Die guten Bürger von Hainichen
Hainichen ist anders als Dresden, Bautzen oder Clausnitz. Etwa 210 Flüchtlinge leben derzeit in der 8.600-Einwohner-Stadt - und das relativ problemlos. Was an einem weltoffenen Bürgermeister und viel ehrenamtlichem Engagement liegt.
Demonstrationen vor der Flüchtlingsunterkunft - Fehlanzeige, Pöbeleien - Fehlanzeige, ehrenamtliches Engagement – keine Fehlanzeige."
"Es kommen jetzt einfach immer mehr."
"Is' schon der nächste."
Jetzt nur die Ruhe bewahren. Mary Weigel-Koppka atmet einmal tief durch – ehe sie anfängt zu lachen. Alles halb so wild. Die Sozialarbeiterin ist Stress gewöhnt. Es ist Mittwoch-Morgen, kurz nach zehn. Draußen, auf der Mittweidaer Straße, steuern ein paar Rentner den Wochenmarkt von Hainichen an. Drinnen, in der neu eingerichteten Kontaktstelle für Flüchtlinge, kramt die Migrationshelferin einen Filzstift und ein Blatt Papier aus ihrer Schreibtisch-Schublade. Die Mal-Sachen sind für die Tochter der Syrerin, die gerade bei ihr Rat sucht. Damit die Kleine sich nicht langweilt.
"Es geht wirklich in erster Linie darum, Informationen zu streuen. Mir hat jemand gesagt, als ich ihn fragte: Warum stellst du keine Fragen? Wir wissen gar nicht, was wir fragen sollen in Deutschland. Das zeigt mir, dass wir wirklich bei Null anfangen müssen. Sei es darum, einen Antrag vom Jobcenter oder eine Bewilligung zu lesen oder zu verstehen."
Alle wissen: Deutsch lernen ist wichtig
Die Frau mit dem blond-gefärbten Haar hat sich heute Morgen Verstärkung geholt: Die Ausländer-Beauftragte des Landkreises Mittel-Sachsen ist da.
"Bei uns in Deutschland ist es wichtig, dass Männer wie Frauen Deutsch lernen."
"Sie braucht das Deutsch für einen Job."
Noch jemand ist heute Morgen da: Rami Kanbar, Mary Weigel-Koppkas Kollege. Beide teilen sich eine Stelle.
Vor zwei, drei Jahren wäre solch ein deutsch-syrisches Gespann noch schwer vorstellbar gewesen. Aber das war, bevor Ramis Heimatstadt Aleppo in Schutt und Asche versank – und es den gelernten Tourismus-Manager nach Hainichen verschlug.
"Jetzt: This is my turn. To help people. Deutschland."
Rami will nützlich sein – oder, wie er das nennt: Deutschland etwas zurückgeben. Aus Dankbarkeit. Seit August ist der 29jährige in der sächsischen Kleinstadt mit den knapp 8600 Einwohnern. War anfangs nicht leicht: In Aleppo hatte er einen guten Job; seine Familie. In Hainichen das Gefühl, nicht unbedingt willkommen zu sein.
"Ich bin neu hier. Another Kultur. Arabisch. Moslems. Als erste Zeit wir hatten some Stress. Where are you coming from? Oh! Arabisch!"
Für Rami ist Hainichen inzwischen "Familie"
Rami verzieht unmerklich das Gesicht – ehe er sich einen Ruck gibt. Hat sich ja auch gelegt – das mit den ausländerfeindlichen Sprüchen.
"Hainichen eine Familie. Für mich: Some Personen come to me and helfen me for my Wohnen. Elektrik, for alles. Dies ist nicht in Berlin. Wenn ich gehe zu Berlin, ich fühle like... what do you say? Lonely."
Einsam zu sein, in Berlin, Dortmund oder Köln – darauf hat Rami keine Lust. Dann lieber Hainichen – das mittelalterliche Städtchen unweit von Chemnitz. Läuft ja auch ganz gut für ihn – nicht nur wegen des Jobs bei der Kontaktstelle. Ende des Monats beginnt sein Integrationskurs. Andere sind da noch nicht ganz so weit.
"Er muss sich hier in Hainichen 'ne Wohnung suchen."
"Hat er schon."
Anett Schränk – die Ausländerbeauftragte - kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Da will tatsächlich ein Flüchtling, der schon mal in Hainichen gelebt hat, zurück. Doch, doch, ist aber so. Erklärt Katja, die Begleiterin von Kalel.
"Wir sind heute hier, weil der Kalel ist momentan zwischen Bonn und Köln. Hat da eine Arbeit. Er möchte aber gerne in Hainichen wohnen. Aber wir müssen jetzt gucken, wie wir das mit der Schule machen."
Der Sprach-Schule. Dass sich Katja so um den 22jährigen Syrer kümmert, ist kein Zufall.
"Wir sind ein Paar. Seit sechs Monaten. Ja."
Früher gab es in den Plattenbauten keine Ausländer
Kennengelernt haben sich die beiden oben auf dem Ottendorfer Hang. Katja ist dort aufgewachsen. Schwarz-Rot-Gold statt Multi-Kulti: Ausländer gab es in der Plattenbausiedlung so gute keine.
Bis letztes Jahr im Sommer die Flüchtlinge kamen. Aus Syrien, dem Irak, Afghanistan. Und sich die Bürokauffrau dachte: Denen gibst du jetzt Deutsch-Unterricht.
"Irgendwann sind wir uns dann 'nen bisschen näher gekommen. Wir haben lange überlegt. Weil: Deutsch-Syrisch – es ist doch irgendwo 'nen bisschen problematisch."
Wegen der kulturellen Unterschiede; der Sprachbarriere. Aber wird schon.
"Wir üben auch jeden Tag fast 'ne Stunde: Immer mal Vokabeln. Och im Satzbau. Ich korrigiere ihn immer."
"Aber was auch: Ich möchte Arbeit. Ausbildung. Aber: Ich weiß nicht. Hier: Drei, vier Frisör sprechen. Aber: Ausländer: Nein! Warum: Ich weiß nicht."
"Wir haben mal bloß angefragt. Ausbildung wär kein Problem. Und da hab ich dann das Stichwort Ausländer gebracht. Und: Nein, danke – kam dann nur."
Katja und Kalel haben sich dadurch nicht entmutigen lassen. Gestern waren sie in Frankenberg, der Nachbargemeinde, bei einer Frisörin. Und siehe da: Die hat nichts gegen einen ausländischen Azubi. Wenn alles klappt, kann Kalel in einem Monat anfangen – und zurück nach Hainichen – zu Katja.
"Ich spreche viel mit Katja. Ich möchte nicht noch mal gehen. Ich bin jetzt hier."
"Wenn das alles abgeschlossen ist – der ganze Papierkram und alles – dann wird er mit bei mir wohnen."
"Ich möchte nicht gehen."
Der Papierkram ist gar nicht so dramatisch
Das mit dem Papierkram werden die beiden auch noch überstehen. Ist nämlich gar nicht so dramatisch. Meint die Frau, die es eigentlich wissen muss.
"OK?!"
"OK."
"Gut."
"Ja."
"Das freut mich, dass Sie zurückkommen."
"Wir brauchen junge Leute."
Im Landkreis Mittel-Sachsen. Annett Schränk nickt energisch. Für sie sind solche Informations-Gespräche längst Routine. Vorherzusehen war das nicht – damals, vor drei Jahren, als sie als Ausländer- und Gleichstellungsbeauftragte anfing.
Rund 5000 Ausländer lebten 2013 im Landkreis, heute sind es 8000, davon 3000 Asylsuchende. Für die Frau mit den Lachfalten heißt das: viel Auto fahren. Fast täglich ist sie auf Achse. Irgendjemand muss ja die Asylsuchenden und ihre Helfer informieren.
"Also: Was is ne Aufenthalts-Gestattung? Was is ne Aufenthalts-Erlaubnis? Was muss man tun, wenn sich ein ausländischer Mitbürger um Arbeit gemüht? Wie ist die Gesundheits-Fürsorge? Alles das, was unsere Helfer ja auch wissen müssen, wenn sie diesen Menschen och betreuen auf ihrem Weg."
Ohne die freiwilligen Helfer würde das mit der Integration noch schwieriger, als es jetzt schon ist. Der Willkommenskultur. Natürlich hat auch die Ausländerbeauftragte von den fremdenfeindlichen Übergriffen in Sachsen gehört, in Bautzen und Clausnitz.
Ausgerechnet Clausnitz: Schränk stöhnt leise
Ausgerechnet Clausnitz. Schränk stöhnt leise. Der Ort liegt in ihrem Landkreis. Sie schüttelt den Kopf. Das ist nicht ihr Sachsen. IHR Sachsen ist: Zivilisiert; friedvoll; optimistisch. Wie sie selbst.
"Äh. Na ja?! Wenn ich’s nich wäre, würde ich es nich machen. Ich weiß um die Schwierigkeiten. Weil es hier schon auch Mentalitäts-Unterschiede gibt. Das wird nid einfach werden. Aber ich denke, mit vielen Leuten sollte es uns gelingen."
Macht sich die Ausländerbeauftragte Mut. Sie schaut auf ihre Armbanduhr: Eine halbe Stunde noch – dann muss Schränk los; zum nächsten Termin. Doch sie wird wieder kommen. Nach Hainichen.
"Ich weiß, dass Hainichen eine mit der sehr engagierten Kommunen ist, die wir im Landkreis haben. Und hier zeigt sich wieder mal: Wenn die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister hinter einer Aufgabe stehen und die Leute och begleiten und die Helfer och bei ihrem Bürgermeister ein offenes Ohr haben ... das man dort durchaus viel bewegen kann. Das is' ganz wichtig, dass die Orts-Chefs – sag ich mal – hinter dieser Aufgabe stehen."
"Und jetzt muss i doch noch mal fragen: Djedemis Eltern sind in Mazedonien, jetzt?!"
"Ja."
"Sind über die Grenze drüber?"
"Aber dieses Warten auf Nummer."
"Ja, ja."
Hainichens Orts-Chef: Er spricht breites Fränkisch – und ist einer von Ramis Facebook-Freunden. Der Migrationshelfer ist die paar hundert Meter von der Kontaktstelle ins Rathaus gelaufen, um Dieter Greysinger darüber zu informieren, wie es den Eltern von Djedemi, einem syrischen Flüchtling, ergangen ist – auf ihrer Odyssee entlang der Balkan-Route.
Rami schaut häufiger beim Bürgermeister vorbei
Rami schaut häufiger vorbei. Alles ganz unkompliziert: Hainichens Bürgermeister mag zwar Krawatte tragen, ansonsten aber legt Greysinger keinen gesteigerten Wert auf Formalitäten. Der SPD-Mann lacht. Einen auf unnahbar machen – das war noch nie sein Ding. Passt auch nicht zu seinem Amtsverständnis, das da lautet: Kümmere dich!
"Ich hatte letzte Woche einen Fall. Das is a Libyer, der is mit einer Syrerin verheiratet. Der Libyer is Bau-Ingenieur, der hier also sicherlich gute Chancen hätte, einen Job zu finden. Jetzt is es aber so: Er hat zwar seine Aufenthaltsgenehmigung, aber er darf keinen Deutsch-Kurs mitmachen. Da is es halt dann oft so: Da schreibt man dann a Mail. Und dann tut sich etwas. Ned vielleicht, weil ich jetzt so a doller Mensch bin. Sondern einfach, weil’s halt der Bürgermeister is, der schreibt."
Greysinger kümmert sich – nicht nur um die Flüchtlinge, sondern auch die Einheimischen. Allein schon, damit die Hainichener nicht das Gefühl haben, überrumpelt zu werden. Deshalb auch die Bürgerversammlung im Sommer letzten Jahres – noch bevor die ersten Asylsuchenden ankamen.
"Dort waren so circa 400 Mann. Es war auch teilweise sehr aufgeheizte Stimmung, es waren auch einige Schreihälse. Ich war dann eigentlich nach dieser Veranstaltung etwas geschockt."
Bis der Mann vom Landratsamt ihn zur Seite nahm – und nur meinte:
"Also Herr Greysinger, ich weiß ned, was sie wollen. Das war eigentlich eine der zivilisiertesten Veranstaltungen, die ich mitgemacht habe."
Hat Greysinger erst einmal schlucken müssen. Und sich gesagt: Jetzt erst Recht. Als Ende August die ersten neun Flüchtlinge am Ottendorfer Hang ihr Quartier bezogen, war er zur Stelle: Den Erwachsenen drückte Hainichens Orts-Chef Stadtpläne in die Hand, den Kindern: einen "Hainrich", das Stadtmaskottchen aus Plüsch.
Job-Börse für Flüchtlinge
Es folgten: Im Oktober ein "Tag der Begegnungen" in der Asylbewerber-Unterkunft – und im November: eine Job-Börse. Unter den Flüchtlingen sind ja qualifizierte, junge Leute; Zahnärzte und Computer-Experten. Hainichen könnte eine Frischzellenkur gut gebrauchen. Schließlich schrumpft der Ort – wie ganz Sachsen. Eine Million Menschen hat der Freistaat seit der Wende verloren.
"Ich seh darin durchaus auch a Chance. Natürlich müssen se integrationswillig sein, integrationsfähig. Mir haben den Leuten klare Ansagen gemacht. Nämlich: Ihr müsst Deutsch lernen! Ohne Deutsch habt a keine Chance. Aber wenn a Deutsch lernt, seid a bei uns Willkommen."
In seiner Wahlheimat. Kurz nach der Wende kam der Franke nach Sachsen, weil er Lust hatte auf einen Neuanfang – und die "Buschzulage", wie Greysinger lachend meint. In Hainichen wurde er schnell heimisch – und 2004 Bürgermeister.
Er fühlt sich wohl hier. Immer noch. Trotz NPD und der Facebook-Gruppe "Hainichen bleibt Deutsch". Wer mit denen sympathisiert, fliegt aus seiner Freundesliste. Bei Pegida-Anhängern ist der SPD-Mann da nachsichtiger.
"Mit denen, die in meiner Freundesliste ... die diss liken, mit denen versuche ich doch ne konstruktive Diskussion anzufangen. Via Facebook. Die schicken mir manchmal auch irgendwelche Nachrichten. Da hat zum Beispiel letzte Woche einer dieser Freunde a Bild geschickt: Nen Mediamarkt-Gutschein für einen Asylbewerber für ein Handy über 250 Euro. Und hat a gesagt. Was halte ich davon? Da hab ich gesagt: Also, so a Blödsinn. Ich kann dir sagen: Das is a Fälschung. Weil: Ausgerechnet warum auf den Mediamarkt ausgestellt?!"
Es gibt jede Menge dumme Gerüchte
Es kursieren noch ganz andere Gerüchte. Etwa, dass Greysinger Gutscheine an die männlichen Flüchtlinge verteilt – fürs Bordell. Damit sie sich nicht an deutschen Frauen vergreifen. Der Bürgermeister tippt sich an die Stirn. Selten so einen Schwachsinn gehört. Aber Gott sei Dank ist das die Ausnahme. Die meisten hier: Laut Greysinger sind es anständige Leute. In Hainichen bleibt es ruhig. Auch auf dem Wochenmarkt hinterm Rathaus.
"Mir haben eigentlich keine Probleme. Auch mit de Neuen. Die wohnen dort oben jetzt, wo isch och wohne."
"Jetzt nu die Flüchtlingslage: Da teilen sich vielleicht die Meinungen."
"Den Leuten muss geholfen werden. Bin ich der Meinung."
Tönt es von draußen. Drinnen, im Rathaus, nickt Greysinger: Auf seine Hainichener ist halt Verlass. Auf seine Strategie auch: Nicht nur zu reagieren, sondern zu agieren.
"Da muss ich auch sagen: Da waren auch Stadträte, die haben mich a bisserl getrieben dazu. Ich hab da immer gesagt: Ach! Jetzt lascht das doch alles erst mal auf uns zukommen. Es gab dann also Stadträte, die haben gesagt: Näh, Bürgermeister."
"Wir brauchen das unbedingt – in Hainichen."
Das Netzwerk für Flüchtlinge. SPD-Stadtrat Kay Dramert kann sich im Café am Markt ein Lachen nicht verkneifen. Muss halt manchmal sein. Das mit dem Antreiben. Selbst bei einem Parteifreund.
Der Anfang 30jährige rührt in seinem Filter-Kaffee. Irgendwelche Latte-Macchiatos, am besten noch mit Haselnuss-Geschmack oder sonstigem Schnick-Schnack: Das ist nichts für ihn. Soziales Engagement schon eher.
"Als wir vor einem Jahr die brennenden Asylbewerber-Heime gesehen haben, wir haben den Anschlag auf das entstehende Asylbewerber-Heim in Meißen gesehen ... des is jetzt nicht weit weg. So. Da is in mir die Angst hoch gekommen: Klar. Irgendwann werden auch nach Hainichen Asyl-Bewerber kommen. Und ich wollte, dass die öffentliche Diskussion vorher stattfindet; dass wir vorher in der Bevölkerung drüber geredet haben. Die Bevölkerung aufgeklärt haben. Und dass wir diesen Frust, diese Wut, die’s da gibt, im Vorfeld schon 'nen bisschen kanalisiert haben, bevor die ersten herkommen."
Sachsen ist bei rechtsradikalen Übergriffen spitze
Hat ganz gut funktioniert. Anderswo in Sachsen weniger. Das muss man dem Mann, der hauptberuflich das Wahlkreisbüro der SPD-Bundestagsabgeordneten Simone Rath leitet, nicht zwei Mal sagen. Dramert kennt die Zahlen: Dass im Freistaat mehr als doppelt so viele Gewalttaten passieren wie in den anderen östlichen Bundesländern; Sachsen bei rechtsradikalen Übergriffen Spitze ist – bundesweit.
"Wenn ich daran denke, dass Kurt Biedenkopf als Ministerpräsident mal gesagt hat: 'Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus. Wir haben gar kein Problem.' Und wenn man auch jetzt die Argumentation der CDU anguckt: Der Ministerpräsident ist jetzt plötzlich hellhörig geworden, weil er Kritik aus anderen Ländern bekommt. Aber die CDU selber hat’s immer noch nicht kapiert, dass sie mit ihrer Art und Weise das zu verharmlosen, damit den Weg bereitet für diejenigen, die jetzt sagen: 'Näh, jetzt kann ich doch mal meine Meinung sagen.'"
Seine radikale Meinung. "Sachsen leidet seit Jahren unter einer hohen rechtsextremistischen Belastungsquote" – so sieht das der Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter. Ein gefährlicher Nährboden – findet auch Dramert.
"Wenn da Menschen irgendwie Handgranaten für Ausländer oder so was fordern – das sind einfach Momente: Dann muss ich mit denen nicht befreundet sein. Dann hat sich das für mich erledigt. So was is aber salonfähig geworden. Das is das, was mich so ärgert. Es is ganz selbstverständlich."
Dramert steht auf. Zeit zu gehen. Letztens war er in der Flüchtlings-Unterkunft oben am Ottendorfer Hang. Mit im Gepäck: 50 Ausgaben des Grundgesetzes. 25 auf Arabisch, 25 auf Deutsch. Er findet das wichtig: Die Neuankömmlinge zu informieren. Wie Deutschland so tickt. Sie zu bilden.
"Die Bildung ist die Voraussetzung, um Arbeit zu bekommen. Da bin ich halt mit dabei zu gucken: Was können wir machen? Was können wir liefern? Wie kriegen wir die Leute in Arbeit? Wie kriegen wir sie integriert? Weil bei Integration: Das sind einfach die zwei wichtigsten Sachen: Sprache und Arbeit."
"Christian Fürchte-Gott Gellert ... mit vollem Namen: Er wurde 1715 in Hainichen geboren. Herr Gellert hat sehr viele Fabeln geschrieben."
Deutsch-Unterricht per Stadt-Führung
Deutsch-Unterricht per Stadt-Führung: Josef Kellermann mag solche nicht ganz alltäglichen Lehrmethoden. Auch so ein engagierter Hainichener.
"Nur die Leute zum Doktor zu fahren, war nitt so meine Intention. Ich hab gesagt: Aufgrund meiner beruflichen Erfahrung ... ich hab ja über vierzig Jahre mit Orientalen zu tun gehabt ... würde ich eigentlich das versuchen wollen mit Deutsch-Unterricht."
Gelernt hat Kellermann das nicht.
"Ich habe mit Orient-Teppichen gehandelt. Ich hab sozusagen meine Perser mit Füßen getreten."
Erst in Kassel, nach der Wende dann in Dresden.
"Ich hab ein gewisses Verständnis, was diese orientalische Lebensweise als solche betrifft. Das man nicht unbedingt ... wenn man sagt, man hat um neun Uhr einen Termin, ja?! Dann kann es durchaus sein, dass es auch elf Uhr wird."
Drei Mal die Woche gibt Kellermann Deutsch-Unterricht. War ein Sprung ins kalte Wasser. Für alle Beteiligten.
"Am Anfang gab es auch durchaus mal Probleme – innerhalb der Syrer. Mit der Herkunft oder der Zugehörigkeit zu Volksstämmen. Sprich: Also Kurden. Oder dann auch noch Jesiden. Es sind keine großen Auseinandersetzungen gewesen, aber man hat die Spannungen gemerkt. Und ich hab den Leuten immer wieder gesagt: Als ihr in der Türkei an der Grenze gestanden habt und in das Boot gestiegen seid, habt a auch nicht gefragt: Is das nen Jeside? Is das nen Christ? Is das nen Moslem?"
Christ, Moslem, Atheist: Für Kellermann ist das alles eines. Er schaut zu einem seiner Schüler, Masigula. Wie viele seiner Schützlinge ist der junge Afghane vor dem Elend geflohen; der permanenten Unsicherheit, den Bomben. In Deutschland, hofft der Computer-Experte, wird es ihm besser gehen.
"At first we will make better German language … Als erstes will ich bei Meister Kellermann vernünftig Deutsch lernen. Wenn ich das geschafft habe, werde ich mich um einen Job kümmern – und selbstverständlich an die Regeln halten. Das bin ich Deutschland schuldig. Irgendwann will ich mich für diese Großzügigkeit revanchieren – und viel arbeiten. Zum Wohle Deutschlands."
Von Kabul nach Hainichen: ein langer Weg
Es war ein langer Weg für Masigula – von Kabul nach Hainichen. Der schlaksige Typ zuckt die Schultern. Er hat keine große Lust, darüber zu reden; wie die türkischen Behörden ihn und seine Familie drei Tage in einem Lager internierten; er die Überfahrt nach Griechenland fast mit seinem Leben bezahlen musste.
"In that day it was a lot of rain coming … Am Tag unserer Überfahrt hat es stark geregnet. Wir haben trotzdem übergesetzt: Meine Frau, unser ein Monate altes Baby und ich. In einem klapprigen Boot. Mit all den anderen. Gut zwanzig Meter vor der griechischen Küste ist das Boot leckgeschlagen – und gesunken. Wie durch ein Wunder haben wir es geschafft, uns ans Ufer zu retten. Danach waren wir erst einmal alle krank."
Geschichten wie Masigulas: Rami, dem syrischen Migrationshelfer, kommen sie allzu bekannt vor. War bei ihm selbst ja auch nicht viel anders. Es ist später Nachmittag geworden. Ein paar Minuten noch, dann schließt die Kontaktstelle für Flüchtlinge. Vor kurzem hat Rami ihre Website ins Arabische übersetzt. Aus Eigen-Initiative. Und kostenlos. Rami lächelt. Ist doch selbstverständlich. Er will helfen – und bei der Gelegenheit auch ein Zeichen setzen. Von wegen: Alle Asylsuchenden kommen nur wegen des Geldes nach Deutschland.
"Nur für die BMW. Oder blond girl. No! Isch komme to here to finde Arbeit. Isch nicht mache eine Problem mit anybody here. In Hainichen."