Abseits oder mittendrin?
Das Lernen im geschützten Raum der Willkommensklassen kann geflüchteten Kindern und Jugendlichen beim Start in der Schule helfen. Doch sie sollten schnell Kontakt zu einheimischen Schülern finden - sonst sind Integration und Lernerfolg gefährdet.
Lehrerin (schreibt): "Was steht hier?"
Schüler: "Ge-räusch - Ge… - Geräusch."
Lehrerin: "Ja, ein Geräusch, oder ..." (schreibt)
Schüler: "Viele Geräusche".
Lehrerin: "Viele Ge-räu-sche. Was ist denn ein Geräusch?"
Schüler: "Wenn man etwas riecht und es schmeckt lecker?"
Lehrerin: "Das ist ein Geruch. Wenn ich an dir rieche und sage, Khaled, du riechst gut, dann hast du einen guten Geruch."
Schüler: "Ge-räusch - Ge… - Geräusch."
Lehrerin: "Ja, ein Geräusch, oder ..." (schreibt)
Schüler: "Viele Geräusche".
Lehrerin: "Viele Ge-räu-sche. Was ist denn ein Geräusch?"
Schüler: "Wenn man etwas riecht und es schmeckt lecker?"
Lehrerin: "Das ist ein Geruch. Wenn ich an dir rieche und sage, Khaled, du riechst gut, dann hast du einen guten Geruch."
Seit 2015 haben deutsche Schulen schätzungsweise 320.000 junge Flüchtlinge aufgenommen. Im Eiltempo wurden bundesweit Sprachlernklassen, Vorkurse, Willkommensklassen eingerichtet. Um die Bildung der Geflüchteten zu sichern, berechneten die Bundesländer einen Mehrbedarf an 20.000 Lehrern und 2,3 Milliarden Euro jährlich.
Herausforderung für die Schule: Das Gepäck der geflüchteten Kinder
Anne Faber: "Das Bild, das in den Medien vermittelt wurde, gerade am Anfang, was ja ganz schön ist, dass da unfassbar viele gut gebildete Leute zu uns kommen und wir auch ökonomisch unmittelbar einen Mehrwert davon haben, das ist gut, dass dieses Bild gezeichnet wurde, das stimmt auch für viele, aber es stimmt für viele eben auch nicht."
Nina Hauer: "Man darf auch nicht vergessen, die, die jetzt kommen, sind ganz anders als die, die wir aus den Anfangszeiten 2014/2015 kennen. Die, die jetzt kommen, sind ein Teil der Gesellschaft, der länger geblieben ist in dieser Situation – warum auch immer, entweder weil's an Geld gemangelt hat, oder weil sie die Hoffnung hatten, es ist bald vorbei, oder weil sie aus einer sozialen Schicht kommen, wo man auch nicht so ohne weiteres nach Europa aufbricht. Fakt ist, die haben diesen Krieg schon viel länger erlebt als die anderen. Die kommen in einer ganz anderen Verfassung hier an als die Ersten, die auch Schlimmes erlebt haben."
Anne Faber: "Es kommen aus Syrien auch Schüler, die nur eine ganz rudimentäre Grundbildung hatten, richtige Analphabeten haben wir auch, die in ihrem Heimatland noch nie eine Schule besucht haben, vom Dorf aus Afghanistan kommen. Die können keine Tabelle lesen, die können keinen Stundenplan lesen, die können nicht die Uhrzeit lesen – da wird einem nochmal klar, wie voraussetzungsreich das ist, was wir hier machen."
Schule als Ort der Sicherheit und Stabilität
Lehrerin: "Das ist ein Geräusch."
Schüler: "Autos machen viel Geräusche."
Lehrerin: "Okay, Autos machen Geräusche. Was macht draußen noch Geräusche?"
Schüler: "Vögel und so. Menschen. Fast alles im Leben sind Geräusche."
Alesina: "Wir haben acht Mal versucht, mit diesem Schiff nach Griechenland fahren. Acht Mal wir haben versucht. Beim neunten Mal wir haben schon das geschafft."
Schüler: "Autos machen viel Geräusche."
Lehrerin: "Okay, Autos machen Geräusche. Was macht draußen noch Geräusche?"
Schüler: "Vögel und so. Menschen. Fast alles im Leben sind Geräusche."
Alesina: "Wir haben acht Mal versucht, mit diesem Schiff nach Griechenland fahren. Acht Mal wir haben versucht. Beim neunten Mal wir haben schon das geschafft."
Alesina bekommt Kopfschmerzen, wenn schulfrei ist
Schule ist für Kinder und Jugendliche, die ihre Kriegs- und Fluchterlebnisse verarbeiten müssen, die unter Umständen keinen stabilen familiären Rückhalt haben, die oft noch in beengten Verhältnissen in Flüchtlingsunterkünften leben, vor allem eins: ein Ort, an dem sie Stabilität und Sicherheit erfahren.
"Ich heiße Alesina. Ich komme aus Afghanistan. Ich bin 17 Jahre alt und ich bin in zehnte Klasse. Ich mag die Schule. Jeden Tag ich komme. Wenn die Ferien kommt, ich habe Kopfschmerzen, den ganzen Tag zuhause, was machst du? Schule ist besser als zuhause. Ich mag Schule."
Wenn Alesina im Unterricht fehlt, dann, weil er bei Behördengängen und Arztbesuchen für seine Eltern übersetzen muss. Als zweitältester Junge von acht Geschwistern trägt er viel Verantwortung. Alle, auch seine sechs Schwestern, gehen inzwischen in Deutschland zur Schule, die so ganz anders als in Afghanistan ist.
Alesina: "Die Lehrer waren nicht so nett zu uns, und die Unterricht war, wenn wir reden oder so, die Lehrer kommt und schlägt uns. Wenn wir kommen zu spät – nicht so wie Deutschland – sie kommt einfach, wenn du kommst zu spät, sie schlägt dich. Fragt sie nicht, warum kommst du zu spät und so. Einfach sie schlägt dich. Wenn du redest im Unterricht, dann sie kommt einfach, und sie schlägt. Und da habe ich gar nichts gelernt."
Das Modell: Extra-Klasse mit Teilintegration
Anne Faber: " Wenn Sie einen einigermaßen fitten Schüler haben mit einer einigermaßen lückenlosen Lernbiographie – also keine zu großen Lücken durch den Fluchtweg usw. –, wenn der in Syrien oder woanders auf eine gute Schule gegangen ist und wenn auch sonst alles gut ist, wenn der nicht so viele Probleme hat, nicht unbegleitet hier ist, in der Familie alles läuft – und das ist ja selten der Fall –, dann kann man mal so sagen: bis B1 anderthalb Jahre, würde ich sagen."
Anne Faber ist Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrerin an der Heinz-Brandt-Schule in Berlin. Eine Integrierte Sekundarschule, die – wie die meisten Schulen bundesweit – eine Extra-Klasse für Flüchtlinge aufgemacht hat.
Ein Großteil der Jugendlichen, die in jüngster Zeit nach Deutschland geflüchtet sind, lernen noch in den je nach Bundesland sogenannten Willkommens-, Sprachlern- oder Vorbereitungsklassen. In maximal zwei Jahren sollen die Jugendlichen den Sprachstand B1 erlangen, die Eintrittskarte zum Regelunterricht.
"Und da sind wir bei dem Problem letztlich, dass wir ja nicht nur die Schüler erfolgreich zum Abschluss führen sollen, die es sowie aus sich heraus schaffen, sondern wir wollen ja auch die erfolgreich integrieren, die vielleicht nur so mittelschlau sind oder viele Probleme hatten, nur einfache Schulen besucht haben. Und das sind viele."
Alesina hat inzwischen gelernt, was er in seiner Heimatsprache Dari nicht sicher kann: Lesen und Schreiben. Wie die meisten ist auch seine Willkommensklasse eine sehr heterogene Lerngruppe. Anne Faber hat für jeden einen Ordner mit Arbeitsmaterialien zusammengestellt, die aneinandergereiht im Regal stehen. Jeder Schüler, jede Schülerin holt sich seinen oder ihren Ordner und arbeitet eigenständig an den Aufgaben.
"Ich finde, das funktioniert sehr gut, also gerade bei den schwächeren Schülern, dass die lange, mit Muße an einem Thema arbeiten können, bis sie es verstanden haben. Sie müssen nicht immer an diesen SchülerInnen ziehen, und die Guten können halt weitermachen, die müssen Sie nicht ständig bremsen. Und zeitgleich ist es eben auch eine Vorbereitung auf dieses selbstständige Lernen, weil die SchülerInnen ja aus Systemen kommen, die sehr autoritär funktionieren."
Um gut in der Schule anzukommen und nicht ganz separiert von den deutschen Mitschülern zu sein, besuchen alle Flüchtlinge an der Heinz-Brandt-Schule wenigstens in den Fächern Sport, Kunst und Musik eine deutsche Regelklasse.
Alesina: "Am Montag ich bin um neun Uhr bei meine Stammgruppe, bei meine deutsche Klasse, und danach wieder mit Frau Faber, ich habe normale Unterricht. Nur am Donnerstag habe ich nicht mit Frau Faber. Am Donnerstag ich habe Kunst und Sport und Mathematik mit meine deutsche Leute, mit meine deutsche Klasse."
Willkommensklassen – geschützter Raum oder Beginn der Segregation?
Wie viele Schulen bundesweit dieses Modell der Teilintegration anwenden, ist nicht bekannt. In anderen Schulen lernen neu zugewanderte Schüler gar nicht mit einheimischen Kindern zusammen, sondern bleiben bis zum Übergang in eine Regelklasse unter sich.
Was leisten bundesweit Vorbereitungsklassen? Haben sie sich bewährt? Es fehlt an empirisch gesicherter Forschung.
Christoph Schroeder: "Das kann sein eine Art von geschütztem Raum. Und ich glaube auch, dass das für eine Reihe von Schülerinnen und Schüler am Anfang durchaus die richtige Lösung sein kann."
Christoph Schroeder ist Professor für Deutsch als Fremdsprache, bildet an der Universität Potsdam Lehrer und Lehrerinnen aus und arbeitet eng mit dem Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration zusammen.
"Ein Problem wird's eben, wenn die Schule das quasi als die Dauerlösung betrachtet, und wenn sie damit so umgeht, als wenn das eigentlich ein fünftes Rad am Wagen ist. Also da sehe ich ein Problem von so einer Parallelwelt, die sich aufbaut und die dann in eine Krise gerät, wenn die in die Regelklassen sollen."
Während die schnelle Inklusion angestrebt ist, können separierte Sprachlernklassen das Gegenteil bewirken: Wenn sie im Abseits stehen und vergessen werden. Wenn eine Perspektive an der Schule für die Sprachlernschüler fehlt. Wenn der spätere Übergang ins Regelsystem nicht schon früh eingefädelt und mitgedacht wird.
Aber müssen Flüchtlinge überhaupt in separierten Klassen lernen? In einem Flächenland wie Brandenburg werden neu zugewanderte Jugendliche sofort in die Regelklassen integriert, ganz einfach deshalb, weil es sich im ländlichen Raum bei vergleichsweise niedrigen Flüchtlingszahlen nicht lohnt, Extra-Klassen aufzumachen.
Christoph Schroeder: "Wir haben uns immer – und mit wir meine ich Kollegen oder den Bereich 'Deutsch als Zweitsprache' – sehr dagegen gewehrt, gegen das Modell: 'Schmeiß die in die Regelklassen und dann sink or swim'. Was Sinn macht, ist aber das Grundprinzip: Die sollen in die Regelklasse und kriegen bis zu zwölf Stunden Förderunterricht."
Go-in-Modell: Regelklasse plus Förderunterricht
An der Gesamtschule Schwerte geht man aus großer Überzeugung genau diesen Weg.
Lehrerin: "Guten Morgen!"
Schüler im Chor: "Guten Morgen zusammen!" (Danach Stille)
Lehrein: "Mensch, ist das ruhig. Okay, wir haben Freitag, und wir haben die dritte Stunde. Das heißt, wir haben unsere Kommunikationsrunde jetzt."
Schüler im Chor: "Guten Morgen zusammen!" (Danach Stille)
Lehrein: "Mensch, ist das ruhig. Okay, wir haben Freitag, und wir haben die dritte Stunde. Das heißt, wir haben unsere Kommunikationsrunde jetzt."
In Schwerte sind alle neu zugewanderten Schüler von Anfang an altersentsprechend in "ihrer" Regelklasse. Gleichzeitig ist in die Stundenpläne ein Förderstunden-Band eingezogen. Jeden Tag in der zweiten und dritten Stunde trifft man sich in der "Go-In"-Gruppe zum Deutsch-Förderunterricht, danach geht es wieder in die Klasse zurück.
Julia Recka unterrichtet im Go-In-Unterricht und ist eine Art Klassenlehrerin für alle neu zugewanderten Kinder.
Julia Recka: "Ja, sie fahren natürlich so ein bisschen zweigleisig, könnte man sagen, aber sie genießen das, glaube ich, zweite und dritte Stunde so ein bisschen unter sich zu sein, und auf der anderen Seite, gibt es ja auch ein ganz tolles positives Gefühl, wenn man merkt, ich bin jetzt in der Klasse.
Für uns ist das Integration, anders kann das nicht funktionieren. Ich sag immer, wir haben ja auch die Kinder mit Förderbedarf, die sind bei uns ja auch nicht separiert. Wir haben gesagt, es muss eine Möglichkeit geben, dass unser Motto hier, dieses gemeinsame Lernen, dass das nicht an Sinn verliert."
Schüler: "Fenster. Fernseher."
Lehrerin: "Einen Fernseher!"
Schüler: "Mein rechter rechter Platz ist frei, ich wünsche mir den Urlaub herbei."
Lehrerin: "Einen Fernseher!"
Schüler: "Mein rechter rechter Platz ist frei, ich wünsche mir den Urlaub herbei."
"Du schaffst das, haben die Mitschüler gesagt"
19 Kinder und Jugendliche der Jahrgänge fünf bis neun sind in der Go-In-Gruppe in Schwerte. Sie bringen die unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen aus ihren Heimatländern mit – aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Moldawien, Tschetschenien.
"Mein Name ist Mobina, ich bin in der fünfte Klasse, und ich bin zwölf Jahre alt."
Mobina ist in Afghanistan aufgewachsen. Wie ist das überhaupt für ein Kind, sich plötzlich in einer deutschen Schule mit überwiegend deutschen Mitschülern wiederzufinden, ohne viel zu verstehen?
Mobina: "Das ist eigentlich voll komisch. Man hat ja das Gefühl, die reden ja über dich, obwohl das überhaupt nicht stimmt. Die waren richtig nett zu mir. Die haben mir halt nie gesagt, ah, du hast das Wort falsch gesagt, du bist ein Ausländer oder so was. Die haben mir immer geholfen, haben gesagt, nee, du schaffst das, komm.
Am Anfang war's ja ein bisschen schwer, da hatte ich ja meine Nachbarin, die hat mir geholfen. Wo ich ein Wort nicht verstanden hab, konnte ich auch meinen Lehrer fragen, der war auch ganz nett. Aber meine Mitschüler konnte ich auch fragen. Alle sagen, ist egal, aus welche Land du kommst, Hauptsache, du bist ein nettes Mädchen."
Unheimlich hoher Kommunikationsaufwand zwischen allen Lehrern
Besonders die jüngeren neu zugewanderten Kinder finden in ihren Regelklassen schnell sozialen Anschluss. Damit sie aber auch den Lernstoff bewältigen können, braucht es gezielte Förderung. Und damit die Unterstützungsmaßnahmen möglichst wirksam sind, ist eine enge Abstimmung zwischen den Förderlehrerinnen in der Go-In-Gruppe und sämtlichen Fachlehrern nötig.
Julia Recker: "Und dann spricht man wieder mit den Fachkollegen, wir haben locker 10/12 unterschiedliche Mathematiklehrer, mit denen wir sprechen müssen. Das ist ein unheimlich hoher kommunikativer Aufwand, den wir hier betreiben müssen, nichtsdestotrotz, es geht gar nicht anders."
Kommunales Integrationszentrum ist Schaltstelle für Go-In-Modell
Flüchtlinge nach dem Go-In-Modell sofort in die Regelklassen zu integrieren geht auf eine kommunale Initiative des Landkreises Unna zurück. 15 Schulen im Umkreis arbeiten so. Das Kommunale Integrationszentrum in Unna ist die Schaltstelle, hier wird koordiniert, vernetzt, werden Fortbildungen angeboten.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung gab lediglich per Erlass die Losung aus: Integration sofort! Wie sie umzusetzen wäre, blieb den Schulen überlassen – bei natürlich knappen personellen und finanziellen Ressourcen. Woher jetzt die Lehrer nehmen, um den Go-In-Kindern, die es nötig haben, Förderunterricht in einzelnen Fächern zu geben?
"Es haben die Oberstufenschüler in dem Moment Hilfe angeboten und haben gesagt: 'Wir haben doch auch so viele Springstunden in unserem Stundenplan.' Und die haben dann versucht, das aufzufangen, wo wir unheimlich dankbar drum waren. Und das war auch noch mal eine ganz neue Erfahrung für die Kinder, die hatten dann jetzt einen coolen Freund aus der Oberstufe. (Gelächter)"
Mehr Geld und Ideen für Integration und gute Bildung
Christoph Schroeder: "Ich bin überzeugt, dass das alles lösbare Sachen sind. Aber es kostet mehr Geld, als man denkt. Und es kostet auch Nachdenken, und es kostet auch Energie, und es kostet auch Strukturen.
Und wir müssen's schon sehr deutlich sagen: Berlin ist in Bezug auf Ideenentwicklung und Ideenumsetzung – ich generalisiere jetzt ein bisschen, und einige werden sicherlich auch wütend werden – aber Umsetzung von Ideen der Verbindung zwischen den Willkommens- und den Regelklassen, in der Umsetzung ist Berlin meiner Ansicht nach hinter vielen anderen Bundesländern."
Anne Faber: "Das ist eben im Werden, dass wir versuchen, eben auch diesen Schulterschluss mit den Fachkollegen gebacken zu bekommen. Da bemühen sich die Kollegen auch sehr."
Anne Faber von der Heinz-Brandt-Schule in Berlin entlässt die SprachlernschülerInnen fächerweise und nach und nach in den Regelunterricht. Weil das Berliner Schulgesetz nur Ungefähres formuliert und keine genauen Angaben macht, entscheidet die Lehrerin individuell – je nach Begabung, Neigung und natürlich Sprachstand des Schülers. Dann wartet sie auf Feedback.
Alle Lehrkräfte konfrontiert mit sprachlich heterogenen Klassen
Was die plötzlich gestiegene Zahl an Flüchtlingskindern sehr deutlich macht: Die Anforderungen an Fachlehrer haben sich in einer heterogenen Einwanderungsgesellschaft gewandelt. Sprachbildung ist längst zu einer Querschnittsaufgabe für alle Lehrer in allen Fächern geworden.
Christoph Schroeder: "Wenn du einigermaßen neu studiert hast in Berlin, dann hast du mindestens ein Modul 'Sprachbildung' im Fach studiert. Das heißt, du hast eine ungefähre Ahnung davon, was sprachlich auf die Schüler zukommt, wenn du ihnen eine Aufgabe in der Physik, in der Mathematik oder in der Chemie stellst.
Und du hast auch eine ungefähre Ahnung davon, wie du ihnen Zugänge schaffst, damit sie sich diese Aufgabe besser erarbeiten können. Das heißt, es gibt durchaus Vorstellungen, Modelle, Ideen, Schulungen in Bezug auf die Frage, wie gehe ich binnendifferenziert in der sprachlich heterogenen Regelklasse in meinem Fach vor."
Besonders Gymnasien tun sich oft schwer, für nicht-deutschsprachige Kinder und Jugendliche einen Weg in das gymnasiale Regelsystem zu ebnen. Festgeschriebene Aufgabenformate und Vorgaben takten die Qualifikationsphase bis zum Abitur.
Man scheint an deutschen Gymnasien nicht eingestellt zu sein auf Schüler, die diese Hürden fachlich durchaus nehmen könnten, dabei aber sprachlich Unterstützung brauchen. Also werden viele Sprachlern-Schüler nach einem bis anderthalb Jahren aus den Sonderklassen wieder entlassen und an die Haupt- und Realschulen, Integrierten Sekundarschulen, Gesamtschulen, Oberstufenzentren oder Berufskollegs verwiesen. Dort soll man sich um ihre Bildungsabschlüsse kümmern.
Integration und Bildung der älteren Jugendlichen ist problematischer
Sozialarbeiterin: "Hallo!"
Alesina: "Wie geht‘s Ihnen?"
Sozialarbeiterin: "Mir geht's immer gut."
Alesina: "Das freut mich sehr!"
Sozialarbeiterin: "Bei Alesina geht uns immer das Herz auf. Ob's stürmt oder schneit, immer gute Laune. Bloß, wenn du mit T-Shirt so bei null Grad rumläufst, da krieg ich immer so, dass ich denke, oh Alesina! Aber jetzt bist du ja wetterentsprechend angezogen."
Alesina: "Wie geht‘s Ihnen?"
Sozialarbeiterin: "Mir geht's immer gut."
Alesina: "Das freut mich sehr!"
Sozialarbeiterin: "Bei Alesina geht uns immer das Herz auf. Ob's stürmt oder schneit, immer gute Laune. Bloß, wenn du mit T-Shirt so bei null Grad rumläufst, da krieg ich immer so, dass ich denke, oh Alesina! Aber jetzt bist du ja wetterentsprechend angezogen."
Zum Schuljahresende wird Alesina die Heinz-Brandt-Schule verlassen. Zu seinem großen Bedauern. Denn er hat sich dort sehr wohl gefühlt. Wenn es so etwas wie eine vorbildliche soziale Integration eines neu zugewanderten Siebzehnjährigen gibt, dann ist es die von Alesina. Auf den Fluren der Schule wird er von jedem und jeder freudig begrüßt.
Alesina: "Drei oder viermal ich war auf Klassenfahrten. Ich war ganz allein, die andere waren Deutsche. Ich habe oft, die zweite, dritte Tage, ich habe oft geweint. Ich habe gesagt, die sind alle Deutsche, ich bin ganz allein, was soll ich denn hier machen? Und dann die Lehrer hat mich genommen und gesagt, nein, du musst nicht weinen, ich weiß, das passiert manchmal so. Ich habe gesagt, mein Leben ist so, keine Freundin und so. Und dann hab ich eine Freundin gefunden. Sie heißt Lara. Sie war sehr nett. Und sie hat gefragt, woher kommst du, und ich habe gesagt, ich komme aus Afghanistan. Wir haben ein bisschen gesprochen und dann, sie hat mich genommen und gesagt, komm, wir gehen raus."
Alesina: "Hallo!" (Mehrere Mädchen kichern). "Ach so, ich wollt' mit dir reden."
Mädchen: "Ich wart jetzt nicht auf dich."
Alesina: "Bitte, bitte, bitte, Martina, bitte!"
Mädchen: "Beeil dich!"
Alesina: "Okay".
Mädchen: "Ich wart jetzt nicht auf dich."
Alesina: "Bitte, bitte, bitte, Martina, bitte!"
Mädchen: "Beeil dich!"
Alesina: "Okay".
Alesina wird in einen "Berufsqualifizierenden Lehrgang" wechseln, BQL genannt. Für die hohe Zahl jugendlicher Geflüchteter im Alter zwischen 16 und 21 Jahren sind BQLs in Berlin eine Art Standardlösung: Unterricht in allgemeinbildenden Fächern in Kombination mit Fachpraktika soll die Jugendlichen auf eine Ausbildung vorbereiten. Manche Geflüchtete in Alesinas Alter sind diesen Weg schon erfolgreich gegangen.
"Ich heiße Fatemeh. Seit zwei Jahre und drei Monate sind wir in Deutschland, und ich bin 18 Jahre alt. Ich hab zuerst meine Willkommensklasse besucht, nicht so lange, dreieinhalb Monate, und danach habe ich ein Jahr meine BQL-Klasse besucht. Ich habe in meine BQL-Klasse 'Bekleidung und Mode' die eBBR-Abschluss, also die mittlere Abschluss, die habe ich geschafft. Und jetzt bin ich in ein MSA-Klasse, Ich bereite mich in dem Moment auf die MSA-Prüfung vor, und bin ich auch sehr, sehr aufgeregt."
Fatemeh lebt mit ihrer Familie in einem Berliner Flüchtlingsheim. Im sechsten Stock eines Hochhauses bewohnen die Eltern und drei Kinder zwei Zimmer. Küche und Bad sind auf dem Flur und werden mit anderen Familien geteilt. Das ist ein großer Fortschritt, nachdem die Familie neun Monate lang in einer Turnhalle lebte, wo sie keine Ruhe fand.
Eine lange Fluchtgeschichte liegt schon hinter Fatemeh. Sie ist im Iran aufgewachsen, wohin die Familie aus Afghanistan floh und als geduldet lebte. 2016 flüchtete sie dann zu Fuß in die Türkei und über Griechenland nach Deutschland.
"Wir waren ungefähr 60 Leute in ein Boot. Das war sehr eng und sehr anstrengend. Als wir im Wasser waren, das Boot war kaputt, und da kommt viel Wasser rein. Das war total schwer für meinen kleinen Bruder, für meinen Neffen und meine Nichte. Ich hab die gesehen, dass die so schwer geweint haben. Also, wie sagt man, ich glaube, ich hab den Tod schon mal gesehen."
Für Fatemeh war die Willkommensklasse ein Schutzraum
Fatemeh war 16, als sie nach Deutschland kam. Anders als Alesina konnte sie zuvor immerhin fünf Jahre zur Schule gehen.
"Als ich in Willkommensklasse war, da habe ich viel Freunde, die ich noch mit Kontakt habe, kennengelernt: Eine kommt aus Afghanistan, eine kommt aus Syrien und eine kommt aus Tadschikistan. Und die Klasse war toll, und die Lehrerin auch. Das fand ich wirklich gut. Ich hab so gedacht: Wenn ich mit die Ausländer bin, schäm' ich mich nicht so viel, weil ich nicht so gut Deutsch kann. Und die konnten auch nicht so. Das war, ich glaub, besser für mich.
Und jetzt habe ich ja viele deutsche Mitschüler und Mitschülerinnen, und na ja, die sind auch gut, aber wenn man spricht und etwas falsch sagt, die lachen, und das finde ich nicht gut. Und deswegen, ich spreche gar kein Wort in die Schule. Aber wenn ich muss, dann ja, sonst nicht."
Verglichen mit anderen Flüchtlingen ihrer Altersgruppe ist Fatemeh in zwei Jahren weit gekommen, sie steht, zusammen mit ihren deutschen Mitschülern, vor dem MSA, dem "Mittleren Schulabschluss". Bei älteren Schülern gibt es mehr Probleme als bei Jüngeren. An manchen Schulen hat man deshalb begonnen, jugendliche Geflüchtete mit wenig oder gar keiner schulischen Vorerfahrung von den deutschen Mitschülern zu trennen.
Nina Hauer: "Wir haben in jeder Klasse mittlerweile ein oder zwei Geflüchtete. Wenn Sie da in die Regelklasse kommen, Sie würden den Geflüchteten nicht mehr finden. Der würde Ihnen vorkommen wie alle anderen auch. Wir haben aber auch welche, die darauf mit deutlicher Verunsicherung reagiert haben, und deshalb haben wir die Möglichkeit dieser einen Klasse, die aus ehemaligen Geflüchteten besteht."
Nina Hauer ist Schulleiterin der Bröndby-Oberschule in Berlin, eine Integrierte Sekundarschule mit einer kulturell durchmischten Schülerschaft, die die jahrzehntelange Zuwanderung in den Stadtteil widerspiegelt.
"Das sind traumatisierte Jugendliche. Manche sind nicht lernfähig gewesen, als sie hier ankamen. Und dann zu sagen: So, Leute, acht Monate Sprachlernklasse und dann ganz normal Regelklasse, das ist für viele Jugendliche nicht darstellbar, und wir gehen diesen anderen Weg, und ich finde, dass wir den mit großem Erfolg gehen."
Rückkehr zum alten Modell "Ausländerklasse"?
Ende 2017 erhielten 16 Berliner Schulen eine Sondergenehmigung, um geflüchtete Jugendliche durchgängig bis zum Schulabschluss separiert von deutschsprachigen Schülern zu unterrichten.
Auch die Bröndby-Oberschule ist dabei, geht allerdings beide Wege: Während jüngere, noch gut integrierbare Kinder zuerst Willkommensklassen und dann den Regelunterricht besuchen, bleiben in den "Willkommenklassen Plus" die geflüchteten Jugendlichen unter sich und erhalten in allen Fächern gesonderten Unterricht.
"Dieses Konzept hat sich aus unserer Sicht bewährt. Um auch einen Schonraum und eine Unterstützung zu bieten. Das machen wir ja für unsere Jugendlichen, die nicht geflüchtet sind, auch. Also die haben keine Extra-Klassen, aber auch da teilen wir mal eine Klasse, da nehmen wir mal einen Jugendlichen raus, der schwierige Lernumstände hat. Also dieses: Wir setzen jetzt alle in eine Klasse und alle müssen gleich funktionieren, das machen wir als ISS sowieso nicht, mit keinem Jugendlichen, egal wo er herkommt."
Christoph Schroeder: "Wovor ich Angst hab, ist, dass wir eine Wiederholung der 70er-, 80er-Jahre haben mit den Ausländerklassen. Weil, das ist wirklich für die meisten in diesen Klassen traumatisch geendet. Das muss man einfach so sagen. Die waren dauerhaft beschult als 'die Anderen', dauerhaft segregiert. Und das war Mist! Muss man einfach so sagen. Mist ist die Erfahrung, nicht dazu zu gehören. Mist ist oft auch die Sackgasse des Hauptschulabschlusses, in der das endet. Aber Mist ist vor allem die Parallelwelt."
Viele junge Flüchtlinge haben, obwohl ihr erster Schultag in Deutschland schon fast zwei Jahre zurückliegt, bisher kaum Kontakt zu Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund – so lautet ein Ergebnis der aktuellen Studie des "Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration". Denn insbesondere in städtischen Ballungsräumen bestehen viele Klassen inzwischen überwiegend aus Jugendlichen, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland zugewandert sind.
Schulen in sozialen Brennpunkten sehen sich mit Aufgaben überfrachtet, denen sie nicht mehr gewachsen sind. Eine Forderung des Sachverständigenrates lautet daher: Schulbehörden sollten künftig, bevor sie Flüchtlinge auf Schulen und Klassen verteilen, stärker berücksichtigen, wie sich die Lerngruppen vor Ort in sozialer, kultureller und sprachlicher Hinsicht zusammensetzen.
Diese Tendenz zur Segregation, die sich in der deutschen Schullandschaft seit Jahren abzeichnet, noch mit Sonderklassen für Flüchtlinge zu verstärken, hält auch Christoph Schroeder für falsch.
"Also ist Schüler Ahmed ab der sechsten Klasse in so einer Gruppe und bleibt der seine ganze Schulkarriere lang in so einer Gruppe, wird das irgendwann überprüft, ob das überhaupt noch Sinn macht, warum ist der da. Wenn das einfach so weiterläuft, jetzt haben wir die Klasse, jetzt läuft das so weiter, dann darf das nicht sein, das ist eine ganz klare Sache. Aber wenn man sagt, hier ist eine Krisensituation, und es macht Sinn, dass wir den ein halbes oder ein Jahr lang hier beschulen, dann holen wir ihn wieder rüber, dann ist das 'was anderes."
In der Bröndby-Oberschule ist der erste Jahrgang getrennt beschulter Flüchtlinge bis zur Berufsbildungsreife gekommen. Elf von dreizehn Schülern haben den Abschluss geschafft. Nun geht die Klasse geschlossen und gesondert wie bisher weiter. Schulleiterin Nina Hauer verbreitet Optimismus.
Nina Hauer: "Meine Prognose: Die sind genauso wie alle anderen Klassen auch. Da gibt es welche, die schaffen den MSA mit Bravour, gehen in die gymnasiale Oberstufe. Die meisten schaffen den, manche schaffen den eBBR, und ein ganz kleiner Prozentsatz schafft den Abschluss nicht. Aber auch die entlassen wir erst, wenn wir sicher wissen, da gibt’s keine neue Schleife, die wir noch mit dem drehen können."
Fatemeh: "Wenn ich die Prüfungen bestehen werde, dann werde ich lieber mein Abitur machen und die Schule weitermachen, aber wenn ich die Prüfung nicht bestehe, dann werde ich eine Ausbildung machen als Zahnarzthelferin."
Fatemeh konnte den vorgezeichneten Lebensweg verlassen
Ihre Präsentationsprüfung hat Fatemeh mit einer afghanischen Freundin zusammen vorbereitet und bereits erfolgreich absolviert. Für die junge Frau kommt künftig nur ein Beruf in Frage, in dem sie ihr Kopftuch tragen darf. Unvorstellbar, es abzulegen. Und doch hat sich Fatemeh in ihrem kurzen Leben in Deutschland schon ein Stück weit von ihrem Herkunftsland entfernt.
"Wenn ich in meine Heimat würde sein, müsste ich jetzt verheiratet sein und mit zwei und drei Kinder und ja, also die Mädchen, die in Afghanistan leben, müssen schon mit 15, manchmal 16 heiraten. Ich bin in Afghanistan geboren, und dann sind wir nach Iran geflüchtet. Und da konnte ich auch nicht, wie ich will leben und zur Schule gehen und einen Beruf machen. Deswegen, ich mag Deutschland, weil ich hier zur Schule gehen kann."