Flüchtlingsunterkünfte

Berlin gehen die Turnhallen aus

Von Frank Ulbricht |
Jede Woche werden in Berlin Turnhallen zu Unterkünften für Flüchtlinge umgewandelt. Inzwischen regt sich darüber Unmut unter Sportlern. Doch vor allem zeigt die Situation, wie viel in den vergangenen Jahren im Bereich der Förderung von Jugendsport versäumt worden ist.
Sportunterricht im Primo-Levi-Gymnasium, Berlin-Weißensee. Von den Schüler allerdings, keine Spur. Die joggen lieber im Park, sagt Direktor Uwe Schramm. Und wer sich in der maroden Turnhalle umschaut, der weiß warum. Wände, Rohre, die Decke - alles ist baufällig. Deshalb hat die Schule eine neue Halle bekommen. Die wurde aber vor Wochen beschlagnahmt, vom Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz LaGeSo. Fast 100 Flüchtlinge leben hier. Jetzt musste die alte Turnhalle wieder reaktiviert werden, trotz einiger Sicherheitsbedenken. Sie ist Baujahr 1926 und viel zu klein. Den Sportunterricht - von seinen über 1000 Schülern - musste Direktor Uwe Schramm nun neu organisieren und Stunden reduzieren.
"Bei uns ist es möglich, sechs von neun Stunden innerhalb von drei Wochen für den einzelnen Schüler zu realisieren. In der gymnasialen Oberstufe haben wir vom Bezirksamt allerdings Hallen erhalten, in anderen Schulen. Und dort fällt dann für andere Schüler wiederum der Unterricht aus."
Elf Turnhallen wurden allein in dieser Woche geschlossen
Umplanen mussten auch die Volleyballer der BR-Volleys. Normalerweise trainiert das Bundesliga-Team im Horst-Korber-Sportzentrum nicht weit vom Berliner Olympiastadion. Die Halle gilt als Olympiastützpunkt und wird von Handballern, Hockey-Spielern oder Leichtathleten genutzt. Jetzt sind auch hier Flüchtlinge untergebracht. Bis zum Februar 2016 ist das Trainingszentrum für Sportler auf jeden Fall gesperrt.
Elf weitere Berliner Turnhallen wurden in dieser Woche geschlossen und dienen jetzt als Notunterkünfte. Viele Vereine müssen nun improvisieren. Übungszeiten werden gekürzt, Wettkämpfe verlegt, ständig findet das Training in anderen Hallen statt. Robert Kromm, Nationalspieler der BR-Volleys bleibt dennoch gelassen.
"Also ich bin persönlich der Meinung, ich brauch mich nicht darüber aufzuregen. Die Politik hat sich entschieden für diesen Weg, den Leuten zu helfen und so viele wie möglich aufzunehmen. Und was sollen wir da jetzt uns lange, lange darüber hadern? Wir haben die Möglichkeit weiter zu machen. Den Leuten muss geholfen werden und insofern war das für uns nie negativ."
Besonders betroffen sind derzeit die Berliner Hockeyvereine, vor allem im Jugendbereich. Nicht jede Halle ist für diesen Sport geeignet. Wenn weitere beschlagnahmt werden, ist nicht klar, wie die Kinder noch regelmäßig trainieren sollen. Schon jetzt teilen sich bei der SG Rotation Prenzlauer Berg mehr als 40 Mädchen und Jungen eine kleine Turnhalle. Das wirkt sich auch auf die Stimmung im Club aus. Ulrike Bock, Jugendwartin im Verein.
"Wir haben Trainingsgruppen die haben nur noch eine Trainingszeit. Oder anstatt anderthalb Stunden 45 Minuten, die kaum zum Aufwärmen und Aufbauen reicht. Die Mitglieder, das ist ein Sportverein und insofern sozial kompetente Leute. Nichtsdestotrotz gibst natürlich dann schon ein bisschen Reibereien. Warum haben die die größere Halle oder die mit dem besseren Boden? Es geht friedlich noch, aber es trägt nicht zum guten Vereinsmiteinander bei."
Probleme gibt es schon seit Jahren
Probleme mit geeigneten Spielstätten hat man bei Rotation Prenzlauer Berg allerdings schon seit Jahren. Eine neue Hockeyhalle musste wegen Baumängeln geschlossen werden. Seitdem wird gestritten, wer das bezahlen soll. Die Flüchtlinge, so Ulrike Bock, würden nur aufzeigen, was das Land Berlin seit Jahren versäumt.
"Die Situation ist aber deswegen so, weil Planung in der Sport- und Schulpolitik im Land Berlin einfach sehr, sehr verschleppt worden ist. Weil wir 25 Jahre nach der Wende noch solche Hallen haben wie diese hier. Das die Schultoiletten zusammenbrechen. Und, da kann man immer darüber reden, ob die Milliarden in den BER gehen müssen oder vielleicht mal für die Kinder und die Jugend der Stadt was getan werden sollte."
Fakt ist: um die Flüchtlinge in der Stadt unterzubringen, sind alle Berliner Bezirke aufgefordert, potentielle Unterkünfte zu nennen. Das können leerstehende Bürohäuser oder auch Gewerbehallen sein. Doch ausreichende Sanitäranlagen sind hier meist Mangelware. Turnhallen dagegen bieten nicht nur ausreichend Platz, sondern auch Duschen und Toiletten. Möglicherweise könnten mobile Sanitäranlagen die Lage ein wenig entspannen. Diese sollen jetzt wieder lieferbar sein, dann kämen auch andere Gebäude als Unterkünfte in Frage. Um die Schließung von weiteren Hallen zu verhindern, ist der Landessportbund Berlin schon selbst auf die Suche nach Unterkünften gegangen. Direktor Heiner Brandi:
"Ein Beispiel haben wir schon, ein leerstehendes Bürogebäude, fünfstöckig, wo einige hundert Menschen untergebracht werden könnten. Und das haben wir dem Senat auch gemeldet. Und wir sind auch der Meinung, dass es in Berlin noch andere Objekte gibt, also zum Beispiel Tempelhof oder das ICC, die man vorrangig nutzen kann."
Kaweh Niroomand, Manger der BR Volleys, 1965 mit den Eltern aus dem Iran nach Deutschland gekommen, appelliert ebenfalls an die Stadt, nicht weiter die Vereine zu belasten.
"Wir machen schon täglich Integration, ohne die neuen Flüchtlinge. Aber wenn man dem Sport seine Wirkungsstätte wegnimmt, kann man diese nachhaltige Arbeit nicht mehr leisten. Und dann kippt die Stimmung."
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