahre bis ein Jahrzehnt im Ausland waren, vor allem in Deutschland, kehren jetzt doch wieder in ihre Herkunftsländer zurück. Ich würde sagen, wie müssen abkommen von der Perspektive, die in Deutschland so dominant ist, dass Migration eine Einbahnstraße ist. Man geht von A nach B und will dort sein Leben lang bleiben. Oft gibt es eine Rückkehr ins Herkunftsland, oder Menschen migrieren noch weiter in andere Länder, aus anderen Perspektiven, weil sie dort familiäre Bindungen haben etc.
Frenzel: Sagt Stefan Rother, Politikwissenschaftler an der Universität Freiburg und Sprecher des Arbeitskreises Migrationspolitik in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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