Flüchtlinge

Smartphones setzen Asylpolitik unter Druck

Zwei Flüchtlinge in einer Notunterkunft in Stuttgart mit ihren Smartphones
Zwei Flüchtlinge in einer Notunterkunft in Stuttgart mit ihren Smartphones © dpa / picture alliance / Marijan Murat
Von Andreas Rinke |
Wie regiert man in einer Welt, in der sich alle über alles per Smartphone informieren? Die aktuelle so genannte Flüchtlingskrise bringe eine völlig neue Politikerfahrung mit sich, stellt der Historiker Andreas Rinke fest.
Als die Bundeskanzlerin 2013 sagte, das Internet sei Neuland für alle, dachten sicher die wenigsten an das Thema "Flüchtlinge". Selbst ihre Kritiker dürften nicht geahnt habe, dass Smartphones eine große Rolle bei einer Völkerwanderung Richtung Europa und Deutschland spielen könnten. Wieder einmal erleben wir, wie Digitalisierung die Welt zusammenschnurren lässt.
Flüchtlinge von Pakistan bis Mali lassen sich über soziale Netzwerke informieren, wie sie wann und zu welchem Preis wohin kommen können. Ändern sich Routen, etwa weil Ungarn einen Grenzzaun schließt, geht die Information gleichzeitig über viele Wege in Sekundenschnelle um die Welt. Und dieses Tempo treibt sogleich politische Debatten und Entscheidungen vor sich her. Vor allem aber sorgt es für einen Mentalitätssprung.
Ausländische Ereignisse werden zur Innenpolitik
Gerade erst hatten sich Politiker und Bürger daran gewöhnt, dass die europäische Integration eine Verschmelzung von Innen- und Europapolitik bedeutet. Nun aber wächst mit der wachsenden Zahl syrischer, afghanischer oder pakistanischer Asylbewerber das Bewusstsein, dass sich auch Ereignisse im fernen Ausland direkt auf das Inland auswirken.
Vor Jahren war der damalige Verteidigungsminister Peter Struck noch belächelt worden für seine Aussage, dass Deutschland auch am afghanischen Hindukusch verteidigt werde. Nun machen die Bundesbürger die Erfahrung, dass die Hindukusch-Bewohner zu uns kommen, wenn Bundeswehr und andere westliche Armeen sie nicht mehr gegen die radikal-islamische Taliban verteidigen.
Ein Teil der Welt setzt sich notgedrungen in Bewegung. Menschen werden auch auf weite Entfernung hin mobiler. Mehr und mehr wird Globalisierung zur Zweibahnstraße, weil Kommunikation und Verkehr es möglich machen. Technische Entwicklung führt die "eine Welt" zusammen, von der Entwicklungshilfeorganisationen seit langem reden.
Jahrelang sonnten sich die Deutschen im Reichtum, sie exportierten überall hin und leisteten sich Urlaubsreisen auf alle Kontinente. Jetzt stellen sie überrascht fest, dass Deutschland auch hundertfach Kämpfer für den Islamischen Staat nach Syrien exportiert hat, also mit eigenen Staatsbürgern direkt in einen Krieg verwickelt ist.
Zum anderen wird eine abstrakte Debatte zwischen Reichtum hier und Armut dort plötzlich sehr real, wenn Flüchtlinge und Migranten in großer Zahl in deutschen Gemeinden ankommen.
Nun wird deutlich, wie sehr Gesetze und Mentalität völlig auf die interne Reichtums-Verteilung und den Erhalt des Status-Quo ausgelegt waren. Jetzt wird klar, dass nationales Recht auch im fernen Ausland auf Attraktivität oder Abschreckung hin abgeklopft wird. Es sendet eine Botschaft weit über unsere Grenzen hinaus. Jedwede Innenpolitik kann eine außenpolitische Komponente bekommen, jedwede Außenpolitik innenpolitische Folgen haben.
Deutsche Entscheidungen wirken über Grenzen hinweg
Deshalb muss völlig umgedacht werden. Berlin reagiert auf eine humanitäre Katastrophe im Mittelmeer oder auf eine angespannte Lage im ungarischen Grenzgebiet. Und zugleich wirken sich deutsche Entscheidungen im Nahen Osten, in Nordafrika oder auf Fluchtrouten durch Osteuropa aus. Am schnellsten haben dies Schleuser begriffen, die ihr Geschäftsmodell auf gezielte Fehlinformation über ein angeblich paradiesisches Leben in Deutschland aufbauen.
Wie zuvor Unternehmen im Außenhandel müssen nun gerade Innenpolitiker lernen, mit diesem sich entwickelnden Welt-Wissen umzugehen. Es verbreitet sich nicht nur rasant schnell, sondern in Einzelthemen oft auch inhaltlich verzerrt.
Das Auswärtige Amt macht mit seinen Aufklärungskampagnen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge erste vorsichtige Gehversuche in dieser neuen, gemeinsamen Welt.
Andreas Rinke, Jahrgang 1961, ist ausgebildeter Historiker und hat über das Schicksal der französischen "Displaced Persons" im Zweiten Weltkrieg promoviert. Er hat als politischer Beobachter bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" und dem "Handelsblatt" gearbeitet. Heute ist er politischer Chefkorrespondent der internationalen Nachrichtenagentur "Reuters" in Berlin.
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