Flüchtlingspolitik

Trügerischer Friede in der Großen Koalition

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Seehofer während einer Sondersitzung zur Asyl- und Flüchtlingspolitik im Bundeskanzleramt in Berlin
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Seehofer während einer Sondersitzung zur Asyl- und Flüchtlingspolitik © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Stephan Detjen |
Bei der Einigung in der Flüchtlingspolitik gehe es um nicht weniger, als die Legitimation einer Regierung, die alle Möglichkeiten hat, ihre Aufgabe zu bewältigen, kommentiert Jörg Detjen. Jetzt müsse sie aber auch den gemeinsamen Willen dazu beweisen.
Große Koalitionen legitimieren sich, wenn sie große Aufgaben erfolgreich bewältigen. Dieser Erwartung wird die Regierung in Berlin in diesen historischen Zeiten nicht gerecht. Das liegt bisher vor allem an den Unionsparteien, die sich in der Flüchtlingspolitik über Wochen hinweg in spektakulärer Weise selbst zerfleischt haben. An einem Wochenende, an dem ein Gipfeltreffen der Koalitionsspitzen die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung hätte demonstrieren müssen, beschäftigten sich die Schwesterparteien der Kanzlerin mit Familientherapie. Eine Regierungschefin, die in diesen Tagen mit der CSU im Bunde ist, braucht keine Opposition im Parlament mehr. Der politische Gegner sitzt im Kanzleramt direkt mit am Koalitionstisch.
Ein Positionspapier, das diffus bleibt
Der Frieden, den die Unionsparteien nach dem Spitzengespräch am Sonntag verkündeten, ist trügerisch. Denn das sechsseitige Positionspapier, das CDU und CSU jetzt als Beleg der wieder errungenen Gemeinsamkeit präsentieren, bleibt im Wesentlichen diffus. Horst Seehofer, der die Bundeskanzlerin seit Wochen mit respektloser Kritik und lautstarken Handlungsaufforderungen vor sich hertreibt, hat keine neuartigen Maßnahmen aus dem Hut gezaubert, mit denen die Menschen auf der Westbalkanroute zur Umkehr gezwungen werden könnten. Weder stellt die CSU bayerische Gebirgsschützenkompanien zur Bewachung der grünen Grenze zur Verfügung, noch hat Seehofer den Todesstag Günter Schabowskis genutzt, um den Bau von Mauern und Stacheldrahtzäunen an der deutsch-österreichischen Grenze zu verlangen.
Transitzonen und Flughafenverfahren
Auch die Forderung nach sogenannten Transitzonen, die sich die Union schon vor dem Wochenende auch gegen die in der CDU verbreiteten Zweifel daran zu eigen gemacht hat, bleibt am Anfang dieser Woche vage. Der beabsichtigte Vergleich mit jenen radikal verkürzten Asylverfahren, die in den neunziger Jahren an Flughäfen eingeführt wurden, hinkt notwendigerweise. Das sogenannte Fughafenverfahren funktioniert allein deshalb, weil kein hier Ankommender die Transitbereiche umgehen kann. Nur so lässt sich an Flughäfen die rechtliche Fiktion aufrecht halten, Asylbewerber hätten deutschen Boden noch gar nicht betreten und damit nur eingeschränkte Bewegungs- und Verfahrensrechte.
SPD im Windschatten des Unionsgetöses
Wie auf Autobahnen, Bahnstrecken und die grünen Almwiesen an der Landgrenze zu Österreich übertragen werden soll, was rein physisch bisher nur an Flughäfen möglich ist, lässt die Union offen. Diese Unschärfe ihrer angeblich klaren Positionierung öffnet allerdings zugleich die Kompromissräume für die anstehenden Verhandlungen mit dem dritten Koalitionspartner, der SPD. Im Windschatten des Unionsgetöses haben die Sozialdemokraten nicht nur ihre Generalsekretärin ausgetauscht, sondern auch die Kanten ihrer Flüchtlingspolitik geschärft. Vieles von dem, was die SPD in den von ihr sogenannten Einreisezentren inzwischen an Verfahrensverkürzungen und Leistungskürzungen für kooperationsunwillige Asylbewerber durchsetzen will, ist von den Vorstellungen der Union nicht mehr weit entfernt. Wenige Tage hat Angela Merkel sich gegeben, eine Verständigung herbeizuführen. Es geht dabei um nicht weniger, als die Legitimation einer Regierung, die alle Möglichkeiten hat, ihre Aufgabe zu bewältigen, jetzt aber auch den gemeinsamen Willen dazu beweisen muss.
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