"Der Lärm hat zugenommen"
Soll der Berliner Flughafen Tegel schließen oder bleiben? Manche Anrainer klagen über die Lärm- und Feinstaubbelastung, andere sorgen sich dagegen um die Zukunft von Arbeitsplätzen. Ein Stimmungsbild.
"Kommen Sie mal in meinen Wahlkreis, und gehen Sie mal in die Gotthardstraße", sagt der SPD-Abgeordnete Jörg Stroedter. "Da stehen Sie auf dem Balkon, und wenn im Dunkeln die Lichter auf Sie zukommen, haben Sie das Gefühl, Sie legen sich lieber hin, weil Sie nicht mehr sicher sind, ob die Flugzeuge über Sie hinweg kommen. …"
In Stroedters Bürgerbüro in Berlin-Reinickendorf treffen sich die Mitglieder des überparteilichen Bündnisses "Tegel schließen – Zukunft öffnen". Der Gastgeber nutzt das Forum zum flammenden Appell gegen Tegel.
" … ist einfach irre, wie die Maschinen hier reinkommen müssen, und das kriegst du auch gar nicht geändert. Deshalb muss der Flughafen geschlossen werden. Dabei bleibe ich, bei der Auffassung." Kurzer Applaus.
Hoffen auf den BER
Der Politiker stößt offene Türen auf. In dem Punkt sind sich alle 35 Anwesenden einig. Janik Feuerhahn von der Pankower "Bürgerinitiative Flora-Kiez" ist einer der Sprecher des Bündnisses. Auch er lebt in der Einflugschneise und leidet unter dem Fluglärm, wenn die Maschinen starten. Denn das tun sie meist in seine Richtung, Richtung Osten.
"Der Lärm ist extrem nervig auf dem Balkon, im Garten. Man kann sich da nicht unterhalten, das ist deutlich lauter als der Straßenverkehr hier hinter uns. Man muss dann immer unterbrechen. Genauso wenn man mit offenem Fenster schläft. Um sechs Uhr morgens geht der erste, um 6:02 Uhr, um 6:04 Uhr kommen die weiteren Flieger. Da wacht man jedes Mal auf. Das ist eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität."
Die Tegel-Gegner setzen darauf, dass der BER endlich fertig wird. Dann würde Tegel geschlossen, sagen sie, und dem Berliner Senat fiele es leichter, den erfolgreichen Volksentscheid für eine Weiternutzung Tegels zu ignorieren.
"Planespotter" lieben Tegel
An der Ostspitze des Flughafens, dort, wo Start- und Landebahn quasi nahtlos in die erste Wohnsiedlung übergehen, steht einer der Bewohner auf einer Anhöhe und schaut über die Stadtautobahn hinweg auf den Flughafen: "Mich stört der nicht. Wir sind mit dem Lärm groß geworden. Ist nicht so schlimm. Man gewöhnt sich dran."
Tegel schließen? "Schwachsinn", bellt er. Dafür müsste ja zunächst einmal der BER öffnen. Unwahrscheinlich. "Man kann locker noch fünf bis acht Jahre rechnen, dass der komplett weg ist hier. Wenn überhaupt, aber ich glaube das nicht."
Neben ihm lauert, die Kamera im Anschlag, ein Planespotter auf Beute. Hans-Jürgen Mind, Mann der ersten Stunde, seit der Eröffnung Tegels 1974 ist er regelmäßig hier: "Solange der Flughafen noch da ist, jeden zweiten, dritten Tag. Richtet sich so ein bisschen danach, was an Flugzeugen kommt."
Planespotter wie er wollen möglichst viele verschiedene Flugzeuge fotografieren. Dafür sei Tegel ein ordentliches Pflaster. Noch.
"Morgen kommt mal ein 340-600 aus München von der Lufthansa. Die machen Pilotentraining, Kurzflüge, damit die Piloten Übung bekommen. Von München nach Tegel und wieder zurück, da gibt es morgen zwei. Das ist was Besonderes. Einen 340-600 haben wir in Tegel so gut wie nie…"
Wenn der Flughafen schließt, steigen die Mieten
… und irgendwann eben gar nicht mehr. Hans-Jürgen Mind bezweifelt, dass es den politischen Willen gibt, den Schließungsbeschluss für Tegel aufzuheben.
"Man kann es sicherlich kippen mit diversen Auflagen etc. Will das jemand? Ich habe so das Gefühl: In Berlin will keiner wat."
Beim Volksentscheid im vergangenen Herbst votierten die Anrainer in Berlin-Reinickendorf für viele überraschend mit großer Mehrheit für die Offenhaltung des Flughafens. 63,8 Prozent pro Tegel – und das in einem Bezirk, in dem viele Bewohner vom Fluglärm betroffen sind. Ein Argument ist bis heute immer wieder zu hören: Wenn der Flughafen schließt, steigen die Mieten, davor haben die Menschen Angst, also ist es besser, Tegel offen zu halten.
"Ist Quatsch. Blödsinnig. Ist unabhängig davon. Unsere Mieten steigen so oder so, das hat mit dem Flughafen Tegel überhaupt nichts zu tun. Gar nischt."
Sorge um Arbeitsplätze
Am Kurt-Schumacher-Platz, im Volksmund ‚Kutschi’ genannt, unweit des Flugfeldes gelegen, gehen die Menschen ihren gewohnten Tätigkeiten nach. Spielen Lotto, kaufen ein, essen Pizza. Fluglärm? Höre sie gar nicht mehr, sagt eine junge Frau mit Kopftuch, die in einem Bistro am ‚Kutschi’ arbeitet.
"Viele, viele finden das scheiße, dass der zumacht. Die meisten fahren mit dem Bus, und wenn sie zu Tegel fahren wollen, bleiben die erstmal hier und essen was Schönes, und wenn Tegel zumacht, wird es ein bisschen für uns auch schwieriger. Die Arbeitsplätze da sind auch sehr viele, zwei Freundinnen von mir arbeiten in Tegel, und wenn der schließt, haben die dann auch keinen Job."
Höhere Mieten, weniger Arbeitsplätze: Natürlich müsse man die Ängste der Bürger ernst nehmen, sagt die Friseurmeisterin vom Laden nebenan. Aber viel entscheidender findet sie etwas anderes:
"Ganz ehrlich: Ich persönlich finde es peinlich für Berlin. Als Hauptstadt, dass wir wirklich nur einen Flughafen haben oder haben werden, ja, finde ich das halt peinlich. Dann dürften wir auch keine Hauptstadt mehr sein."
Beschlüsse sind rechtskonform und bestandskräftig
Das ‚Single-Airport-Konzept’ – genau das macht den Tegel-Gegnern Mut, dass der Flughafen doch bald geschlossen wird. Die derzeitig gültige Rechtslage sei eindeutig, sagen sie, alle Beschlüsse zur Schließung von Tegel seien rechtskonform und bestandskräftig. So stünde es auch im Gutachten des früheren Bundesverwaltungsrichters Paetow, das der Senat in Auftrag gegeben hatte. Janik Feuerhahn vom Bündnis "Tegel schließen – Zukunft öffnen" ergänzt: Deshalb dürfe auch das Ergebnis des Volksentscheids keine Rolle spielen.
"Tegel ist ein Flughafen, der so viele Menschen negativ durch Lärm belastet wie kein anderer Flughafen in Deutschland. Nicht Frankfurt, nicht München, Flughäfen, die deutlich mehr Volumen abwickeln an Flügen und Passagieren, sondern es geht wirklich darum, dass hier 300.000 Menschen nicht nur vom Lärm, sondern auch durch Schadstoff-Luftemissionen belastet werden. Es geht um Feinstäube, es geht um Ultrafeinstäube, weltweit wird dazu gerade geforscht, welche Einflüsse Ultrafeinstäube eigentlich haben, die insbesondere durch Kerosinverbrennung entstehen. Dadurch werden die Menschen negativ beeinträchtigt, und deshalb muss Tegel schließen."