Flüchtlingen und der Volksentscheid

Berliner streiten über Tempelhofer Feld

Die Hallen des stillgelegtes Flughafens Berlin-Tempelhof.
Auf dem Gelände des stillgelegten Flughafens Berlin-Tempelhof sind zahlreiche Flüchtlinge untergebracht. © AFP / Tobias Schwarz
Von Wolf-Sören Treusch |
In den Hangars des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof leben bereits 4000 Flüchtlinge auf engstem Raum. Der Senat will auf dem Tempelhofer Feld weitere Asylbewerber unterbringen. Kritiker fürchten, damit werde der Volksentscheid ausgehebelt.
"Die Menschen können nachts nicht schlafen, sie werden krank, sie werden als Flüchtlinge anerkannt werden absehbar, und sie werden dauerhaft hier bleiben: so können sie mit den Menschen nicht umgehen. So schaffen wir uns hier Probleme statt sie zu lösen."
1500 Berliner Bürger haben sich in der Haupthalle des ehemaligen Flughafens Tempelhof versammelt. Viele von ihnen zeigen, dass sie nicht einverstanden sind mit den Plänen des Senats, noch mehr Flüchtlinge am Flughafen zu beherbergen. Sie halten kleine Transparente hoch mit Parolen wie: "Hände weg von Tempelhof", "nicht mit uns" oder "Leerstand nutzen".
Inwieweit werden jetzt nicht die Flüchtlinge missbraucht dafür, dass dieses Feld geöffnet werden soll für Investoren, für Baukonzerne, um eben nachträglich doch noch ihre Luxuswohnungen bebauen zu können?
Der Streit ums Tempelhofer Feld und um den richtigen Umgang mit den Flüchtlingen hat damit in Berlin einen neuen Höhepunkt erreicht. Etwa 4000 Flüchtlinge sind jetzt schon in den alten Hangars untergebracht, bis zu 7000 will der Senat insgesamt im Flughafen Tempelhof einquartieren. Vier Staatssekretäre auf dem Podium versuchen zu erklären, wie das gehen soll. Sie haben einen schweren Stand. Wie Mark Rackles aus der Bildungsverwaltung.
Das Gesetz muss geändert werden
"Eine denkwürdige Veranstaltung hier, an der ich sehr gern teilnehme, und das ist für mich auch gelebte Demokratie in Berlin, und ich finde es sehr erfreulich, weil wir anders, na das ist das. Nehmen Sie es. Nehmen Sie es."
Die Angelegenheit ist kompliziert. Damit es überhaupt möglich ist, dass insgesamt 7000 Flüchtlinge auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens untergebracht werden, muss zunächst einmal ein Gesetz geändert werden. Und zwar nicht irgendeines, sondern das Gesetz, das den Volksentscheid aus dem Jahr 2013 zur Grundlage hat. Damals hatte sich die Mehrheit der Berliner Bevölkerung gegen eine Wohnbebauung am Rande des Flugfeldes ausgesprochen. Auf einem kleinen Teil des Randes sollen nun die Flüchtlingsunterkünfte entstehen. Der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz sagt: Auf dem Flugfeld selbst wird kein Grashalm angefasst.
"Jeder kann dort weiter spazieren, kann Kite surfen machen, kann andere: Sport, Spiel, Spannung-Sachen machen, das wird so bleiben, wir werden ausschließlich bisher schon befestigte Flächen, die wirklich versiegelt sind, also nicht wo Gras ist, sondern wo befestigt ist, die werden wir in Ergänzung zum Rollfeld, das ist das direkt vor dem Flughafengebäude, wo früher die Flugzeuge draufstanden, das werden wir, befristet für maximal drei Jahre, für die Unterbringung von Flüchtlingen vorsehen, und das werden wir auch so im Gesetz festschreiben."
Noch immer kommen mehrere hundert Flüchtlinge pro Tag nach Berlin, ihre Unterbringung auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof sei eine Notmaßnahme. Alternative, leerstehende, vor allem dezentrale Wohnungsstandorte gebe es viel zu wenig in der Stadt, so die Vertreter der rot-schwarzen Regierungskoalition. Die Initiative "100% Tempelhofer Feld" bezweifelt das. Vorstandsmitglied Michael Schneidewind befürchtet, dass der Volksentscheid von 2013 mit dem Änderungsgesetz ausgehebelt werden soll.
Zum Duschen werden die Bewohner weggefahren
"Wir nehmen an, dass das der Einstieg ist in eine scheibchenweise Veränderung des Tempelhofer Feldgesetzes, dass nämlich peu a peu an den Rändern wieder Baurecht geschaffen wird."
Völliger Unsinn, sagt Stefan Evers von der CDU. Es ist und bleibt eine Ausnahmesituation.
"Es ist schon aus juristischen Gründen ausgeschlossen, dass wir feste Bauten errichten, es trifft auch nicht zu, dass wir durch die Hintertür Baurecht einführen, wir schaffen eine vorübergehende, befristete Situation, auch ausschließlich zum Zweck der Notunterbringung von Menschen und nicht zur dauerhaften Behausung, wir bauen hier eben keine Quartiere, wir schaffen keine Ghettos, sondern wir schaffen eine Kapazität, die dazu geeignet ist, vorübergehend Menschen unterzubringen, dazu gehört, das Tempelhofer-Feld-Gesetz zu ändern."
Das was hier steht, ist die größte, die schlechteste und wahrscheinlich auch die teuerste Flüchtlingsunterkunft in Berlin.
Wie sich endlich die Lebensumstände der Flüchtlinge verbessern, die jetzt schon auf dem Flughafengelände untergebracht sind, darauf bekamen die vielen Bürger, die sich gestern Abend zu Wort meldeten, keine Antwort. Noch immer leben die Flüchtlinge auf zwei Quadratmetern pro Person, und noch immer müssen sie zum Duschen in ein Nachbargebäude gefahren werden, so der Vorwurf. Antje Kapek von Bündnis 90/Die Grünen findet diese Zustände unzumutbar.
"Das Hauptproblem ist, dass 7000 Menschen auf so engem Raum eine Massenunterkunft sind, und solche Massenunterkünfte sind die größte Integrationsbremse und -blockade, die es gibt, und deshalb wird meine Fraktion diesem Gesetz nicht zustimmen."
Die Vertreter der rot-schwarzen Regierungskoalition auf dem Podium nahmens gelassen. Ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus ist komfortabel: das Änderungsgesetz kann am kommenden Donnerstag beschlossen werden. "Wir müssen zusammenhalten und uns unterhaken", sagte einer der Staatssekretäre zum Schluss. Das bezog er auf die Integration der Flüchtlinge, nicht auf die Abstimmung.
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