"Die rote Linie genau bestimmen"
Bundesjustizminister Heiko Maas trifft sich heute mit Vertretern von Facebook. Thema sind die Hass-Kommentare im Netz. Johannes Baldauf von der Amadeu-Antonio-Stiftung fordert, eine "rote Linie" für User-Kommentare zu bestimmen.
Bei dem Treffen von Bundesjustizminister Heiko Maas mit Vertretern von Facebook dürfte es heute kontrovers zugehen: Denn es geht um das Thema Hassbotschaften. Facebook steht seit Wochen in der Kritik, weil von Nutzern gemeldete fremdenfeindliche Kommentare zum Teil nicht gelöscht werden.
Johannes Baldauf von der Amadeu-Antonio-Stiftung forderte im Deutschlandradio Kultur, endlich darüber zu diskutieren, wo eigentlich genau die "rote Linie" für Kommentare im Netz verlaufe. Wenn jemand beispielsweise bei Facebook ein Bild von Waffen poste und darunter "Alle abknallen" schreibe: "Dann ist halt die Frage: Wenn das nicht spezifisch ist, muss das gelöscht werden, oder reicht es schon, wenn es unspezifisch ist, wenn es sich nicht gegen eine bestimmte Person richtet?"
Diskussionen über solche Details müssten jetzt vermehrt in der Öffentlichkeit geführt werden. An diesen Punkt komme man aber gar nicht, weil es immer nur generell um Hasskommentare gehe, beklagte er. Baldauf leitet das Projekt no-nazi.net der Amadeu-Antonio-Stiftung. Es beobachtet die Formen und Ausprägungen von Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit in sozialen Netzwerken und klärt vor allem jüngere Nutzer auf. Zuvor hatte Manfred Hilling aus der Online-Redaktion von Deutschlandradio Kultur eine Einschätzung über das Diskussionsverhalten in der Flüchtlingsdebatte auf unseren Kommentarseiten beigesteuert:
Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Man muss kein Kulturpessimist sein und kein Skeptiker gegenüber der schönen, neuen Welt des Internets, um eins feststellen zu müssen: Der Ton im Netz, der kann rau sein, sehr rau. Wir haben ja gerade ein paar Beispiele gehört von unseren Diskussionsforen im Deutschlandradio Kultur im Internet.
Noch viel krasser findet es anderswo statt – so krass, dass die Kanzlerin die Betreiber von Facebook aufgefordert hat, hier einzugreifen. Und in diesem Sinne dürfte heute der Bundesjustizminister Heiko Maas auftreten, wenn er mit Vertretern von Facebook zusammenkommt in Sachen 'Hate Speech'. An meiner Seite ist weiterhin Manfred Hilling aus unserer Onlineredaktion, und gemeinsam begrüßen wir jetzt Johannes Baldauf, er leitet das Projekt no-nazi.net der Amadeu Antonio Stiftung. Guten Morgen!
Johannes Baldauf: Guten Morgen!
Frenzel: Sie beobachten seit Jahren das, was jetzt für ein breites Publikum sichtbar wird: rechte Hasskommentare im Netz. Was kann man gezielt gegen solche Hasskommentare tun?
Menschenverachtende Inhalte sollte man einfach ohne Diskussion löschen
Baldauf: Das ist sehr unterschiedlich, was man tun kann, es hängt tatsächlich immer ein bisschen davon ab, was wir da vor uns haben. Also da gibt es ja schon eine recht große Bandbreite. Bei einigen Sachen da lohnt sich eine Diskussion natürlich nicht, das muss man halt löschen, das sind dann menschenverachtende Inhalte, bei anderen Sachen ist es natürlich total sinnvoll, darauf einzugehen und das einfach nicht stehen zu lassen, sondern das auch argumentativ zu widerlegen und so auch allen anderen Nutzerinnen und Nutzern, die ja da stumm oder ohne zu kommentieren mitlesen, auch einfach noch mal so ein Gegenbeispiel oder sozusagen das bessere Beispiel zu zeigen.
Frenzel: Wenn wir das mal sortieren – auf das Löschen kommen wir gleich noch, weil das ja auch die große politische Frage ist heute – aber das was Sie da argumentieren nennen, mit Argumenten überzeugen, ruhig, sachlich, kann das denn funktionieren?
Baldauf: Ja, das kann funktionieren. Das hängt natürlich auch immer ein bisschen davon ab – man baut sich ja immer so seine eigene Community auf. Diese Community muss man ja auch immer ein bisschen pflegen, aber da kann man das nach und nach einfach etablieren, dass man sozusagen einmal als moderierende Person das mit ein bisschen steuert, dass auch alle anderen sozusagen, die Teil dieser Community sind, das ähnlich machen, und dann entwickelt man einfach eine bestimmte Umgangsform, und dann funktioniert das – immer schön sachlich, immer schön distanziert, immer wieder auch mit Quellen belegen und sagen, guck mal, hier ist eine Statistik und hier, das stimmt einfach nicht und das ist nirgendwo belegt und solche Sachen. Und das funktioniert relativ gut.
Frenzel: Wenn ich den Ball mal rüber spielen darf zu Manfred Hilling von unserer Onlineredaktion bei deutschlandradiokultur.de: Klappt das auch bei Ihnen, wenn Sie versuchen, den Ton in einer Debatte zu ändern?
Anbieter von Kommentarforen müssen Präsenz zeigen
Manfred Hilling: Ja, ich kann das eigentlich nur bestätigen. Ganz wichtig ist in der Tat, bei einer Debatte, auch vor allen Dingen bei diesen kniffligen Debatten, sofort als Redaktion, als Anbieter Präsenz zu zeigen, sofort nachzufragen, nachzuhaken, auch teilweise dagegenzuhalten.
Das verändert ein Klima in der Diskussion, und wir haben auch mal festgestellt, das ist sehr wichtig, wie so ein Einstieg in eine Diskussion dann halt auch verläuft. Man darf Hatern, Rassisten da einfach auch nicht einfach kampflos das Feld sozusagen überlassen, da muss man dabei bleiben. Das ist viel Arbeit natürlich auch, aber wir sehen uns da durchaus in der Verantwortung, auch diese Seite zu betreuen und zu betreiben.
Frenzel: Wie man wo reagiert, das ist ja wahrscheinlich eine ganz schwierige Grenzfrage, Herr Baldauf. Ab wann ist Ihnen denn klar, dass man was sperren muss? Ich meine, das ist ja ein Eingriff in die Meinungsfreiheit.
Bei Facebook erschließt sich schnell, mit wem man es zu tun hat
Baldauf: Ja, ich bin jetzt kein ausgebildeter Jurist – also spätestens dann muss man halt sperren, wenn es sozusagen einfach Volksverhetzung ist. Ich würde mal sagen, mit der Zeit entwickelt man einfach auch so ein Bauchgefühl, ich nehme an, Ihr Kollege kann das auch bestätigen, dass man einfach schon sieht, okay, was ist das eigentlich für eine Person, ich meine, auf Facebook sieht man das ja immer relativ gut, wie ist dieser Mensch so drauf, was mag der sonst noch, was hat der so für Freunde, in welchen Gruppen ist der, und dann kriege ich so ein Bild. Und dann merke ich halt schon einfach nach einer Weile, okay, ist das überhaupt noch jemand, ist der erreichbar für mich, ja oder nein, oder ist das schon wirklich so jemand, so ein harter rechtsextremer Kader, natürlich brauch ich dann nicht diskutieren. Aber wenn man irgendwie das Gefühl hat, na ja, das ist jetzt so was Emotionales, aus dem Bauch heraus, und so richtig informiert ist diese Person nicht, dann lohnt es sich auf jeden Fall.
Frenzel: Ich hätte jetzt sofort Sympathie für Ihr Bauchgefühl und auch für das von Herrn Hilling, wenn Sie hier Entscheidungen treffen. Wenn ich jetzt an Facebook denke und überlege, wenn da jemand sitzt, ja gut, im Bereich rechtsextreme Kommentare ist das vielleicht relativ einfach, aber wo sind denn dann die Grenzen? Ermächtigt man ein solches soziales Netzwerk, das ja letztendlich ein Privatunternehmen ist, auch nicht zu etwas, was vielleicht die eigenen Möglichkeiten etwas überschreitet?
Baldauf: Na ja, ich denke mal, da sitzen auch schon Leute, die das schon sehr, sehr lange machen, und bei denen geht es dann nicht so sehr um ein Bauchgefühl, sondern jetzt kommen wir halt an den Punkt, worüber eigentlich diskutiert werden muss, nämlich wo genau verläuft eigentlich diese rote Linie.
Ich meine, die große Debatte ist immer, Hasskommentare löschen, aber wie wir jetzt festgestellt haben, da gibt es ja große Unterschiede, was ist was, und eigentlich muss man jetzt ganz genau ins Detail gehen. Und das ist der Punkt, der, glaube ich, auch in dem Unternehmen ganz hart diskutiert wird, wo genau ziehen wir die Grenze.
Wenn zum Beispiel, keine Ahnung, Bilder von Waffen gepostet werden und darunter schreibt jemand eine Drohung, so, hier, alle abknallen, dann ist halt die Frage, wenn das nicht spezifisch ist, muss das gelöscht werden, oder reicht das schon, wenn es unspezifisch ist, weil es sich nicht gegen eine bestimmte Person richtet. Und solche Diskussionen müsste man eigentlich viel mehr auch in der Öffentlichkeit führen, aber an den Punkt kommen wir halt gar nicht, weil es immer nur dieses große Ding Hasskommentare halt gibt.
Frenzel: Wie realistisch ist denn überhaupt ein Eingreifen? Wir wissen, es gibt mehrere hundert Millionen Facebook-Nutzer weltweit, es gibt Millionen Foren, kann man die denn alle überprüfen?
Das Melden von Verstößen ist wichtig - erst dann erfährt der Betreiber davon
Baldauf: Nö, also beziehungsweise ja, kann man schon, aber nicht im Voraus, sondern halt im Nachhinein. Das heißt, Unternehmen arbeiten reaktiv, und deswegen ist das Melden ja auch immer wieder so wichtig. Erst wenn ich einem Betreiber irgendwie einen Inhalt melde, wird er sich dessen gewahr, und dann entscheidet er, wie damit umgegangen wird. Ansonsten wäre der Betreiber auch für jeden Inhalt, der da ist, verantwortlich, das kann sich kein Unternehmen leisten, und deswegen ist man natürlich immer wieder auf die Nutzerschaft auch einfach angewiesen, und dann wird halt entschieden.
Frenzel: Herr Hilling, an Sie noch mal die Frage, Ihre Erfahrung auch mit Facebook: Wenn da unsere Nutzer auf unserer Seite diskutieren – wir haben selbst keinen Einfluss darauf, Sachen zu löschen – haben Sie Erfahrung gemacht mit Facebook, wo Sie gesagt haben, bitte löscht, bitte schaut darauf, und es passierte nichts?
Hilling: Na ja, also man muss schon sagen, wir können natürlich einzelne Kommentare löschen, wir können auch Nutzer sperren, davon machen wir auch Gebrauch bei ganz klaren Regelverstößen, zum Beispiel bei Beleidigungen oder Drohungen, ich sehe Facebook da aber durchaus viel, viel stärker in der Verantwortung, das muss man sagen. Es gab so viele Fälle, da wurden Sachen gemeldet, aber Facebook hat praktisch nicht reagiert oder viel zu spät reagiert, und ich denke, da kann Facebook sich auch nicht so einfach aus der Verantwortung ziehen und muss da in der Tat was tun, muss da schneller reagieren.
Frenzel: Danke schön an Manfred Hilling aus unserer Onlineredaktion, danke schön an Johannes Baldauf von der Amadeu Antonio Stiftung, danke Ihnen für das Gespräch!
Baldauf: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.