Flüchtlingslager in Nigeria

Ein kleines bisschen Zuversicht

Kinder halten in Abuja in Nigeria, im Lager für Binnenflüchtlinge New Kuchigoro, selbst gemalte Schilder mit der Aufschrift "Wir schaffen das" hoch, bevor der Bundespräsident kommt.
Kinder halten in Abuja in Nigeria, im Lager für Binnenflüchtlinge New Kuchigoro, selbst gemalte Schilder mit der Aufschrift "Wir schaffen das" hoch, bevor der Bundespräsident kommt. © picture alliance / dpa /Wolfgang Kumm
Von Thielko Grieß |
"Wir schaffen das" – Kinder halten dem Bundespräsidenten bei seinem Besuch in Nigeria zur Begrüßung dieses Schild entgegen. Joachim Gauck besuchte in der Hauptstadt Abuja ein Flüchtlingslager, in dem Menschen leben, die vor der Terrorgruppe Boko Haram geflohen sind.
Der kleine Junge steht in der Sonne und versteht nicht so recht, was um ihn herum passiert. John Flowers heißt er, elf Jahre alt ist er. Die Erwachsenen haben ihm gesagt, er soll ein Schild malen. Mit drei deutschen Wörtern darauf. Dieses Schild hält er nun in beiden Händen vor seine Brust:
"Wir, schaffen, das"
Wir schaffen das – nach jedem Wort hat John ein Komma gesetzt und darunter noch einen Apfel, eine Katze und einen Skorpion gemalt. Einfach so. John Flowers ist nicht allein: Neben ihm stehen noch fünf, sechs weitere Kinder, die alle ein Schild mit demselben Satz halten, dem Angela-Merkel-Satz.
"Okay, jetzt sage ich den Kindern mal guten Tag."
Es kommt nun aber jemand anderes auf John zu, aus Sicht von John Flowers ein freundlich lächelnder Herr, graue Haare, schicker Anzug: Bundespräsident Joachim Gauck. Eine Menge Sicherheitsleute bilden um ihn herum eine Traube, die sich ohne lange Pausen auf einem genau vorgeplanten Weg durch den roten Staub durch dieses Flüchtlingslager schiebt. New Kuchigoro, vor den Toren der nigerianischen Hauptstadt Abuja.
"Wenn man eine Schultür öffnet, man schließt eine Gefängnistür. Wenn man diese Kinder einfach sitzen lässt und nichts macht, dann sind sie perspektivlos und gelangweilt."
Lionel Ullrich sagt das. Sie ist 37 Jahre alt.
"Ich bin aus Aachen".
Und selbst in der heißen Sonne Nigerias, inmitten der Flüchtlinge, fällt ihr ein, was für ein Tag gerade ist: Aschermittwoch.
"Ich schicke ein Alaaf zurück nach Deutschland".

"Wir schaffen das!"

Ullrich arbeitet ehrenamtlich in diesem Lager. Sie haben eine Schule aufgebaut, um wenigstens die Kinder im Grundschulalter zu unterrichten. In Klassen von 60. Die Zelte, die Schutz vor Sonne oder Regen bieten, kommen aus Deutschland. Das mit dem "Wir schaffen das" auf den Schildern war ihre Idee.
"Wenn jeder ein bisschen von sich gibt, dann ist, wo ein Wille ist, auch eine Lösung. Das ist sicher, dass wir das schaffen können, mit der Armut, mit dem Terrorismus, mit der ganzen Flüchtlingswelle."
Die Flüchtlinge in Nigeria sind Nigerianer. Vertrieben von den Boko-Haram-Islamisten. Wer hier ist, hat noch Glück: Er hat überlebt. Aber der Staat kümmert sich so gut wie nicht, dieses Lager betreiben private Organisationen.
Wie viele Menschen hier leben, weiß keiner genau zu sagen. Mehr als 2.000 werden es wohl sein, darunter 310 Schulkinder und noch viel mehr Kleinkinder. Sie leben in kleinen Hütten.

Flucht vor Boko Haram

"Ganz ehrlich: Ich bin total frustriert. Schauen Sie mich doch an?"
So bricht es aus einem Mann heraus, der sich als Marc vorstellt. Er steht etwas entfernt von der bundespräsidialen Besuchstraube und beobachtet die Szene. Das ist also "Germany's President"? Das wusste er nicht, ist aber auch nicht so wichtig. Er erzählt vom Überfall durch Boko Haram vor zwei Jahren.
"Sie kamen eines Tages, sie haben unsere Häuser angezündet, alle abgeschlachtet. Jeder, der noch konnte, hat seine Füße in die Hand genommen und ist weg. Und jetzt können wir nirgendwo hin."
Zwei Freunde stehen neben Marc und nicken bestätigend. Sie alle sind aus Borno geflohen, einem Staat im Norden Nigerias. Das ist die Gegend, in der sich in dieser Woche zwei Selbstmordattentäterinnen in einem Flüchtlingslager wie diesem in die Luft gesprengt und fast 60 Menschen getötet haben.
"Glauben Sie mir, ich kann Ihnen nicht sagen, wo meine Familie ist. Ich weiß es einfach nicht."
Seine Frau, seine sechs Kinder – zu ihnen hat er seit seiner Flucht keinen Kontakt mehr.
Vielleicht 50 Meter entfernt schildert der Bundespräsident seine Eindrücke:
"Mir ist sehr wohl bewusst, dass ein solcher Besuch ambivalent ist. Wenn wir wohl genährt und gut gekleidet hier herkommen, dann möchte man manchmal gar nicht da sein. Und trotzdem ist es wichtig, dass wir uns zumuten, die Zustände wahrzunehmen, wie sie wirklich sind."

Es fehlt an Vielem

Es fehlt hier nicht an allem, aber an Vielem. Gesundheitsversorgung? Nicht regelmäßig. Toiletten? Die Plumpsklos am Rande des Geschehens sind zum Überlaufen voll.
Gauck: "All das sage ich, um vielleicht Menschen in Deutschland einzuladen, das, was sie schon oft getan haben, nämlich zu helfen über die großen Hilfswerke der Kirchen und Sozialverbände, dies weiter und intensiv zu tun."
Langsam begibt sich Joachim Gauck wieder zu seiner Limousine. Viele Flüchtlinge winken hinterher.
John Flowers wird wohl bald mit dem Fußball spielen, den Gauck dagelassen hat. Und Marc, der Mann, der seine Familie vermisst? Wird das auch morgen noch tun.
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