Gerhard Richter nennt Willkommenskultur verlogen
Der in Köln lebende Künstler Gerhard Richter hat die deutsche Flüchtlingspolitik kritisiert. Wenn ihm von der Bundeskanzlerin gesagt werde, er müsse jetzt alle willkommen heißen, dann sei das gelogen, sagt Richter in einem Video-Interview.
Am Dienstag machte der 84-jährige Künstler Gerhard Richter Schlagzeilen – aber nicht mit einer neuen Ausstellung oder einem Rekordpreis für eins seiner Bilder. Die Aufregung entstand durch sein Interview mit einem Kurator, das als knapp zehnminütiges Video auf der Website des dänischen Museums Louisiana abzurufen ist und von den Kunstmagazinen "Monopol" und "Art" verbreitet wurde. Richter äußert sich darin zu künstlerischen Fragen, aber auch sehr explizit zur deutschen Flüchtlingspolitik.
Das Louisiana Museum of Modern Art ist das wichtigste dänische Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Es liegt 35 Kilometer nördlich von Kopenhagen am Öresund in der Ortschaft Humlebæk. Eine Ausstellung mit Werken von Gerhard Richter gibt es dort nicht; das Interview "In Art We Find Beauty and Comfort" erscheint im Video-Channel des Museums in einer Reihe von ähnlichen Gesprächen mit bekannten Künstlern aus aller Welt.
Der in Köln lebende Maler nennt in dem Gespräch den Begriff "Willkommenskultur" verlogen und unnatürlich. Zu Angela Merkels Satz "Wir schaffen das" sagt Richter: "Das sind keine Wörter." Flüchtlinge seien in Deutschland nicht willkommen. Wenn ihm gesagt werde, er müsse jetzt alle willkommen heißen, dann sei das gelogen. Er habe nie etwas gegen Ausländer gehabt, lade aber nur Menschen zum Essen ein, die er kenne – "egal, ob das jetzt ein Neger ist oder ein Däne."
Zu Besuch in Richters Studio
Das Interview hat die Anmutung eines harmlosen Werkstattgesprächs, das einen der berühmtesten bildenden Künstler der Gegenwart über sich und die Welt räsonieren lässt. Geführt hat es der dänische Kurator Anders Kold im September in Gerhard Richters Studio in Köln. Man bekommt auch ein paar Einblicke in dessen Atelier, sieht Pinsel und Farbtöpfe, umspült von sanfter Klaviermusik. Der Maler sitzt vor einem seiner vielfarbigen "Strips" und reagiert auf Stichwörter oder Fragen seines unsichtbaren Besuchers, der ihn vertraulich duzt.
"Ich bin ja richtig Kind meiner Zeit. Und das war auch für mich immer anregender als irgend eine Meinung." So beginnt Gerhard Richter, geboren 1932 in Dresden, seine unverblümte Reflexion:
"Ich bin fasziniert vom Zufall, weil es ist ja fast alles Zufall. Wie wir beschaffen sind, warum ich nicht in Afrika geboren bin, sondern hier. Alles Zufall. Na gut."
Afrika? Ist das schon ein Anklang dessen, was Richter später über "Neger" loswerden will?
Unterhaltung und Sensationen
Der Kurator Anders Kold hat jedenfalls eine Agenda. Er stellt Suggestivfragen wie "Schönheit ist ja ein anderes Konzept. Ist das verloren?" Oder auch: "Schönheit und Trost, brauchen wir das?"
Gerhard Richter begibt sich bereitwillig auf die kulturpessimistische Bahn:
"Nach wie vor ist das ein Ideal für mich, Schönheit. Ich kann da auch nichts Schlechtes finden. Schönheit wird ja diffamiert. In der Mode, Models sind schön, das stimmt ja alles nicht, die sehen ja sehr doof aus." Und dann: "Im Moment ist das nicht angesagt, Schönheit brauchen wir nicht, wir brauchen Unterhaltung, Sensationen. (…) Wir wollen konsumieren."
Richter erzählt vom Isenheimer Altar in Colmar, bringt ein Zitat Thomas Manns über die heiter-demokratische Zukunft der Kunst, spricht von Ornamenten und Assoziationen, Verdopplung und Verkleinerung … - doch etwas unvermittelt biegt er wieder auf die betrübliche Gegenwart ein:
"Das passt in die Zeit. Das stirbt ja weg, Erinnerung. Durch die Massenhaftigkeit von Fotografie und von Bildern. Das ist ja undenkbar. Wir brauchen uns auch nicht erinnern, weil wir Computer haben. Wenn ich meine Kinder sehe mit dem Handy, die kriegen ja alles gesagt. Alles. Und alles gezeigt, jedes Bild, tausende."
Eine ungeheure Umwälzung
So weit, so gut. Nichts, was man einem 84-jährigen Mann mit diesem gewaltigen Horizont nicht zugestehen würde. Doch bei 6:46 Minuten in diesem Video will der Interviewer Anders Kold politisch werden – und es gelingt ihm. Er fragt: "Du bist und bleibst auch ein Maler aus Deutschland. Geschichte und Gegenwart haben für dich stets eine große Rolle gespielt in verschiedener Weise. Wie blickst du heute auf dieses Land?"
Richter antwortet: "Es hat eigentlich die gleichen oder ähnliche Probleme wie jedes Land heutzutage im Moment. Jedes Land hat Probleme mit dieser ungeheuren Umwälzung…"
(Die englischen Untertitel, die Richters Statements übersetzen, schmücken den letzten Satz großzügig zur "Flüchtlingswelle" aus: "Every country has problems with this huge wave of immigration".)
"... und ich bin da halt ein bisschen skeptischer als Frau Merkel, die da sagt: 'Wir schaffen das'."
Wen er zum Essen einlädt und wen nicht
Nun folgen die Zitate, die den Wirbel verursacht haben. Gerhard Richter kommt in Schwung:
"Zum Beispiel die Parole von der Willkommenskultur, die wir eingeführt haben mit unserem Präsidenten. Die ist so verlogen. Das ist unnatürlich. Wir sind Flüchtlinge nicht willkommen. Ich habe noch nie was gegen Ausländer gehabt. Aber wenn mir gesagt wird: 'Du musst jetzt alle willkommen heißen', dann ist das gelogen. Ich nehme die nicht zum Essen, sondern nur die ich jetzt kenne. Egal, ob das jetzt ein Neger ist oder ein Däne."
Dazu zeigt Richter dem Interview-Partner und der Kamera ein breites komplizenhaftes Lachen.
Anders Kold hakt – auf Gauck und die kritisierte Willkommenskultur zielend – zur Bekräftigung nach: "Das ist eine Art politische Correctness?"
Gerhard Richter: "Ja. Ja. Und 'Wir schaffen das', das ist meine tiefste Überzeugung, das sind keine Wörter. Aber ich will nicht über Merkel hier reden!"
Er wollte nicht über Merkel reden, aber im aufwändig produzierten Film des dänischen Museums ist genau das zu hören und zu lesen. Keine Schnitte – von denen es in dem Video einige gibt – haben diese Passage getilgt und Gerhard Richter damit vor der absehbaren Aufregung geschützt. Offensichtlich wollte der Kurator Anders Kold dessen Aussagen zur deutschen Flüchtlingspolitik in dem Ateliergespräch so präsentieren. Ob aus politischem Kalkül, aus der Lust an vermeintlicher Inkorrektheit oder nur, um Aufmerksamkeit für das Louisiana Museum zu erzeugen – das ist fraglich.
Das sagen unsere User zu Richters Äußerungen
Deutschlandradio Kultur war das erste Medium, das Gerhard Richters Interview im Video-Kanal des Louisiana Museums online zur Diskussion stellte.
Die Debatte unserer Hörer und Leser auf Facebook ist vielfältig und angeregt. Hier eine Auswahl aus über hundert Kommentaren:
Michaela Franz: "Er ist sicher ein großartiger Künstler, aber Sätze die mit 'ich habe nichts gegen Ausländer, aber...' anfangen fand ich schon immer recht hohl. Was für Ausländer und wieso will er sich rechtfertigen?"
Roman Leander: "Was ist das denn für eine Gegenüberstellung? Niemand sagt, dass er persönlich alle willkommen heißen muss. Er soll ihnen lediglich respektvoll gegenübertreten, so wie allen anderen Menschen auch, besonders, wenn sie schwere Zeiten durchgehen."
Anita Schönberg: "Ich wusste nicht, dass die Willkommenskultur irgendwo von mir gefordert hat, alle Asylbewerber bei mir zum Essen einzuladen oder alle Asylbewerber zu mögen. Kann mir außerdem bitte jemand erklären, welche Nationalität Neger haben? "
Heike Pohl: "Hat ihm jemand erklärt, dass es nicht um Ausländer im Allgemeinen geht, sondern um Menschen, die sich - zwischen allen Grenzen zerrieben - auf der Flucht befanden? Und hat ihm auch jemand erläutert, dass wir ein Asylrecht haben?"
Johannes Gabriel: "Da hat Richter volkommen Recht. Ich helfe zwar Flüchtlingen, aber deshalb sind mir längst nicht alle Ausländer willkommen. Und wem alle Ausländer willkommen sind, der sollte sich mal untersuchen lassen. Mir sind übrigens auch längst nicht alle Inländer willkommen - zum Beispiel die, die das halbe Volk zu Nazis abstempeln. Oder die, die gegen alle Ausländer sind."
Julia Unseld: "Gerhard Richter ist ein herausragender Künstler. Warum er deswegen einen besonders klaren oder beachtenswerten Blick auf die politischen und sozialen Themen unserer Zeit haben soll, entzieht sich meinem Verständnis. Sicher stand vor allem die Popularität seines Namens im Fokus des Interviewers."
Gaspar Mahtab: "was für ein aussagekräftiges interview mit einem künstler, dessen kunst ich schätze aber nun mehr als äußerst langweilige und gestrige ('neger'!) persönlichkeit empfinde. die aussagen die seine oberflächlichkeit entlarven, sind sicherlich gleichzeitig auch die stärke seiner kunst: pure ästhetik."
Christian Marienthal: "Er kann nichts dafür. Er ist in Dresden geboren."
Wolfgang Kemmann: "Alle Gutmenschen und Haupt und Nebenberuflich Betroffene in den Empörung Modus gebracht. Erstaunlich da die Künstler Rige ja ansonsten permanent auf Opfersuche ist und sich selber als heilsbringer verkauft. BRAVO Herr Richter! Kein Mainstream Gesültze! Und nachplappern der veröffentlichen Meinung."