Flüchtlinge

Wir schaffen das! Aber wer und wie?

Bundeskanzlerin Merkel posiert in Berlin-Spandau mit einem Flüchtlinge für ein Selfie. Beide sind von Menschen umringt.
Bundeskanzlerin Merkel posiert nach dem Besuch der Erstaufnahme-Einrichtung in Berlin-Spandau mit einem Flüchtlinge für ein Selfie. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Stephan Hebel |
Angela Merkels "Wir schaffen das" in der Flüchtlingskrise klingt für viele wie eine Floskel. Denn was damit genau gemeint ist, bleibt unklar. Die Berliner Politik muss endlich konkreter reden und handeln, fordert der Journalist Stephan Hebel.
Ein Satz macht Karriere: Wir schaffen das. Die Flüchtlingsdebatte hat sich diese schlichte Äußerung von Angela Merkel zum Fixpunkt erwählt. Aber eine Frage wird selten gestellt: Wer ist dieses "Wir"? Wem gilt der Appell, den die Aussage "Wir schaffen das" ja auch enthält?
Schaut man genauer hin, dann verliert sich die Bedeutung der vermeintlich eindeutigen Parole rasch im Nebulösen, das die Kanzlerin in ihrer Rhetorik so meisterhaft beherrscht.
"Wir", das kann die Regierung sein, der sie vorsteht, oder das Parlament, auf dessen Mehrheit sie sich stützt. Es kann der Gesamtstaat sein, also Bund, Länder, Gemeinden. Und schließlich kann das "Wir" auch die Gesellschaft als Ganze meinen.
Das Problem ist, dass Angela Merkel hier nicht genauer wird. "Wir schaffen das" bleibt Floskel, für viele unglaubwürdig, wenn die Antworten auf das "Wer" und das "Wie" nicht folgen. Und damit trägt die Kanzlerin, aller wohlwollenden Rhetorik zum Trotz, eine Mitschuld an jener Verunsicherung, die zu Abwehrhaltungen beiträgt.
Tabu Steuererhöhung brechen
Was also fehlt? Der Furcht, dass Einwanderer zur Konkurrenz werden könnten um Jobs oder Wohnungen, zu Wettbewerbern um das Geld für die soziale und sonstige Infrastruktur, dieser Furcht müsste die Kanzlerin ein Signal entgegensetzen, indem sie sagte: Wir, die Politik, legen die Lasten auf die starken Schultern.
Bevor wir die Mittel für Schulen und Umgehungsstraßen streichen, um Flüchtlinge zu versorgen, brechen wir lieber ein Tabu und erhöhen die Steuern auf die höchsten Einkommen und Vermögen.
Wer mit vielfachen Milliardenrisiken Banken rettet, wird auch Mittel und Wege finden, Flüchtlinge aufzunehmen, ohne das Gebot der Gerechtigkeit für alle, ob Alteingesessene oder Zugewanderte, zu verletzen. So schaffen wir das.
Das sagt Angela Merkel nicht. Und der Finanzminister redet schon davon, sich das Geld für die Flüchtlinge durch Kürzungen an anderer Stelle zu holen. Wer ein gesellschaftliches Wir-Gefühl will, muss anders reden.
Und handeln. Selbst wenn mit "Wir" nur die politischen Akteure gemeint sein sollten, klafft in Merkels Satz eine Lücke. Bekanntlich sind Landräte und Bürgermeister die ersten, die den Satz "Wir schaffen das" täglich mit Inhalt zu füllen haben. Sie, die Kommunalpolitiker, lobt Angela Merkel eifrig, und insofern hat sie sie ihrem "Wir" schon eingemeindet.
Aber das hilft wenig, wenn sie nicht auch für praktische Unterstützung sorgt. Hier hat es zwar ein paar Schritte in die richtige Richtung gegeben. Aber gemessen an den Aufgaben, die uns bevorstehen, ist ein Festbetrag für die akute Versorgung von Asylbewerbern nicht viel mehr als nichts.
Gemeinschaftsaufgabe Flüchtlinge ausrufen
Wohnungen, Schulen, Personal, Sprachkurse, auch rasche Anerkennungsverfahren – alles, womit sich die absehbaren Veränderungen unseres Landes möglichst konfliktarm moderieren ließen, darf man nicht Ländern und Gemeinden überlassen. Sie können es allein oder annähernd allein nicht schaffen.
Erst wenn die Politik mit Angela Merkel an der Spitze demonstrativ den jeweils nächsten Schritt geht, kann der Satz "Wir schaffen das" politische Tragkraft gewinnen.
Passend zum "Wir" gibt es den schönen Ausdruck "Gemeinschaftsaufgabe". Wird sie ausgerufen, dann tun sich Bund, Länder und Gemeinden zusammen, um das Notwendige gemeinsam zu bewältigen. Die Kosten und Anstrengungen, die dafür notwendig sind, werden nicht nach Kassenlage bestimmt und begrenzt, sondern in einer gemeinsamen Anstrengung finanziert.
Die Bundeskanzlerin muss versprechen, Zukunftsinvestitionen ins Einwanderungsland Deutschland zu wagen. Und sie muss versprechen, das nötige Geld bei denen zu holen, die es im Überfluss besitzen. Erst dann gibt es die Chance, die gegenwärtigen gesellschaftlichen Spaltungen zu überwinden. Und das "Wir" wird von der Phrase zum handelnden Subjekt.
Stephan Hebel, Journalist, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig. Bucherscheinungen: "Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht" (Westend Verlag 2013), "Deutschland im Tiefschlaf. Wie wir unsere Zukunft verspielen" (Westend Verlag 2014) sowie mit Gregor Gysi: "Ausstieg links? Eine Bilanz" (Westend Verlag 2015).
Stephan Hebel, freier Autor
Stephan Hebel, freier Autor© Frankfurter Rundschau
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