Ein Helfer dort sagte uns ganz direkt: Wir können hier für Schwarze nichts tun. Er meinte, wir könnten uns etwas zu Essen nehmen, aber ansonsten gäbe es keine Hilfe für uns.
Ungleiche Behandlung von Flüchtlingen
"Wo können wir uns ausruhen?": Das Tubman Network in Berlin setzt sich gezielt für schwarze Geflüchtete aus der Ukraine ein. © Deutschlandradio / Luise Sammann
Warum viele sich als Menschen zweiter Klasse fühlen
07:14 Minuten
Gibt es in Deutschland ein „Zwei-Klassen-System“ für Geflüchtete? Weil ukrainische Staatsangehörige mehr Rechte haben als etwa ausländische Studierende, die vor dem Angriff Russlands fliehen, hört man diese Kritik – aber sie reicht noch viel weiter.
Hari aus Indien hält mit beiden Händen eine Mappe mit Dokumenten umklammert. Ein paar Semesterbescheinigungen sind alles, was dem 28-Jährigen nach fast drei Jahren von seinem Leben in der Ukraine geblieben ist.
„Ich habe in Kiew einen Master in Management gemacht. Plötzlich fielen die Bomben gleich neben meinem Wohnheim und alles wurde zerstört“, erzählt er. „Wir sind einfach weggerannt, bis zur ungarischen Grenze. Dort wollten die Grenzbeamten Geld um uns rüberzulassen. Sie haben uns sehr schlecht behandelt.“
Hari schaffte es nach Ungarn, lebte drei Wochen ohne Bombenalarm, aber auch ohne Hilfe. Sein letztes Geld gab er für ein Zugticket nach Berlin aus.
Über das Tubman Network, ein Bündnis von Ehrenamtlichen, das sich gezielt für schwarze Geflüchtete aus der Ukraine einsetzt, fand er einen Schlafplatz. Doch wie viele andere nicht-weiße Geflüchtete, die in den letzten Wochen beim Tubman Network gestrandet sind, fühlt er sich auch in Deutschland wie ein Mensch zweiter Klasse.
Unklarer Status der Drittstaatsangehörigen
„Gleich nach unserer Ankunft am Berliner Hauptbahnhof sind wir zu einem Zelt gegangen, um zu fragen, wo wir uns ausruhen könnten“, erzählt Holabadi aus Nigeria.
Tatsächlich ist der Status von sogenannten Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine momentan vor allem eins: unklar. Bis zum 31. August dürfen sie aktuell noch legal in Deutschland bleiben. Doch staatliche Unterstützung, eine längerfristige Aufenthalts- oder gar Arbeitserlaubnis, wie ukrainische Staatsangehörige, bekommen sie nur, wenn sie nachweislich nicht sicher und dauerhaft in ihre Herkunftsländer zurückkehren können.
Grund für die unterschiedliche Behandlung ist die im März erstmalig aktivierte EU-Massenzustromrichtlinie. Sie erspart ukrainischen Geflüchteten langwierige Asylverfahren, verschafft ihnen sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Gesundheitsleistungen und Integrationskursen.
Alles Dinge, auf die andere Kriegsflüchtlinge teilweise seit Jahren vergeblich hoffen, so Nora Brezger vom Berliner Flüchtlingsrat.
„Wir spüren eine Frustration“
„Eine große Frustration ist in den afghanischen Communitys, weil da ja auch sehr viele immer noch mit Duldung leben und keinen Aufenthaltsstatus haben und auch definitiv nicht so empfangen worden sind in den letzten Jahren und jetzt im Sommer“, erklärt sie.
„Da muss ich sagen, da spüren wir so eine Frustration oder auch Hilflosigkeit. Denn Afghanistan ist ja jetzt nicht plötzlich weg, sondern die Situation wird jeden Tag schlimmer, und es konzentriert sich überhaupt nichts mehr auf diese Situation.“
Auch Tareq Alaows, Rechtsberater aus Berlin, kennt dieses Gefühl. 2015 kam er als einer von knapp 900.000 syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen nach Deutschland. Bis heute ist er dankbar für die Hilfsbereitschaft, die er damals erfahren hat. „2015 waren viele Menschen an den Bahnhöfen, 2015 waren viele Menschen auf den Straßen und haben demonstriert für die Öffnung der Grenze“, sagt er.
Und doch sei die Hilfsbereitschaft gegenüber Ukrainerinnen und Ukrainern heute viel umfassender, selbstverständlicher, auch im Vergleich zu der gegenüber anderen Flüchtlingsgruppen, so Tareq Alaows. Allein das Spendenaufkommen sei unvergleichbar, bestätigen Organisationen wie etwa das Rote Kreuz.
Natürlich ist das schön, dass wir so eine Solidarität gerade haben. Das ist genau das Richtige, was wir tun können. Das ist die Möglichkeit, um uns selbst zu reflektieren und uns zu fragen, wo kommt das her? Warum sind wir viel emotionaler mit Menschen aus der Ukraine als mit Menschen, die nicht aus der Ukraine kommen? Oder als mit Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine?
Begründete Rechtslage oder rassistisches Verhalten?
„Weil das echte Kriegsflüchtlinge sind“ antwortet ein Twitter-Nutzer unter dem Pseudonym ‚Gedanken eines Bürgers‘ auf genau diese Fragen.
„Es ist unser Kulturkreis, es sind Christen“, sagte der Publizist Gabor Steingart in der ARD-Sendung „Hart aber Fair“ vom 28. Februar. Seine Schlussfolgerung: „Ich könnte mir vorstellen, dass es diesmal funktioniert!“
Vor allem wegen Aussagen wie dieser werfen Tareq Alaows und andere Deutschland und der EU in diesen Tagen rassistisches Verhalten vor. Professor Daniel Thym, Kodirektor des Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht an der Universität Konstanz, widerspricht.
Die erstmalig aktivierte EU-Massenzustromrichtlinie, die maßgeblich für die unterschiedliche Behandlung von Geflüchteten verantwortlich ist, fuße schlicht auf unterschiedlichen juristischen Voraussetzungen. Auch dafür, dass sich die EU-Innenminister nicht schon im sogenannten Flüchtlingssommer 2015 auf die Aktivierung der Richtlinie einigen konnten, gebe es Gründe, so Daniel Thym.
Damals war die EU ein nachgelagerter Schutzraum, die Menschen hatten oft jahrelang in der Türkei oder im Libanon gelebt und dort auch in Sicherheit schon gelebt. Heute ist es anders. Die EU ist das Erstfluchtland, das heißt: Ukrainerinnen und Ukrainer haben praktisch nur die Gelegenheit in die EU zu gehen, und das ist ein wichtiger Unterschied.
Dass zusätzlich zu diesen sachlichen Gründen auch Rassismus eine Rolle beim unterschiedlichen Umgang mit Geflüchteten spielen kann, verneint Daniel Thym nicht. Die Art etwa, wie schwarze Menschen, die ebenfalls vor der russischen Aggression flüchten mussten, an der ukrainisch-polnischen Grenze abgewiesen wurden, sei weder moralisch noch juristisch zu rechtfertigen.
Hoffnung auf Solidarität mit allen Schutzsuchenden
Der Syrer Tareq Alaows kennt unzählige solcher Fälle. Dennoch blickt er mit Hoffnung in die Zukunft.
„Die Situation in der Ukraine beziehungsweise unsere Solidarität mit den Menschen hat eine Tür in der Festung Europa geöffnet und unsere Aufgabe als Zivilgesellschaft ist, weiter daran zu arbeiten, dass dieser Umgang systematisiert, etabliert und verankert wird in unseren Gesetzen“, fordert er.
„Damit alle Schutzsuchenden gleichbehandelt werden und unsere Solidarität nicht nur eine Phase bleibt, sondern auch alle Menschen mitnimmt. Und damit meine ich nicht nur Menschen, die aus dem Krieg in der Ukraine fliehen.“