EU setzt auf Abschreckung
Das Elend im griechischen Flüchtlingslager Idomeni ist Kalkül, meint Wolfgang Landmesser. Die Länder an der Balkanroute hätten durch ihre Grenzsperrungen die Zustände provoziert, um Menschen vor der Flucht nach Europa abzuschrecken. Griechenland wird unterdessen alleine gelassen.
Griechenland fühlt sich zu Recht allein gelassen. Zehntausende Flüchtlinge sind bereits gestrandet und vielleicht werden es bald hunderttausende sein. Die Bilder vom Elend im Flüchtlingslager von Idomeni sind um die Welt gegangen. Aber die Empörung ist erstaunlich schnell abgeklungen. Österreich und den Ländern entlang der Balkanroute dient Idomeni als grausames Exempel: Durch die Schließung der Grenzen haben sie die Situation bewusst verursacht, um Flüchtlinge und Migranten abzuschrecken – auf Kosten Griechenlands.
Haltlose Vorwürfe gegen Athen
Vorausgegangen waren haltlose Vorwürfe, die Griechen würden ihre Grenzen nicht richtig sichern. Es stimmt: Griechenland hat das Pech, die Außengrenze der EU zu bilden, aber es war von Anfang an klar, dass es nicht alleine in der Lage sein würde, eine Krise dieses Ausmaßes zu bewältigen. Österreich und andere Länder beriefen sich auf das Dublin-Abkommen, wonach das Mitgliedsland, wo die Flüchtlinge zuerst ankommen, sich ihrer auch annehmen muss. Aber wie hätte Griechenland 900.000 Menschen aufnehmen sollen, die allein im vergangenen Jahr die griechischen Inseln erreicht haben?
Statt an einer gemeinsamen Lösung für das Problem zu arbeiten, lief in der EU eine unehrliche Diskussion. Weil Griechenland überfordert war mit dem riesigen Andrang, ließ es die Flüchtlinge einfach passieren. Und die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen mit den genannten Hotspots auf den griechischen Ägäis-Inseln eine Scheinlösung.
Mit Schutzrechten für Flüchtlinge kaum vereinbar
Laut Beschluss sollten sie ankommende Flüchtlinge nicht nur lückenlos registrieren, sondern auch aufteilen nach Wirtschaftsmigranten und Menschen, die Anspruch auf Schutz in der EU haben. Es war nicht zu Ende gedacht, wie das auf den Inseln umgesetzt werden kann. Sobald ein Flüchtling aus Syrien oder dem Irak einen Asylantrag stellt, hat er ein Recht auf eine ausführliche Prüfung seines Falls. Das wäre auf den Inseln gar nicht möglich gewesen – und hätte auch die Kapazität der griechischen Asylbehörde überfordert.
Auf ihrem Gipfel Anfang der Woche hat die EU das fragwürdige Hotspotkonzept einfach über den Haufen geworfen – und voll auf Abschreckung geschaltet. Egal, wer auf den griechischen Inseln ankommt, soll wieder zurückgeschickt werden in die Türkei, einfach, indem die Türkei als sicheres Herkunftsland deklariert wird. Obwohl ein Asylsystem dort, wenn überhaupt, nur in Ansätzen existiert. Mit den internationalen Schutzrechten für Flüchtlinge ist das kaum zu vereinbaren.
Auch Griechenland sind Versäumnisse vorzuwerfen. Im Kampf gegen die Flüchtlingskrise gab es bisher keine Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden, um wirksam gegen die Schlepper vorzugehen. Kooperation mit der Türkei ist kein einfaches Thema, nach Jahrzehnte langen Konflikten um Inseln und Hoheitsgewässer in der Ägäis, die fast zu einem Krieg geführt hätten. Aber statt immer nur wortreich die toten Kinder in der Ägäis zu beklagen, hätte Ministerpräsident Tsipras schon früher den Kontakt zur Türkei suchen müssen. An gezielter Aufklärung und dem Austausch über die Operationen der Schlepper hat es bisher gemangelt. Beim Treffen von Tsipras mit seinem türkischen Amtskollegen Davutoglu war die Zusammenarbeit der griechischen und der türkischen Küstenwache zum ersten Mal ein Thema – viel zu spät.
Dem schlimmsten Elend hätte Griechenland vorbeugen können
Nach den verbalen Dauerattacken aus Österreich und anderen Ländern hätte die griechische Regierung außerdem voraussehen können, dass die Länder im Norden die Balkanroute dichtmachen werden – und entsprechend vorsorgen. Dabei hätte es fürs Erste schon gereicht, wenn Griechenland sein Versprechen vom Herbst realisiert hätte, 50.000 neue Plätze für Flüchtlinge zu schaffen. Stattdessen muss der Krisenstab der griechischen Regierung jetzt unter enormem Druck neue Camps aus dem Boden stampfen. Dem schlimmsten Flüchtlingselend hätten die Behörden also vorbeugen können.
Natürlich ist es jetzt vor allem wichtig, die Menschen, die in Griechenland festsitzen, ordentlich zu versorgen. Das ist eine Frage der Organisation und des Geldes, das die EU mit einem Nothilfeprogramm jetzt immerhin zur Verfügung stellt. Aber die Folgen der Abschottungspolitik sind viel weitreichender. Es geht nicht nur um die Versorgung von Zehntausenden, vielleicht sogar hunderttausenden Flüchtlingen im von der Wirtschaftskrise ausgelaugten Griechenland. Es geht um eine Perspektive für die festsitzenden Menschen.
Knallharte nationale Alleingänge in der EU
Einen Ausweg könnte das sogenannte Relocation-Programm bieten. Demnach werden 160.000 Flüchtlinge, die in Griechenland und Italien angekommen sind, auf die anderen Mitgliedsländer verteilt. Jetzt, wo die Grenzen Richtung Norden dicht sind, dürften immer mehr Flüchtlinge das Programm in Anspruch nehmen. Aber nach wie vor sträuben sich etliche EU-Mitgliedsländer, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen. So scheitert eine Lösung für Griechenland und die Flüchtlingskrise insgesamt immer wieder am selben Problem – der mangelnden Solidarität in der EU und knallharten nationalen Alleingängen.