Judenliebe impft nicht gegen Ausländerhass
Großstadtstraßen werden dem Musiker und Historiker Ofer Waldman immer gefährlicher – als Israeli, der in Berlin lebt. Gleichzeitig verwahrt er sich dagegen, mit jüdischen Ängsten Politik gegen Flüchtlinge zu machen.
Ich habe Angst, Angst zu haben. Als jüdischer Israeli in Berlin spüre ich, wie es zunehmend rauer für mich und meinesgleichen auf den Straßen zugeht.
Mit zunehmender Vorsicht bewege ich mich durch die Stadt, vor allem in Quartieren, in denen ich aggressive Leute vermute, wo ich Hassparolen an Häuserwänden lesen muss. Denn mehr als früher berichten Freunde von bedrohlichen Zwischenfällen mit arabischen Jugendlichen, sobald sie sich als Juden oder Israelis zu erkennen gaben oder erkannt wurden.
Gleichzeitig fürchte ich mich, meine Angst frei und öffentlich einzuräumen. Mir ist es zuwider, dass mit meiner Furcht, mit den Ängsten von Juden, Politik gegen Flüchtlinge gemacht wird.
Mit Flüchtlingen kommt Judenhass ins Land
Neulich schickte eine renommierte deutsche Zeitung einen orthodoxen, jüdischen Israeli mit Kippa auf dem Kopf in eine Flüchtlingsunterkunft. Meist wurde er ignoriert, gelegentlich begrüßt. An den Wänden entdeckte er jedoch politische Botschaften, darunter anti-israelische und anti-jüdische, auch ein Hakenkreuz. Im Gespräch empfahl er deswegen jungen Arabern zu vergessen, was sie in ihrer Heimat über Juden gelernt haben.
Ich mache mir nichts vor: Mit der Fluchtbewegung werden auch Konflikte nach Deutschland hineingetragen, die mich und andere direkt angehen. Unter den Muslimen aus Ländern wie Syrien oder Irak ist dabei oft ein abgrundtiefer Hass gegen Israel zu finden. Nach Jahrzehnten der Gewalt im Nahostkonflikt gelten ihnen Juden und Israelis als Grund allen Übels. Ihre Staatliche Propaganda hat mein Volk von früh bis spät verteufelt.
Auch hier, in Deutschland, bleibe ich für sie der Feind. Es wäre also naiv und gefährlich zu glauben, allein das Überschreiten eines deutschen Grenzüberganges bewirke einen magischen Wandel ihrer Einstellung.
Flüchtlingshilfe folgt deutsch-jüdischer Vergangenheit
Doch dieser realistische Befund darf kein Argument gegen ein humanitäres Konzept sein. War das anders mit den Deutschen nach 1945? Nach 12 Jahren NS-Propaganda hat es doch noch ziemlich lange gedauert, bis sie sich vom Gedanken befreiten, der Jude sei ihr Unglück.
Und es ist gerade diese gemeinsame deutsch-jüdische Vergangenheit, die dazu führte, dass Recht auf politisches Asyl ins Grundgesetz aufzunehmen und darüber hinaus der Genfer Konvention zu folgen und Menschen zu helfen, die vor Krieg und Elend fliehen. Auch deshalb will ich meine Angst vor Judenhass unter Flüchtlingen nicht missbrauchen lassen.
Der inszenierte Testbesuch des kippa-tragenden Israeli in der Flüchtlingsunterkunft war, meines Erachtens, nicht frei von Ressentiments der Zeitungsredaktion. Ich halte es jedoch nur für zynisch, dass Gegner der Flüchtlingspolitik meine Furcht instrumentalisieren, um ihre Abneigung gegen Fremde zu rechtfertigen. Judenliebe impft nicht gegen Ausländerhass.
Ausländerhass erhält keinen Koscher-Stempel
Deshalb nämlich, um Angst-Macherei und Abschottung keinen Koscher-Stempel aufdrücken zu lassen, engagieren sich bundesweit jüdische Einrichtung in der freiwilligen Flüchtlingshilfe. Dabei begegnen nahöstliche Muslime oft erstmals einem Juden und lernen ihn kennen. Aus Begegnung wird Aufklärung.
So - und nur so – werden wir den harten Herausforderungen der Gegenwart und den Lehren der Vergangenheit gleichzeitig gerecht. Denn ich will keine Angst mehr haben: weder davor, mich als Jude im deutschen öffentlichem Raum zu bewegen, noch davor, diese Angst klar auszudrücken und dabei Applaus von der falschen Seite zu bekommen.
Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland erwarb er ein Diplom als Orchestermusiker und spielte unter anderem beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern. Anschließend war er an der Israelischen Oper engagiert und absolvierte daneben ein Masterstudium in Deutschlandstudien an der Hebräischen Universität Jerusalem. Derzeit promoviert er an der Hebräischen Universität Jerusalem wie auch an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich in Vorträgen und Texten mit den deutsch-jüdischen, deutsch-israelischen und israelisch-arabischen Beziehungen.