Flüchtlingsalltag in Sprechblasen
Die Berlinerin Paula Bulling schildert in ihrer Graphic Novel "Willkommen im Land der Frühaufsteher" das Leben in Flüchtlingsheimen. Dabei thematisiert sie immer wieder die Problematik ihres priviligierten weißen Blicks.
"Willkommen im Land der Frühaufsteher" - mit diesem absurden Slogan begrüßt Sachsen-Anhalt an den Autobahnen alle Reisenden, die die Landesgrenzen überqueren. Und in Sachsen-Anhalt, genauer in Halle, hat Paula Bulling in den vergangenen fünf Jahren gelebt.
"Ich hab’ ursprünglich Keramik studiert, und deshalb bin ich auch nach Burg Giebichenstein, nach Halle, gegangen. Weil das die einzige Hochschule in Deutschland ist, wo man Keramik studieren kann. Ein Jahr hab ich tatsächlich ganz viele Gefäße gemacht. Und das ist halt eine ganz klassische Ausbildung, deswegen musste ich auch ganz viel zeichnen."
Zum Comic kam die 26-Jährige erst, als der Berliner Grafiker und Comic-Zeichner Georg Barber, bekannt unter dem Künstlernamen ATAK, die Illustrationsprofessur an der Burg übernahm.
"Ich hatte ’nen Kumpel, der hat dann gesagt: Ja, du machst doch immer so kleine Heftchen. Ich hab immer so kleine Heftchen mit Zeichnungen und Texten gemacht. Geh’ doch mal dahin, der is cool! Ich hatte überhaupt keine Ahnung, ich hatte überhaupt nichts zu tun mit Comic.
Dann bin ich da mal hingelatscht und hab’ den halt kennengelernt. Dann hatte ich ’nen guten Draht mit Georg, und so hat sich das dann ergeben, dass ich mich ’n bisschen von hintenrum reingeschmuggelt hab’ in die Klasse."
Mittlerweile lebt Paula Bulling wieder in ihrer Geburtstadt Berlin. Auf dem Küchentisch der Neuköllner Wohnung liegt ihr erster Comic: "Im Land der Frühaufsteher". Das Cover ist in verwaschenen Blau- und Lilatönen gehalten. Am Bildrand erkennt man eine junge Frau mit kurzen, dunklen Haaren. Ein Selbstporträt der Zeichnerin. Angefangen hat alles mit einer langen Syrien-Reise im Sommer 2009:
"Dann waren wir wieder in Halle, da gab’s ’ne Veranstaltung von syrischen Menschenrechtsaktivisten, die eigentlich über die Situation in Syrien sprechen wollten. Aber dann stellte sich heraus, dass die in Thüringen im Flüchtlingsheim wohnen, in Karlshütte, und dann haben die auf halbem Weg dieser Veranstaltung angefangen über ihre Situation in Deutschland zu reden.
Dann sind wir da mit 30-40 anderen Leuten nach Karlshütte gefahren. Die ham einem das Heim gezeigt, dann gab’s da ne kleine Demonstration. Und dann kam die Polizei und wir haben alle Hausverbot gekriegt, und es war alles total krass als Einstieg. Es ging so sofort von Null auf Hundert."
Nach diesem Erlebnis begann Paula Bulling den Flüchtlingskosmos in Halle und Umgebung zu erforschen. Sie traf Asylsuchende, die in Heimen in Halberstadt, Möhlau oder Bernburg lebten, machte Fotos, zeichnete Porträts und kleine Szenen. Sperranlagen, Spinde, ewig lange Flure. Die vielen, oft unkommentierten Zeichnungen im Buch sprechen für sich.
"Und dann hab’ ich quasi versucht, die verschiedenen Teile, die ich hatte, sinnvoll zu verbinden und daraus ein Ganzes zu machen. Dadurch kommt auch die relativ lose Form von dem Comic. Es ist eher ein Mosaik. Aber ich find schon, dass es ne Steigerung der Intensität gibt, vom Anfang bis zum Schluss, und es gibt auch ’nen Erkenntnisgewinn, von daher ist es schon ’ne Narration."
In Bullings Comic sind wir ganz nah dran am Leben der Flüchtlinge in Deutschland. Erfahren von ihrem zermürbenden Alltag in wechselnden Heimen, vom jahrelangen Warten auf eine Entscheidung. Die Problematik ihres priviligierten weißen Blicks thematisiert Bulling dabei immer wieder.
Sie will nicht einfach über die Menschen berichten, von außen ihr Leben dokumentieren. Eine Lösung hat sie gefunden. Die Texte im Kapitel über das Heim in Halberstadt sind von Noel Kaboré, einem afrikanischen Flüchtling, den Bulling während ihrer Recherchen kennen gelernt hat:
"Das war sehr interessant, mit Noel zu arbeiten, weil er natürlich überall dabei war. Er ist ja die Figur, die in dem Halberstadt-Kapitel uns das Heim zeigt. Ich hatte eben einen Text geschrieben, so wie ich mich erinnert hab, wie die Leute gesprochen haben.
Dann hab ich ihn gebeten, ob er an den Stellen, wo er das Gefühl hat, das ist nicht authentisch, um das Wort zu benutzen, was er da sagen würde. Und dann hat sich das immer so weiter entwickelt. Dass er dann auch Inhalte von sich reingebracht hat. Und ich fand den Text total stark. Der war viel, viel stärker als meiner."
Paula Bulling blättert im ihrem Comic, zeigt auf eine großformatige Zeichnung eines Heimzimmers im Halberstadt-Kapitel
"Oder - Arwa kuckt sich diesen Fernseher an, die Fatma in dem Buch. Ganz am Anfang. Die kommt rein und sagt: Was is los mit dein Asylantenfernseher. Das fand ich so geil, diese kleinen Witze, die so am Rand sind.
Die hat eben auch alle Noel gemacht, und ich hätte mich nie getraut, ich wusste auch nicht, dass sie selber dieses Wort Asylant benutzen, um sich lustig zu machen oder um irgendwas etwas zu bezeichnen, was nich funktioniert oder was irgendwie blöd is."
Auf den letzten Seiten des Comics porträtiert Bulling die kurdischen Flüchtlinge Kristina Khudoyan und ihre Kinder. Kristinas Mann Azad Hadji hatte im Juli 2009 unter ungeklärten Umständen schwere Verbrennungen erlitten und war kurz danach in einem Krankenhaus in Halle gestorben. Die Ermittlungen wurden noch im selben Jahr ohne Ergebnis eingestellt.
Vor wenigen Wochen hat Paula Bulling die Witwe und ihre zwei Töchter wieder gesehen. Erst in diesem Sommer hat sich die Härtefallkommission Sachsen-Anhalts für das Bleiberecht für Kristina Khudoyan und ihre Kinder ausgesprochen.
"Ich bin total froh. Also, ich denke nicht, dass das Buch dazu beigetragen hat. Aber das ist das Mindeste, dass sie ihr Bleiberecht kriegt, die Töchter ihr Bleiberecht kriegen. Ja. Ich find’s enorm, dass man überhaupt versucht hat, sie abzuschieben.
Ich konnt' es nicht fassen, als ich’s gehört hab. Ich hab echt gedacht, ich bin abgebrüht. Aber als ich das gehört hab, da hab ich echt wieder gedacht: Ich hatte schon meine Gründe, dieses Buch zu machen."
Informationen des Avant Verlags zu "Im Land der Frühaufsteher" von Paula Bulling
"Ich hab’ ursprünglich Keramik studiert, und deshalb bin ich auch nach Burg Giebichenstein, nach Halle, gegangen. Weil das die einzige Hochschule in Deutschland ist, wo man Keramik studieren kann. Ein Jahr hab ich tatsächlich ganz viele Gefäße gemacht. Und das ist halt eine ganz klassische Ausbildung, deswegen musste ich auch ganz viel zeichnen."
Zum Comic kam die 26-Jährige erst, als der Berliner Grafiker und Comic-Zeichner Georg Barber, bekannt unter dem Künstlernamen ATAK, die Illustrationsprofessur an der Burg übernahm.
"Ich hatte ’nen Kumpel, der hat dann gesagt: Ja, du machst doch immer so kleine Heftchen. Ich hab immer so kleine Heftchen mit Zeichnungen und Texten gemacht. Geh’ doch mal dahin, der is cool! Ich hatte überhaupt keine Ahnung, ich hatte überhaupt nichts zu tun mit Comic.
Dann bin ich da mal hingelatscht und hab’ den halt kennengelernt. Dann hatte ich ’nen guten Draht mit Georg, und so hat sich das dann ergeben, dass ich mich ’n bisschen von hintenrum reingeschmuggelt hab’ in die Klasse."
Mittlerweile lebt Paula Bulling wieder in ihrer Geburtstadt Berlin. Auf dem Küchentisch der Neuköllner Wohnung liegt ihr erster Comic: "Im Land der Frühaufsteher". Das Cover ist in verwaschenen Blau- und Lilatönen gehalten. Am Bildrand erkennt man eine junge Frau mit kurzen, dunklen Haaren. Ein Selbstporträt der Zeichnerin. Angefangen hat alles mit einer langen Syrien-Reise im Sommer 2009:
"Dann waren wir wieder in Halle, da gab’s ’ne Veranstaltung von syrischen Menschenrechtsaktivisten, die eigentlich über die Situation in Syrien sprechen wollten. Aber dann stellte sich heraus, dass die in Thüringen im Flüchtlingsheim wohnen, in Karlshütte, und dann haben die auf halbem Weg dieser Veranstaltung angefangen über ihre Situation in Deutschland zu reden.
Dann sind wir da mit 30-40 anderen Leuten nach Karlshütte gefahren. Die ham einem das Heim gezeigt, dann gab’s da ne kleine Demonstration. Und dann kam die Polizei und wir haben alle Hausverbot gekriegt, und es war alles total krass als Einstieg. Es ging so sofort von Null auf Hundert."
Nach diesem Erlebnis begann Paula Bulling den Flüchtlingskosmos in Halle und Umgebung zu erforschen. Sie traf Asylsuchende, die in Heimen in Halberstadt, Möhlau oder Bernburg lebten, machte Fotos, zeichnete Porträts und kleine Szenen. Sperranlagen, Spinde, ewig lange Flure. Die vielen, oft unkommentierten Zeichnungen im Buch sprechen für sich.
"Und dann hab’ ich quasi versucht, die verschiedenen Teile, die ich hatte, sinnvoll zu verbinden und daraus ein Ganzes zu machen. Dadurch kommt auch die relativ lose Form von dem Comic. Es ist eher ein Mosaik. Aber ich find schon, dass es ne Steigerung der Intensität gibt, vom Anfang bis zum Schluss, und es gibt auch ’nen Erkenntnisgewinn, von daher ist es schon ’ne Narration."
In Bullings Comic sind wir ganz nah dran am Leben der Flüchtlinge in Deutschland. Erfahren von ihrem zermürbenden Alltag in wechselnden Heimen, vom jahrelangen Warten auf eine Entscheidung. Die Problematik ihres priviligierten weißen Blicks thematisiert Bulling dabei immer wieder.
Sie will nicht einfach über die Menschen berichten, von außen ihr Leben dokumentieren. Eine Lösung hat sie gefunden. Die Texte im Kapitel über das Heim in Halberstadt sind von Noel Kaboré, einem afrikanischen Flüchtling, den Bulling während ihrer Recherchen kennen gelernt hat:
"Das war sehr interessant, mit Noel zu arbeiten, weil er natürlich überall dabei war. Er ist ja die Figur, die in dem Halberstadt-Kapitel uns das Heim zeigt. Ich hatte eben einen Text geschrieben, so wie ich mich erinnert hab, wie die Leute gesprochen haben.
Dann hab ich ihn gebeten, ob er an den Stellen, wo er das Gefühl hat, das ist nicht authentisch, um das Wort zu benutzen, was er da sagen würde. Und dann hat sich das immer so weiter entwickelt. Dass er dann auch Inhalte von sich reingebracht hat. Und ich fand den Text total stark. Der war viel, viel stärker als meiner."
Paula Bulling blättert im ihrem Comic, zeigt auf eine großformatige Zeichnung eines Heimzimmers im Halberstadt-Kapitel
"Oder - Arwa kuckt sich diesen Fernseher an, die Fatma in dem Buch. Ganz am Anfang. Die kommt rein und sagt: Was is los mit dein Asylantenfernseher. Das fand ich so geil, diese kleinen Witze, die so am Rand sind.
Die hat eben auch alle Noel gemacht, und ich hätte mich nie getraut, ich wusste auch nicht, dass sie selber dieses Wort Asylant benutzen, um sich lustig zu machen oder um irgendwas etwas zu bezeichnen, was nich funktioniert oder was irgendwie blöd is."
Auf den letzten Seiten des Comics porträtiert Bulling die kurdischen Flüchtlinge Kristina Khudoyan und ihre Kinder. Kristinas Mann Azad Hadji hatte im Juli 2009 unter ungeklärten Umständen schwere Verbrennungen erlitten und war kurz danach in einem Krankenhaus in Halle gestorben. Die Ermittlungen wurden noch im selben Jahr ohne Ergebnis eingestellt.
Vor wenigen Wochen hat Paula Bulling die Witwe und ihre zwei Töchter wieder gesehen. Erst in diesem Sommer hat sich die Härtefallkommission Sachsen-Anhalts für das Bleiberecht für Kristina Khudoyan und ihre Kinder ausgesprochen.
"Ich bin total froh. Also, ich denke nicht, dass das Buch dazu beigetragen hat. Aber das ist das Mindeste, dass sie ihr Bleiberecht kriegt, die Töchter ihr Bleiberecht kriegen. Ja. Ich find’s enorm, dass man überhaupt versucht hat, sie abzuschieben.
Ich konnt' es nicht fassen, als ich’s gehört hab. Ich hab echt gedacht, ich bin abgebrüht. Aber als ich das gehört hab, da hab ich echt wieder gedacht: Ich hatte schon meine Gründe, dieses Buch zu machen."
Informationen des Avant Verlags zu "Im Land der Frühaufsteher" von Paula Bulling