Flüchtlingshilfe

Ohne ehrenamtliche Helfer ginge es nicht

Man sieht eine Halle mit Regalen voller Kleidung und Helfer, die Kleidungsstücke sortieren.
Helfer sortieren Kleidung für Flüchtlinge © picture-alliance / dpa / Martin Schutt
Von Thilo Schmidt |
Ohne die ehrenamtlichen Helfer würde Deutschland die so genannte Flüchtlingskrise nicht bewältigen. Die freiwilligen übernehmen Aufgaben, die der Staat wohl nie stemmen könnte. Besonders gut funktioniert die Flüchtlingshilfe in Leipzig.
Sprechstunde für Flüchtlinge in der Zahnarztpraxis von Udo Wybories in Leipzig-Connewitz. Gerade zieht Zahnarzt Mussa Hassan einem syrischen Flüchtling einen Weisheitszahn. Hassan ist selbst aus Syrien geflohen. Seit März ist er in Udo Wybories' Praxis festangestellt – für die Behandlung der Flüchtlinge. 2014 kamen er und seine hochschwangere Frau in Deutschland an.
Ein weiterer syrischer Zahnarzt hospitiert gerade in der Praxis – die Voraussetzung, um in Deutschland approbiert zu werden. Eine Zahnarzthelferin ist Afghanin. In der Praxis werden sieben Sprachen gesprochen: Neben Deutsch auch Englisch, Spanisch, Persisch, Arabisch, Russisch und Kurdisch. Die zeit- und nervenaufreibende Suche nach Dolmetschern ist damit hinfällig. Für die Behandlung der Flüchtlinge erhält Wybories Honorare der Kommune.
Wybories: "Die Flüchtlinge haben ein Anrecht auf eine Not-Schmerzbehandlung. Und diese beinhaltet leider oft nur Extraktion, weil der Zustand der Zähne der Flüchtlinge, die zu uns kommen, durch die jahrelange Flucht und die hygienischen Bedingungen miserabel ist. Und so eine Zahnextraktion wird honoriert, aber: Egal wie lange man braucht, man kriegt ein Honorar. Ob man fünf Minuten an einem Zahn dranhängt oder eine Stunde, es ist das gleiche Honorar. Und, sagen wir mal, aufgrund dieser oft tief abgebrochenen Zähne braucht man eben viel mehr Zeit."
Strenggenommen ist das kein Ehrenamt. Jedoch: Wybories würde mehr verdienen, wenn er statt Flüchtlingen gewöhnliche Patienten behandeln würde.
Seinen Kollegen Mussa Hassan lernte Wybories übrigens als Ehrenamtlicher beim Leipziger Flüchtlingsrat kennen. In seiner Freizeit unterstützt er auch heute noch Flüchtlinge.
Etwa neun Millionen Deutsche engagieren sich für Flüchtlinge. Das ist die wohl größte Bürgerrechtsbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik. In Leipzig erfährt diese Bewegung Unterstützung von ganz oben: Oberbürgermeister Burkhard Jung steht von Anfang an auf der Seite der Ehrenamtlichen und engagiert sich wo er kann gegen asylfeindliche Bewegungen:
"Ich glaub', das ist ganz, ganz wichtig, dass man auch in Führungsverantwortung, in politischer Verantwortung, in gesellschaftlicher Verantwortung dann Bekenntnisse ablegt. Und sich auch vor Menschen stellt, die freiwillig, ehrenamtlich helfen. Die vor Ort sind, die Menschen willkommen heißen. Und wenn ich Sorge habe zu polarisieren, wenn ich Sorge habe ausgepfiffen zu werden, dann tu ich nichts. Und das ist vöööllig fatal. Und das verhilft natürlich, auf der Straße ein Gefühl zu erzeugen, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der Tat fremdenfeindlich oder zumindest sympathisierend mit diesen Einstellungen konform geht."

Sachspendenzentrale im Straßenbahndepot

Es sind 15 bis 20 Tonnen Sachspenden, die im alten Leutzscher Straßenbahndepot auf 1000 Quadratmeter lagern. Kostenfrei stellen die Leipziger Verkehrsbetriebe die Halle, die sie selbst nicht mehr benötigen, der Sachspendenzentrale zur Verfügung. Gegründet haben die Sachspendenzentrale Christoph Gräbel vom Flüchtlingsrat und der SPD-Stadtrat Christopher Zenker.
Zenker: "Wir haben am ersten Tag schon gemerkt, dass die Spendenbereitschaft enorm ist, und wir haben aber auch gemerkt, dass die Spenden nicht gleich verteilt sind. Über die Stadt. Also dass einige Einrichtungen halt wenig abbekommen, die am Stadtrand liegen, und die, die zentrumsnah liegen, viele Spenden abbekommen."
Überall stapeln sich Kisten in der alten Halle. Das Prinzip ist einfach: Die Heime und sozialen Einrichtungen können ihren genauen Bedarf durchgeben. Die Ehrenamtlichen packen das dann in Kartons zusammen und stellen es zur Abholung bereit. Spenden abgeben kann jeder: Gut erhaltene Kleidung, Kinderwagen, Hygieneartikel, Bücher oder Schulsachen. Hier kostet es nicht viel Überwindung, sich zu engagieren. Und es spenden auch Menschen, die eigentlich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sind, aber trotzdem irgendwie irgendwas tun wollen, sagt Christoph Gräbel.
"Wir haben viele Menschen, die hier tatsächlich auch zum ersten Mal bei der Abgabe von Sachspenden überhaupt mit der Thematik zu tun haben, und das ist eine dritte Aufgabe der Sachspendenzentrale, dass wir eben ein niederschwelliges Angebot haben für Leute, die sich doch irgendwie an diesen Herausforderungen – oder bei der Bearbeitung dieser Herausforderungen beteiligen wollen. Und jetzt aber nicht zwingend die sind, die 'Refugees Welcome' auf ein Schild schreiben und sich an den Bahnhof stellen."

Von 1000 registrierten Helfern waren 600 schon mal da

Es sind etwa 1000 Helfer, die sich als Ehrenamtliche bei der Sachspendenzentrale registriert haben. 600 von ihnen waren auch tatsächlich schon mal da. Aus allen Schichten, in jedem Alter. Auch Flüchtlinge selbst sind darunter. Und ein kanadisches Paar, das auf Sprachreise in Deutschland war, half mehrere Stunden täglich beim Sortieren. Aufgaben, die eigentlich der Staat zu erledigen hätte. Aber, so Christopher Zenker:
"Wenn man das alles nur ins Hauptamt verlagern würde, würde auch glaube ich ganz viel Empathie auch verloren gehen. Was auch in dem Thema von ganz wichtiger Bedeutung ist, dass die Leute auch das Gefühl haben, mit zu unterstützen bei der Sache."
Und wer sagt: "Wir schaffen das", der sollte dazu sagen, dass es vor allem auch "die" sind, die das Schaffen. Die neun Millionen Ehrenamtlichen.
Gräbel: "Er hat ja für viel Furore gesorgt, der Satz. Ein Problem war tatsächlich, dass die Kommunikation aus der Bundesregierung nicht so war, dass die Leute verstanden haben, was wir schaffen. Und dass es eigentlich für uns als große, europäische Wirtschaftsmacht auch gar keine Frage ist, ob wir das schaffen. Sondern es ist eine Frage des Anstands und der Menschlichkeit, dass wir es machen."
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