Flüchtlinge

Warum die EU ein einheitliches Asylsystem braucht

Eine Irakerin mit ihrem Baby wartet am Ostbahnhof in Budapest auf ihre Weiterfahrt nach Westen.
Griechenland, Italien und Ungarn sind überlastet, bei ihnen kommt ein Großteil der Flüchtlinge in Europa an. © Boris Roessler, dpa picture-alliance
Von Annette Riedel |
Probleme lassen sich nicht mit Worten lösen - auch wenn sie so gut gemeint sind wie die von Kommissionspräsident Juncker, der sich zu den Flüchtlingen äußerte. Stattdessen braucht die EU ein gemeinsames Asylsystem, meint Annette Riedel. Europa müsse die dringend notwendige Solidarität verordnen.
Wenn Worte komplexe Probleme lösen könnten, dann hätte Europa nach der Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der Union ein paar weniger.
Es lässt sich an der Rede einiges aussetzen, aber Juncker hat es vermocht, an vielen Stellen Worte zu finden, wie sie sein Vorgänger Barroso nicht gefunden hätte. Nicht ein Brüsseler Bürokrat hat da gesprochen, sondern ein Mensch. Ein Bürger Europas, der nicht nur die EU-Parlamentarier oder die Verantwortlichen in den Haustädten angesprochen hat, sondern alle Bürger Europas.
Empathisch. Empathisch mit den Ängsten der Europäer. Empathisch für die Lage der Schutzsuchenden.
Und erinnernd. Erinnernd an die Werte Europas. An die Historie eines Kontinents, auf dem fast aus jedem Land irgendwann in dessen Geschichte schon mal viele Menschen fliehen mussten und auf die Solidarität anderer angewiesen waren. Erinnernd an die "historische Gerechtigkeit", wie er es nannte, die es gebiete, heute nicht die Aufnahmebereitschaft vermissen zu lassen, auf die Eltern, oder Großeltern oder Vorfahren zu ihrer Zeit auch einmal angewiesen waren.
Viel Kritik an den Vorschlägen der Kommission
Wenige der Vorschläge, die die EU-Kommission macht, sind wirklich neu. Wenige sind unumstritten. Den einen schmeckt die zu beschleunigende Rückführung von abgewiesenen Asylbewerbern nicht. Den anderen nicht die gemeinsame Liste mit denjenigen Ländern – zunächst einmal richtigerweise die EU-Beitrittskandidaten - die als im Allgemeinen sicher gelten können und daher bei Menschen, die von dort kommen, mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Asylgründe bestehen dürften. Die Dritten reiben sich am Vorschlag, den Schutz der EU-Außengrenzen nicht mehr den jeweiligen Nationalstaaten zu überlassen, sondern einem europäischen Grenzschutz. Manch einer stößt sich an der Forderung – wenn das auch noch sehr vage geblieben ist – mehr legale Wege nach Europa zu schaffen. Oder daran, dass es ein erstes Pilotprojekt für mögliche europäische Anlaufstellen für Flüchtlinge außerhalb der EU geben soll.
Damit aus Vorschlägen Gesetze werden, müssen sich für sie Mehrheiten finden. Im Europäischen Parlament hat Juncker sie. Das hat sich mit einer Resolution in dieser Sitzungswoche in Straßburg hinter fast alles gestellt, was die EU-Kommission vorschlägt. Auch hinter den Vorschlag, nach einem Verteilungsschlüssel, einer Quote, insgesamt 160.000 Schutzbedürftige dem überlasteten Griechenland, Italien und – neu - auch Ungarn abzunehmen und auf alle EU-Länder zu verteilen.
Kann man Solidarität verordnen?
Es ist just dieser Vorschlag, über den die EU-Innenminister am Montag zu beschließen haben. Die Zustimmung zu dem Plan ist aber alles andere als ausgemacht. Und wenn's dann doch wieder die Chefs bei einem erneuten Sondergipfel zu richten hätten, dann gilt gar das Konsensprinzip, also eine schwierige de facto-Einstimmigkeit.
Juncker-Rede hin oder her – der hartnäckige Widerstand in einigen EU-Ländern hat sich nicht wegen ein paar guten Worten oder wegen ein paar schrecklichen Bildern ins Nichts aufgelöst. Vor allem in solchen Ländern nicht, die keine oder kaum Erfahrung mit Flüchtlingen und Einwanderung haben. Stellt sich die Frage, ob man Solidarität verordnen kann. Oder darf. Oder muss? Nach der reinen Lehre natürlich nicht, aber jeder, der sich aus einem System der Lastenteilung ausklingt, erhöht die Last der übrigen.
Vielleicht ist die Idee eines Flüchtlingsfonds - Teil der Vorschläge der EU-Kommission – gar keine dumme. Vielleicht ist das die etwas wacklige Brücke, über die manch eine Regierung gehen könnte. In einen solchen Fonds würden diejenigen Länder einzahlen, die aus akzeptablen Gründen für eine befristete Zeit keine zusätzlichen Flüchtlinge aufnehmen wollen oder können. Aus diesem Fonds würden die zusätzlichen Anstrengungen der übrigen unterstützt. Und vielleicht wäre das tatsächlich eine akzeptable Form der verordneten Solidarität.
Letztendlich führt aber jenseits von Einzelmaßnahmen kein Weg daran vorbei, dass Standards, Regeln, Leistungen, Fristen, Anerkennungsraten angeglichen werden müssen. Wir brauchen endlich in der ganzen EU ein annähernd einheitliches Asylsystem.
Wie gesagt, Probleme lassen sich nicht mit Worten lösen. Und seien es noch so schöne, wichtige, richtige. Aber sie können helfen, ein Gesprächsklima zu schaffen, in dem die Lösung komplizierter Probleme jedenfalls machbarer ist als in einem von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägten Diskurs. In diesem Sinne sollte sich der eine oder andere EU-Innenminister bei Juncker ein Scheibchen abschneiden, wenn es gilt, am Montag Entscheidungen zu treffen.
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