"Die Situation hat sich verschlimmert"
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Kaum Strom, kaum Toiletten: Nach dem Brand im Flüchtlingscamp Moria sei für die Menschen im neuen Lager auf Lesbos fast alles schlechter geworden, sagt Korrespondent Thomas Bormann. Die Coronabeschränkungen nähmen ihnen nun das letzte Stück Freiheit.
Stephan Karkowsky: Ganz kurz nur währte die internationale Aufmerksamkeit, als auf der griechischen Insel Lesbos das Flüchtlingslager Moria brannte vor zwei Monaten. Da wollten dann ganz viele erst mal helfen und die Menschen runterholen von den griechischen Inseln, paar Tage lang war das in allen Medien in vielen Schlagzeilen, am Ende aber wurde doch nur ein neues Lager gebaut für 7.500 Geflüchtete – ein Zeltlager. Dieses neue Lager hat sich gerade unser Griechenland-Korrespondent angeschaut.
Würden Sie sagen, jetzt also wieder alles beim Alten, oder hat sich durch das neue Zeltlager die Situation der Menschen vor Ort verbessert?
Bormann: Nein, die Situation der Geflüchteten hat sich bestimmt nicht verbessert, sondern in den meisten Punkten verschlimmert. Besser geworden ist nur eines, nämlich die Sicherheit. Früher in dem Lager Moria – das Lager Moria war ja praktisch aus seinen Grenzen herausgewuchert in die Umgebung hinein. Dort hatten sich die Geflüchteten dann Hütten gebaut, haben in Campingzelten übernachtet, und dort gab es keinen Sicherheitsdienst, dort herrschte das Gesetz des Dschungels. Es gab da immer wieder gewalttätigen Streit zwischen Gruppen aus verschiedenen Ländern, und Frauen hatten sich nachts dort nie gewagt, zur Toilette zu gehen, weil sie Angst hatten, überfallen zu werden.
So war es in Moria, das ist jetzt in diesem riesigen geordneten Zeltlager besser. Da ist viel Polizei, da wurden die Geflüchteten auch nach nationalen Gruppen sortiert praktisch angesiedelt, also das ist besser. Aber fast alles andere kann man sagen, ist schlechter geworden. Die Leute frieren dort, weil diese Zelte nicht beheizt sind, es gibt so gut wie überhaupt keinen Strom, das heißt, ab 17 Uhr, wenn die Sonne untergeht, leben die 7.500 Menschen dort in Dunkelheit. Es gibt kein warmes Wasser, die wenigen Duschen, die es gibt, haben nur kaltes Wasser. Viele der Geflüchteten waschen sich dort mit Meerwasser, denn das Zeltlager liegt direkt am Meer, dadurch ist es aber auch den Herbststürmen ausgesetzt. Ich hab mit einigen der Lagerbewohner gesprochen, und praktisch alle haben mir gesagt, Moria war die Hölle, aber das jetzt, das ist noch mal ein Stück schlimmer.
Karkowsky: Wie ist die Toilettensituation, die sanitären Anlagen?
Bormann: Es gibt praktisch nur solche Chemietoiletten, so Toilettenhäuschen am Rand des Lagers, und wenn da 7.500 Menschen sind, dann ist es natürlich schwierig bis unmöglich, die irgendwie sauber zu halten. Richtige sanitäre Anlagen, WCs mit Wasserspülung, die gibt es in diesem neuen Lager nicht.
"Für die Bewohner dort ist es wirklich furchtbar"
Karkowsky: Jetzt im Herbst wird es nachts auf Lesbos so elf, zwölf Grad kalt, bald aber kommt der Winter. Was dann?
Bormann: Die Regierung sagt, wir machen das Lager winterfest, aber man kann sich überhaupt nicht vorstellen, wie das funktionieren soll, denn wie soll man Zelte heizen? Man kann ja schlecht da irgendwie Heizlüfter ins Zelt stellen, die Zelte sind auch nicht isoliert. Die Menschen sind dort den Herbststürmen ausgeliefert, und sie sagen auch, wir frieren. Dazu kommt, dass zwar vor zwei Monaten versprochen wurde – und viele EU-Länder haben auch geholfen und haben gesagt, wir schicken Feldbetten nach Lesbos –, aber die große Frage ist, die stellen sich dort auch Hilfsorganisationen, wo sind denn diese Feldbetten.
Praktisch keiner der Geflüchteten hat ein Bett in dem Zelt, die schlafen alle auf Decken und Matratzen auf dem Boden. Die Zelten wurden ja praktisch – da wurde Kies aufgetragen auf den Erdboden, damit es irgendwie eben ist, und darauf wurden große Zelte gestellt. In jedem Zelt leben etwa acht Personen. Diese Zelte haben keinen Boden, der vor der Kälte isoliert, sondern die Menschen liegen dort auf Matten, auf Matratzen, direkt auf dem Boden.
Und wenn es regnet, das ist ja am Anfang passiert, dass dann das Wasser auch in die Zelte gelaufen ist, einige Zelte sind richtig überschwemmt worden. Da hat die griechische Armee inzwischen einige Gräben gezogen, um so eine Art Drainage, so eine Art Regenabfluss zu bauen. Deshalb stehen jetzt nach einem Regen nicht mehr so viele Zelte unter Wasser, aber es passiert immer noch. Für die Bewohner dort ist es wirklich furchtbar.
Karkowsky: Unmittelbar nach dem Brand vor zwei Monaten gab es ja international eine große Hilfsbereitschaft. Die Leute waren geschockt von den Bildern, die man gesehen hat von Lesbos. Haben Sie einen Überblick, wie viele Menschen überhaupt nach dem Brand aufs Festland durften oder sogar in andere Länder?
Bormann: Ja, es sind ungefähr 2.500 Personen von der Insel Lesbos aufs Festland oder auch in andere Länder gebracht worden, es durften aber nur Personen die Insel verlassen, deren Asylverfahren tatsächlich schon zu Ende war. Die griechische Regierung hatte ja damals die Befürchtung, dass Flüchtlinge auch in anderen Lagern Feuer legen könnten, weil das die Möglichkeit sein könnte, dann endlich diese schrecklichen Lager und die Insel verlassen zu können.
Es ist für die griechische Regierung klar, dieses Feuer in Moria wurde von einigen der Geflüchteten selbst gelegt, es war Brandstiftung mit dem Ziel, endlich rauszukommen aus dieser Hölle von Moria. Die griechische Regierung hatte gesagt, wir belohnen Brandstiftung nicht, das heißt, die Leute müssen auf der Insel bleiben, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist. Nach Deutschland sind inzwischen etwa 900 Flüchtlinge von griechischen Inseln gekommen, bei allen ist das Asylverfahren inzwischen abgeschlossen oder sie sind unter 18 Jahre alt und ohne Eltern unterwegs, also die sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge.
Es gibt noch Programme, um noch einige weitere Hundert Flüchtlinge rauszuholen, aber ansonsten ist auch Griechenland da quasi im Stich gelassen. Die Asylverfahren werden zwar jetzt immer schneller bearbeitet, und wer das Asylverfahren durch hat und Asyl bekommt, kommt aufs griechische Festland, aber viele Flüchtlinge stecken inzwischen auf dem griechischen Festland fest und wissen nicht, was sie machen sollen. Da hofft die griechische Regierung, dass es mehr Solidarität von anderen EU-Ländern gibt, um die dann aufzunehmen.
Die letzte kleine Freiheit durch Corona genommen
Karkowsky: Griechenland galt ja sehr viel länger als corona-sicher als andere deutsche Urlaubsziele, wurde also nicht so früh zum Risikogebiet erklärt. Jetzt gelten aber auch in Griechenland überall strikte Ausgangsbeschränkungen. Wie wirken die sich denn aus auf das Lagerleben?
Bormann: Ja, sehr heftig. Auch das Lager Kara Tepe, dieses neue Lager, dieses mit den 7.500 Personen auf der Insel Lesbos, für dieses Lager gilt auch eine Ausgangssperre. Als ich dort war auf Lesbos am vergangenen Wochenende, am Freitag galt sie noch nicht, da durften die Geflüchteten zumindest tagsüber rausgehen.
Direkt neben dem Lager, so ungefähr zehn Gehminuten weg, ist der größte Supermarkt der Insel Lesbos, ein großer Lidl-Markt mit einem riesigen Parkplatz. Und dieser Parkplatz von Lidl auf Lesbos, der war so eine Art Kommunikationszentrum für viele Geflüchtete. Dort trafen sie sich in irgendwelchen windgeschützten Ecken auf dem Parkplatz, und dort konnte ich dann auch mit Geflüchteten reden.
Die sagten, hier ist es wenigstens abends auch hell, hier können wir hingehen, hier können wir von den 75 Euro, die das UNHCR jedem Geflüchteten im Monat gibt, uns etwas zu essen kaufen, weil das Essen im Lager ist kaum genießbar, sagen sie. Also das war die kleine Freiheit, die sie hatten, dass sie dort sozusagen zum Lidl-Parkplatz spazieren konnten, und diese kleine Freiheit ist jetzt auch genommen, sie dürfen das Lager nicht mehr verlassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.