Eine Koalition der Schande
Mit ihrer Flüchtlingspolitik verletzten Großbritannien, Ungarn, Tschechien und andere Länder Europas Menschenrechte, kommentiert Peter Lange: Dabei zählten sie zu den Mitverursachern des Flüchtlingselends. Denn sie alle gehörten zu den willigen Vasallen der USA im Irak-Krieg.
"Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen." So schlicht und nobel steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Und weist zugleich auf die schändliche Art und Weise, wie in einigen europäischen Ländern mit Menschen umgegangen wird, die ihre Heimat verloren haben. Ungarn und andere Länder Mittel- und Osteuropas machen sich nicht nur einen schlanken Fuß. Sie verletzen und verraten grundlegende Menschenrechte. Und die Flüchtlingszüge dieser Woche als ein Problem zu bezeichnen, dass sich die Deutschen selbst aufgeladen hätten mit ihrer ach so menschenfreundlichen Politik, ist ebenso töricht wie perfide.
Ein Riss, noch schwerer zu kitten als der zwischen altem und neuem Europa
Perfide, weil gerade diese Länder zu den tatbeteiligten Mitverursachern des Flüchtlingselends gehören, das im Irak und in Syrien seinen Ausgangspunkt hat. Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei und die baltischen Staaten und vorneweg Großbritannien – sie alle gehörten 2003 zu den willigen Vasallen der USA, die das Abenteuer der Irak-Invasion mitmachten – politisch und auch militärisch. Aber mit den verheerenden Spätfolgen wollen gerade sie heute nichts zu tun haben – mit der Destabilisierung und Zerstörung der ganzen Region, mit dem Entstehen der Terrormiliz IS, die marodierend und mordend durch Syrien und den Irak zieht. Das ist die eigentliche und unerträgliche Schande. Und wenn die betreffenden Regierungen nicht bald beidrehen und sich besinnen, dann wird daraus ein Riss, der noch schwerer zu kitten sein wird als der von damals, zwischen dem alten und dem neuen Europa.
Wieso gibt es keine Stipendienprogramme für syrische Studenten?
Das Flüchtlingselend geht alle Staaten an, und die meisten von ihnen bleiben unter ihren Möglichkeiten. Das mindeste wäre, das der UNHCR endlich das Geld bekommt, das ihm von den Staaten zugesagt wurde. Tatsächlich hat er nur ein Drittel erhalten. Abgesehen davon bleibt die Frage: Warum müssen die Menschen aus Syrien ihr Leben riskieren, um überleben zu können? Oder ganz konkret gefragt: Warum zum Beispiel gibt es kein international koordiniertes Programm, mit dem syrische Wissenschaftler mit ihren Familien an ausländische Universitäten geholt werden können? Wieso gibt es keine Stipendienprogramme für syrische Studenten? Weshalb gibt es keine Affidavit-Regelungen wie in den USA in den 1930er Jahren: Wenn jemand im Gastland zusagt, für den Unterhalt eines Flüchtlings aufzukommen, dann bekommt der ein Visum und kann einreisen. Wieso ist das internationale Arbeitsamt nicht längst zu einer Vermittlungsagentur ausgebaut worden?
Alle Freihandelsabkommen sollten uns gestohlen bleiben
Deutschland leistet im Moment, was es zu leisten im Stande ist. Flüchtlingen gerade aus Syrien wird von ganz vielen tatkräftig geholfen, und das ist gut so. Aber machen wir uns nichts vor: Auch Deutschland wird nicht Jahr für Jahr eine halbe Million und mehr Menschen aufnehmen können, ohne dass das zu sozialen Spannungen und wachsendem Widerstand in der Bevölkerung führen wird. Es muss deshalb auch politisch etwas passieren. Die USA, Russland, Iran und Saudi-Arabien hätten es in der Hand, durch eine koordinierte Initiative den Bürgerkrieg in Syrien und im Irak auszutrocknen: mit politischem Druck, mit Waffenembargos und Sanktionen. Womöglich braucht es dazu auch Druck auf die genannten Akteure. Alle Freihandelsabkommen sollten uns gestohlen bleiben, solange Waren und Kapitel die Grenzen von Ländern leichter überwinden können als Menschen auf der Flucht.