"Verantwortung liegt beim Innenminister"
Bundesinnenminister Thomas de Mazière mache bei der Flüchtlingspolitik "keine gute Figur", kritisiert Cem Özdemir, der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. In einer solchen Situation müsse ein Innenminister "zeigen, wo es langgeht".
Der Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, hat die Rolle von Bundesinnenminister Thomas de Mazière in Zusammenhang mit dem Rücktritt des Chefs des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, kritisiert. Den Personalmangel in dieser Behörde habe vor allem der oberste Dienstherr zu verantworten, sagte Özdemir im Deutschlandradio Kultur. Es sei schon länger bekannt, dass mehr Personal notwendig sei:
"Aber es hat sich praktisch nichts getan. Und der Verantwortliche dafür heißt de Maizière. Der macht in dieser Frage keine gute Figur."
In einer solchen Situation müsse ein Innenminister "anpacken" und "zeigen, wo es langgeht", äußerte Özdemir:
"Zurzeit haben wir einen Innenminister, der wirkt so ein bisschen wie ein Verwaltungschef, aber nicht wie einer, der politisch führt".
Die Flüchtlingskrise sei "an allen Ecken und Enden" nicht vorhergesehen worden, meinte Özdemir. So seien notwendige Vorkehrungen nicht getroffen worden, was auch die Innenpolitik betreffe:
"Das heißt die Frage: Wie können wir Länder und Kommunen stärken? Wie können wir ihnen besser helfen bei der Unterkunft von Flüchtlingen?"
Das Thema Außenpolitik muss auch diskutiert werden
Die bisher von der Bundesregierung angekündigten finanziellen Hilfen für Länder und Kommunen reichten nicht aus, so Özedemir. Nach der Beseitigung der ersten Not der Flüchtlinge müsse aber auch darüber diskutiert werden, welche Maßnahmen anschließend zu ergreifen seien, forderte er, zum Beispiel beim Wohnungsbau. Auf die Tagesordnung gehöre auch das Thema Außenpolitik:
"Was tun wir eigentlich aktiv als Bundesrepublik Deutschland, um den Vereinten Nationen bei der Unterkunft von Flüchtlingen direkt vor Ort zu helfen? Und was tun wir auch, um die Fluchtursachen zu bekämpfen?"
Notwendig seien auch kürzere Asylverfahren , betonte Özdemir vor dem Hintergrund einer entsprechenden Äußerung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der sich für dreimonatige Verfahren ausgesprochen hatte:
"Das wünschen wir uns alle. Vor allem aus Sicht der Flüchtlinge ist das wichtig. Es gibt nichts Schlimmeres, als in der ersten Unterkunft zu warten und nicht zu wissen, was mit einem passiert. Schnelle rechtsstaatliche Verfahren sind dringend notwendig."
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es ist eine Mammutaufgabe, und das Wort der Kanzlerin – "Wir schaffen das!" –, es hängt mittlerweile eher wie eine Beschwörung, wie eine vage Hoffnung über der Flüchtlingsdebatte. Einer hat es auf jeden Fall schon mal nicht mehr geschafft, Manfred Schmidt, der Präsident des Bundesamtes für Migration, ist zurückgetreten, aus persönlichen Gründen, sagt er, wie immer die aussehen. Der Rücktritt wirft das Schlaglicht auf das Krisenmanagement der Bundesregierung und er wirft Fragen auf: Was muss sich ändern in der deutschen Flüchtlingspolitik? Fragen an den Parteivorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen Cem Özdemir, guten Morgen!
Cem Özdemir: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Ihre Partei spricht vom Bauernopfer. Da stellt sich für mich die Frage: Hätten Sie lieber gesehen, dass Manfred Schmidts Dienstherr Innenminister Thomas de Maizière zurücktritt?
Özdemir: Ich kenne die Gründe ja nicht. Er sagt, persönliche Gründe, und erst mal akzeptiere ich das, muss man das akzeptieren. Aber es wirkt natürlich schon so ein bisschen so, als wenn Herr Schmidt jetzt geht und man damit den Eindruck erweckt, damit seien die Probleme gelöst. Dass es Personalmangel dort in der Behörde gibt, das hat Herr Schmidt nicht allein zu verantworten sondern der oberste Dienstherr vor allem, der ja nun schon eine Weile weiß, dass da mehr Personal notwendig ist. Und es hat sich einfach praktisch nichts getan. Und der Verantwortliche dafür heißt de Maizière. Der macht in dieser Frage keine gute Figur.
Normalerweise ist das der Moment eines Innenministers, dass er anpackt, dass er zeigt, wo es langgeht, dass er in die Flüchtlingslager reist und den Leuten das Gefühl gibt, da ist einer, der koordiniert das Ganze. Zurzeit haben wir einen Innenminister, der wirkt so ein bisschen wie ein Verwaltungschef, aber nicht wie einer, der politisch führt.
Notwendige Vorkehrungen wurden nicht getroffen
Frenzel: Brauchen wir denn jetzt nicht noch einen neuen Behördenchef? Oder muss sich grundlegend etwas ändern in der Art und Weise, wie der Bund die Flüchtlingspolitik organisiert?
Özdemir: Was jedenfalls nichts nützt, ist, wenn der Innenminister auf den Außenminister, der Außenminister auf den Innenminister und der dann wiederum auf den Verwaltungschef Herrn Schmidt schiebt und am Schluss dann derjenige, der sich wahrscheinlich am wenigsten wehren kann, geht und der Rest macht genauso weiter. An allen Ecken und Enden hat man diese Flüchtlingskrise offensichtlich nicht vorhergesehen, hat die notwendigen Vorkehrungen nicht getroffen. Das trifft die Innenpolitik. Das heißt, die Frage: Wie können wir Länder und Kommunen stärken, wie können wir ihnen besser helfen bei der Unterkunft von Flüchtlingen, aber natürlich auch bei der Frage, über die man jetzt auch schon diskutieren muss, was passiert, nachdem die erste Not beseitigt ist, nachdem man sich darum gekümmert hat, dass die ein Dach über dem Kopf haben, dass die zu essen haben, dass die Kinder versorgt sind, dann muss man ja auch planen, was ist mit Wohnungsbau.
Wir haben zurzeit ein Problem in vielen Städten mit Wohnraum gerade für die Ärmeren, da müssen wir dringend ran, ansonsten wird es eine Konkurrenzsituation geben. Ich möchte nicht, dass diejenigen, die an den Bahnhöfen stehen, - wenn man mal offen spricht, und sich jetzt freuen und die Leute begrüßen -, wenn die Kinder von denen mit den Kindern der Flüchtlinge auf dieselbe Schule gehen, dann will ich, dass dieselbe gute Stimmung immer noch herrscht. Auch das muss man heute planen und da gibt es viele, viele Fragen, die sich jetzt ergeben. Und auch das gehört auf die Tagesordnung: Das Thema Außenpolitik, was tun wir eigentlich als Bundesrepublik Deutschland, um den Vereinten Nationen bei der Unterkunft von Flüchtlingen direkt vor Ort zu helfen? Und was tun wir auch, um die Fluchtursachen zu bekämpfen?
Änderung des Asylrechts geplant
Frenzel: Das Bundesinnenministerium ist ja nicht ganz untätig. Aus dem Hause Thomas de Maizière ist jetzt ein Gesetzentwurf öffentlich geworden, das Asylrecht schnell zu ändern. Da ist die eine Idee, Verfahren zu beschleunigen. Sind die Grünen dabei?
Özdemir: Ja, da sind die immer sehr schnell dabei, die Verfahren so zu ändern, dass man häufig Symbolpolitik macht. Ich habe den Eindruck, da geht es jetzt ein bisschen darum, nach dem Koalitionsgipfel (tätig zu werden). Der ja Pläne vorgesehen hat, wo auch manches drin war, was wir ausdrücklich begrüßt haben - beispielsweise den Korridor zu schaffen für die Menschen aus dem westlichen Balkan. Weil das Asylverfahren für die ganz überwiegende Mehrzahl nicht der richtige Weg ist, einen legalen Weg der Zuwanderung zu schaffen. Anstatt dass Herr de Maizière das weiter ausbaut und sich überlegt, wie kann man Kommunen und Ländern stärker helfen, übrigens auch finanziell helfen. Was da auf dem Tisch ist, reicht bei Weitem nicht aus, vor allem, es ist keine stetige Hilfe. Was man jetzt macht, habe ich den Eindruck, da ist doch ein bisschen was eingeflossen von Herrn Seehofer und von anderen, denen es da stärker um Symbolpolitik geht.
Der Wunsch nach schnelleren Verfahren
Frenzel: Ja, und möglicherweise auch von Winfried Kretschmann! Der hat auch gestern noch mal erklärt, er wünscht sich Asylverfahren innerhalb von drei Monaten, also wirklich kurze Verfahren. Sind Sie sich da einig?
Özdemir: Das wünschen wir uns alle, das wünschen wir uns alle. Übrigens, vor allem aus Sicht der Flüchtlinge ist das wichtig, denn nichts Schlimmeres als in der ersten Unterkunft zu warten und nicht wissen, was mit einem passiert. Schnelle rechtsstaatliche Verfahren sind dringend notwendig. Dass das geht, zeigen ja auch die einen oder anderen Nachbarländer, das müssen wir dringend schaffen. Und dann müssen wir allerdings auch mit anpacken, wenn die nach der Entscheidung auf die Kommunen gehen, denn dann ist das Problem ja nicht aus der Welt geschaffen. Auch die brauchen Hilfe und da geht es ums Geld.
Frenzel: Das heißt, wenn so ein Verfahren entschieden ist und mit Nein beschieden ist bei einem Asylbewerber, dann muss er auch abgeschoben werden?
Özdemir: Das passiert doch längst. Da wird ein Papiertiger aufgebaut, so getan, als ob das nicht der Fall wäre. Das passiert in unterschiedlichen Landesregierungen in unterschiedlichen Farbkombinationen. Es ist doch klar, da geht es übrigens dann auch nicht nur darum, dass die abgeschoben werden, sondern dass man sich auch Gedanken darüber macht, was mit den Leuten danach passiert im westlichen Balkan.
Noch besser allerdings ist es so, wie wir es jetzt im Kosovo relativ erfolgreich hinbekommen, dass man vor Ort aufklärt, damit die Menschen sich erst gar nicht aufs Asylverfahren einlassen. Was im Regelfall ja dazu führt, dass der Antrag abgelehnt wird, die Leute ihr Geld ausgegeben haben, ihr Haus verkauft haben und danach vor dem Nichts stehen.
Frenzel: Herr Özdemir, wenn diese Politik in den Bundesrat kommt, die Innenminister de Maizière, die die Bundesregierung vorschlägt, gibt es dann die Zustimmung der grünen Länder?
Özdemir: Das ist ja nicht so, dass wir einfach alles abnicken, was von der Großen Koalition kommt, sondern die Große Koalition hat einen Vorschlag gemacht. Wir sind dabei, unsere Positionen entsprechend abzustimmen. Und dann wird man sich zusammensetzen und von der Sache heraus argumentieren. Unsere Positionen sind gewöhnlich dadurch gekennzeichnet, dass wir keine Symbolpolitik machen. Wir wollen die Probleme lösen, das erwarten die Bürgerinnen und Bürger zu Recht von uns.
Frenzel: Cem Özdemir, der Parteivorsitzende der Grünen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Özdemir: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.